Bei seiner Beförderung zum Profi-Trainer bei Werder Bremen galt Florian Kohfeldt als Verlegenheitslösung. Heute gilt er als einer der kommenden Top-Trainer Deutschlands.
In dieser Saison muss Florian Kohfeldt erstaunlich früh so etwas wie eine Krise moderieren. Die offensiv formulierten Ansprüche und die insgesamt doch starke Vorsaison haben bei Werder Bremen Erwartungen geschürt. Doch in Max Kruse ging im Sommer der große Leader, dann setze eine große Verletzungsmisere ein, und schließlich gab es zum Start zwei unglückliche Niederlagen. Skeptiker sagen: Jetzt kann der Kohfeldt mal zeigen, ob er wirklich so gut ist. Befürworter sagen: Nun kriegt er den letzten Feinschliff, den er für seine bevorstehende große Trainerkarriere braucht.
Die Befürworter sind im Fall Kohfeldt gegenüber den Skeptikern derzeit aber deutlich in der Überzahl. Vor allem in Bremen, aber auch im Rest der Republik. Dies liegt vor allem daran, dass der 36-Jährige viele Stärken vereint. Er ist ein guter Taktiker, aber auch ein Motivator, der die Spieler mit Empathie erreicht und die Mannschaft im Griff hat. Gleichzeitig bewegt er sich mit Charme, Fannähe und Eloquenz sicher in der Öffentlichkeit, wurde direkt zum neuen Gesicht von Werder, das sich bei Anhängern, Medien und Sponsoren höchster Beliebtheit erfreut. Von der Art seines Auftretens her erinnert Kohfeldt mit seiner Emotionalität und seiner sprachlichen Genialität, komplizierte Dinge griffig auf den Punkt zu bringen, am ehesten an Jürgen Klopp, und das, obwohl er im Gegensatz zu vielen anderen Bundesliga-Trainern wie Sandro Schwarz, Marco Rose oder David Wagner (siehe FORUM aus der Vorwoche) noch keine Kontaktpunkte zum heutigen Liverpool-Coach hatte. Umgekehrt ist es aber sicher kein Zufall, dass ausgerechnet Borussia Dortmund für die Zeit nach Lucien Favre schon ein Auge auf Kohfeldt geworfen hat. Schließlich hat Klopp, mit dem sich Kohfeldt auch noch den Berater teilt, dort in sieben Jahren für eine echte Ära gesorgt. Sämtliche Nachfolger müssen sich an ihm messen lassen.
Emotionalität und sprachliche Genialität
Nachdem Werder am dritten Spieltag gegen den FC Augsburg einen erlösenden 3:2-Sieg feierte, gab Kohfeldt zu Protokoll: „Ich habe als erstes die Wäschefrau umarmt. Sie ist eine sehr, sehr wichtige Frau für uns." Und über Yuya Osako, der mit zwei Treffern der entscheidende Mann war, erzählt er, er habe ihn beim Spaziergang am Morgen zur Seite genommen und gesagt: „Heute Doppelpack, Yuya." Wie Klopp scheint Kohfeldt zu jedem Ereignis direkt eine Geschichte parat zu haben, die er offenherzig und launig teilt. Das ist eine Volksnähe, die viele andere Trainer nicht haben und die sie sich auch gar nicht erst trauen, weil sie fürchten, sie fliege ihnen irgendwann um die Ohren.
Kohfeldt denkt aber auch immer an die anderen, und man glaubt ihm, dass das aufrichtig ist. Als Werder im Vorjahr trotz eines groben Schnitzers von Stuttgarts Torhüter Ron-Robert Zieler 1:2 verlor, sagte er: „Es freut mich fast schon wieder für Zieler, dass sie dadurch keine Punkte verloren haben." Und als sich ganz Fußball-Deutschland nach Werders unglücklicher Halbfinal-Niederlage im DFB-Pokal gegen den FC Bayern durch einen zweifelhaften Elfmeter echauffierte, sagte ausgerechnet der Trainer des Verlierers direkt nach dem Schlusspfiff: „Natürlich ist der Pfiff brutal. Aber ganz deutlich: Bayern hat sich das verdient. Das jetzt hier zu reduzieren auf einen Bayern-Bonus, das will ich nicht, das wird auch uns nicht gerecht. Das ist Quatsch." Die „Welt" stellte schon früh fest: „Dieser Trainer tut der überhitzten Branche gut." Die „Süddeutsche" lobte den „Akademietrainer ohne Schlaubischlumpf-Gefahr."
Was Kohfeldt mit vielen Trainer-Talenten seiner Generation eint, ist die Tatsache, dass er kein großer Spieler war. Er wuchs in Delmenhorst auf und kam nie über Engagements bei Jahn Delmenhorst und der Dritten Mannschaft von Werder hinaus und somit auch nicht über die Bremen-Liga. Über seine Profi-Ambitionen als Spieler sagte er mal: „Eigentlich wusste ich schon nach meinen beiden ersten Trainingseinheiten in Bremen, dass es damit nichts wird."
Kohfeldt ist eben Realist, aber auch extrem ehrgeizig. Und sein Weg als Trainer schien früh vorbestimmt. Sein Jugendcoach Reinhard Schumacher berichtete dem „Weser-Kurier" einst, dass Kohfeldt im Alter von zwölf Jahren mal die Handschuhe auf den Boden pfefferte und das Spielfeld vor Ende verließ, weil er sich von den Mitspielern im Stich gelassen schien. Und am nächsten Tag überreichte er dem Trainer eine Mappe mit neun handgeschriebenen Seiten. „Da standen mögliche Aufstellungen drauf. Was wir trainieren könnten. Welcher Spieler wo spielen könnte", berichtete Schumacher: „So etwas habe ich von einem Kind in dem Alter noch nie gesehen." Und woran sich Schumacher auch erinnerte: „Wenn er redete, hörten die anderen Kinder zu."
Mit 24 Jahren trainierte er die Jugend
Schon mit 24 trainierte er nebenher Jugend-Teams von Werder Bremen und arbeitete sich hoch, bis er schließlich im Herbst 2017 von der U23 zu den Profis befördert wurde. Er entwickelte Werder direkt wieder zum ernsthaften Europacup-Aspiranten, der zudem attraktiven Fußball spielt, und machte auch zahlreiche Spieler augenscheinlich besser. Doch während andere von großen Zielen und anderen Vereinen fabulieren, sagt er: „Meine größte Angst ist es, dass ich hier irgendwann gehen muss. Das würde mich tief treffen. Aber wenn ich zehnmal hintereinander verliere, können Frank Baumann (der Manager, Anm. d. Red.) und ich uns noch so sehr mögen. Dann heißt es irgendwann: Stell dich doch besser wieder in die Ostkurve." Das ist ein Zeichen von Realismus, aber auch von Selbstvertrauen. Er weiß, dass es so schnell nicht so kommen wird. Ungewöhnlich ist aber, dass er seinen ohnehin bis 2021 laufenden Vertrag bis 2023 verlängerte, und erklärte, er werde auf jeden Fall so lange bleiben, falls Werder ihn nicht entlasse. Daran wird er sich messen lassen müssen. Egal, welche Interessenten kommen. Falls er danach geht, werden sie es ihm bei Werder sicher verzeihen. „Irgendwann würde ich gern mal um den Titel spielen."
Der DFB hat ihn in diesem Jahr schon mit dem Trainerpreis ausgezeichnet, also quasi als „Trainer des Jahres" geehrt. Natürlich war diese Auszeichnung auch als Motivation gedacht, weil Kohfeldt ein Versprechen für die Zukunft ist. So lobte ihn DFB-Direktor Oliver Bierhoff als „Glücksfall". Und Werders Aufsichtsratschef Marco Bode brachte es auf den Punkt, als er mit Blick auf den sonst sehr kritischen Sky-Experten Hamann sagte: „Didi Hamann lobt ihn, meine Frau mag ihn – er muss ein Guter sein."