Antisemitische Rufe, sportlicher Misserfolg und finanzielle Probleme: Um den sächsischen Drittligisten Chemnitzer FC steht es schlecht. Jetzt ist die Situation völlig eskaliert.
In Chemnitz fühlt es sich so an, als würden die Uhren anders laufen. Ein Fußballverein ist völlig außer Rand und Band – und mit ihm eine ganze Stadt. Schlimm genug, dass der örtliche Drittligist nach dem Aufstieg sportlich schon wieder mit dem Rücken zur Wand steht. Aber die sportlichen Sorgen muten vergleichsweise gering an.
Der langjährige Kapitän Daniel Frahn fliegt aufgrund seiner Nähe zu rechten Fans aus dem Verein, ein verstorbener rechtsextremer Hooligan wird offiziell im Stadion betrauert. Die Mitgliederversammlung verweigert einfach die Wahl eines neuen Aufsichtsrates, während dieser Veranstaltung müssen einige Vertreter eine schusssichere Weste tragen. Der brasilianische Mittelfeldspieler Marcelo de Freitas soll wegen rassistischer Beleidigungen gegen seine Frau aus der Stadt geflohen sein.
Als traurigen Höhepunkt der Verfehlungen beleidigen einige Stadiongänger ihren Sportdirektor zudem als „Judensau". Jeder Vorfall für sich hätte vermutlich gereicht, um den Ruf von drei oder vier Clubs für einige Zeit zu ruinieren. Doch der Chemnitzer FC, Drittliga-Aufsteiger aus Sachsen, überbietet sich seit Monaten immer mal wieder selbst damit, noch schlechtere Nachrichten zu produzieren. Viel tiefer kann der DDR-Meister von 1967 scheinbar nicht mehr fallen. Dass sich der Tabellenvorletzte gleichzeitig in einer Insolvenz befindet und um seine Existenz mehr als fürchten muss, gerät da fast schon zur Nebensache. Der Hass der rechtsextremen Chemnitz-Anhänger hat auch einiges mit dem laufenden Insolvenzverfahren zu tun, das seit Mai 2018 in den Händen des Düsseldorfer Anwalts Klaus Siemon liegt.
Verfassungsschutz sieht extremistische Strukturen
Dabei dachten viele, dass es im März 2018 zum großen Umdenken innerhalb des Vereins kommen könnte – nachdem die Trauerfeier für den Neonazi Thomas Haller, den langjährigen Chef der Stadionsecurity, hohe Wellen geschlagen hätte. Die öffentliche Empörung war groß, die zur Schau gestellte Einsicht noch größer. Ob dieses Umdenken nur aus edler Gesinnung oder rein aus wirtschaftlichem Interesse entstanden ist, um nicht noch mehr Sponsoren zu verschrecken, darüber gibt es um den Verein unterschiedliche Meinungen. Einige Mitarbeiter, die federführend an dieser Aktion mitgearbeitet haben, mussten den Arbeitgeber wechseln.
Der Nordostdeutsche Fußballverband installierte wenig später einen Antirassismusbeaufragten. Im Mai verhängte der CFC dann endlich gegen Mitglieder der Ultra-Gruppierung Kaotic Chemnitz einjährige Stadionverbote bei Heimspielen. Es wurde höchste Zeit: Gordian Meyer-Plath, Präsident des sächsischen Landesamts für Verfassungsschutz, sieht in Chemnitz „mit den Gruppierungen Kaotic und NS-Boys klar rechtsextremistisch organisierte und ideologisierte Fußballfanstrukturen".
Im Stadion an der Gellertstraße seien diese Strukturen im sächsischen Vergleich besonders gefestigt, es sei ein Prozess, der sich über mehrere Jahre entwickelt habe. CFC-Ultras hatten die tagelangen Krawalle nach dem Tod des von Ausländern erstochenen Daniel H. vergangenen August federführend organisiert. Monate später eskaliert die Aktion erneut. Ein Mann, mit dem sich der damals verletzte Kapitän Daniel Frahn Mitte August beim Auswärtsspiel in Halle in der Fankurve zeigte und mit dem er auch an- und abgereist sein soll, wird zur „Kaotic"-Gruppe gezählt.
Doch die Einsicht der Betroffenen blieb aus. Nachdem der Druck erhöht wurde, setzte eine erneute Radikalisierung ein. Die Ultras drohten mit Gewalt. Heute können sie trotz Verboten für ihre Gruppierungen innerhalb ihrer Kurve weitgehend unbehelligt agieren. Vor wenigen Wochen hingen sie bei einem Auswärtsspiel eine Zaunfahne mit einem Siemon-Porträt im Fadenkreuz auf. Nachdem Frahn aufgrund seiner unbestrittenen Nähe zu rechten Ultras gefeuert wurde, musste die Polizei die Geschäftsstelle absichern. Wenig später tauchten im Toilettentrakt des CFC bei einem Heimspiel Schmierereien auf, die zum Mord an Siemon und Sportdirektor Thomas Sobotzik aufriefen. Und schließlich wurde Sobotzik, ein gebürtiger Pole, der den Kurs gegen rechts unterstützt und von manchen als Erfüllungsgehilfe Siemons gilt, vor wenigen Wochen in München von den eigenen Anhängern als „Judensau" bezeichnet. Auch der Satz „Daniel Frahn ist wenigstens kein Neger" soll gegenüber einem farbigen Spieler gefallen sein.
Einsicht der Betroffenen blieb aus
Inzwischen ist sogar die Abwicklung des CFC denkbar. Gerade nach der chaotischen Mitgliederversammlung, bei der die Wahl eines neuen Aufsichtsrates scheiterte. Insolvenzverwalter Siemon hatte im Vorfeld angedroht, den Verein zu liquidieren, sollte seine vorgeschlagene Liste für den Aufsichtsrat durchfallen. Er pochte auf sein Alleinbestimmungsrecht. Zudem wollte der streitbare Anwalt den vom Amtsgericht eingesetzten Notvorstand für die Dauer der Mitgliederversammlung verhaften lassen, weil dieser seine Linie nicht ausreichend unterstütze. Da nur zwei Personen als unabhängig gegenüber Siemon oder der im Herbst 2018 ausgegliederten CFC Fußball GmbH galten, ließen die Mitglieder die Liste scheitern.
Die Mehrheit empfand dies offenbar als Erpressung. Siemons Auftreten sorgte zudem dafür, dass sich normale Fans dazu entschlossen, sich mit dessen Gegnern, die eben von rechts kommen, zu solidarisieren. Gerade deshalb ist die Lage in Chemnitz kompliziert. Bei der stattdessen durchgeführten Einzelpersonenwahl zog der letzte Kandidat seine Bewerbung kurzfristig zurück. Damit war die ganze Veranstaltung geplatzt. Ohne Aufsichtsrat kann kein neuer Vorstand bestimmt werden, Siemon bleibt vorerst der starke Mann beim CFC. Trotz umstrittener Vorhaben, so soll etwa das renommierte Nachwuchsleistungszentrum abgewickelt werden. Und obwohl Chemnitz im Chaos liegt, wünscht sich der Verein für seinen neu eingeschlagenen Weg mehr Unterstützung. Nachdem Frahn entlassen wurde, gab es überregional viel Zuspruch für die Entscheidung. Vor Ort tauchten die Verantwortlichen ab: „In Chemnitz und im Umland hatte sich nur die AfD öffentlich geäußert, sonst niemand. Das hat mich sehr gestört, und ich finde das sehr schade", sagte der Sportvorstand Sobotzik. Lars Fassmann, Chemnitzer Stadtrat (Vosi/Piraten) und Kenner des CFC, wundert das nicht. „Viel zu zögerlich", sagt Fassmann, sei die Reaktion der Lokalpolitik. Bis vor Kurzem sei die Präsenz der Chemnitzer Hooliganszene in der Stadtgesellschaft „normal" gewesen. Warum das so ist, ist dabei schnell erklärt.
Kleines Fünkchen Hoffnung
Die Firma des verstorbenen Haller sicherte jahrelang das Pressefest der lokalen Tageszeitung und das Stadtfest ab. In Chemnitz herrschte eine unheilvolle Symbiose aus Politik, Verwaltung und Hooligans. Rechte Strukturen wurden so indirekt mit öffentlichem Geld gefördert. „Daniel Frahn ist genau wie andere entlassene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des CFC ein Bauernopfer", sagt Fassmann. „Die Leute, die es wirklich verbockt haben, die was ändern könnten, die werden nicht zur Rechenschaft gezogen." Zumindest ein kleines Fünkchen Hoffnung keimt mittlerweile auf. Der Club hat sich dazu entschieden, gegen die Nazi-Hooligan-Strukturen vorzugehen. Im Frühjahr gründete sich die Faninitiative CFC-Fans gegen Rassismus. „Dass es diese Initiative gibt, ist Gold wert", sagt der Fanforscher Robert Claus bei „11Freunde.de". „Bisher war Chemnitz einer der wenigen Standorte im deutschen Fußball, an dem es überhaupt keine antirassistische Faninitiative gab." Allerdings und deshalb ist es auch nur ein Fünkchen Hoffnung, diese Gründung sieht nur auf dem Papier gut aus. Ein Mitglied des Bündnisses wurde bereits innerhalb des Stadions von rechten Ultras bedroht.
In der vergangenen Woche ist die Situation dann auch sportlich endgültig eskaliert. Müde geworden von den Anfeindungen warf Sportchef Sobotzik das Handtuch, will aber immerhin bis Mitte September für eine geordnete Übergabe sorgen. Cheftrainer David Bergner wurde anschließend auf eigenen Wunsch von seinen Aufgaben entbunden. Einem Bericht der „Bild"-Zeitung zufolge ziehen Bergner und Sobotzik Konsequenzen aus den Anfeindungen in den vergangenen Wochen. Die sportliche Situation soll bei den Entscheidungen nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben.
Finanziell am Ende, sportlich angeschlagen und der Ruf komplett ruiniert: Es dürfte im deutschen Fußball keine größere Baustelle geben als den Chemnitzer FC.