Die Rocky Mountains sind ein Paradies für Mountainbiker, in Idaho haben sie sogar etwas von Wellness. Denn der dünn besiedelte Staat ist reich an heißen Quellen mit Badetemperatur. FORUM-Autor Stefan Weißenborn war auf der quellenreichsten Etappe unterwegs.
Nicht steil, aber stetig geht es bergauf. Von oben brennt die Augustsonne aus kobaltblauem Himmel herab, von unten reflektiert gleißend die Schotterpiste das Licht. Ich nehme die Trinkflasche aus der Rahmenhalterung. Als ich ansetze, kommt von hinten ein freundliches, dreifaches „Hi, guys!" Drei Mädels auf Mountainbikes ziehen vorbei. Eine der jungen Frauen hat einen Schlauch im Mund, der hinter ihren Schultern in einem Trinkrucksack verschwindet. Profis, die an alles gedacht haben. Der Weg vor uns schlängelt sich den Lauf des Boise Rivers flussaufwärts entlang. Die drei Cracks radeln irgendwann weit vor uns.
Wir sind unterwegs auf der Idaho Hot Springs Mountain Bike Route – ein Traum für Radler des Fachs. Ein Traum, der mich und Ralf, der mich begleitet, gerade allerdings viel Schweiß kostet. Doch es wird ein kleines Abenteuer. „Abenteuer light", wie Ralf zu sagen pflegt. Wie jedes Vorhaben, das einen im Leben weiterbringen soll, dachte ich mir bei der Reiseplanung: Wenn ich meine Komfortzone verlasse, kann das auch fürs Radfahren in Idaho kein schlechtes Rezept sein. Vergleichsweise untrainiert in die Rockys? Im August? Das wird schon. Zumal der Plan ja auch verlockend klang. Radeln durch majestätische Bergkulissen, hier und da eine heiße Quelle, in der man müde Radlerwaden wiederbeleben kann!
Wer von Deutschland nach Idaho fliegt, landet in Boise, der Hauptstadt des Bundesstaates, der östlich von Washington State und Oregon im Nordwesten der USA an Kanada grenzt. Im Idaho Mountain Touring, einem Outdoor-Shop auf der Maine Street, besorgen wir Leihräder und letzte Sachen. „Das Zeug schmeckt ziemlich gut", sagt der gleichermaßen sehnige wie wettergegerbte Verkäufer Dax, als ich rätselnd den Ständer mit Tüten-Trockennahrung beäuge: „Beef Stroganoff", „Fettuccini Alfredo", „Scrambled eggs". „Du musst nur Wasser dazu geben, fertig", sagt Dax, „was aber auf keiner Radtour in die Berge fehlen darf …", er hält eine kleine Flasche hoch, „… ist ein Mittel zur Wasserreinigung." Ein paar Tropfen würden genügen, um abgefülltes Flusswasser genießbar zu machen, zu entkeimen. Man wisse ja nie, ob weiter oben ein totes Tier im Wasser liege.
Die Satteltaschen werden bärensicher aufgehängt
Ein paar Kilometer hinter Idaho City, ein Dorf als Rest einer einstigen Goldgräber-Boomtown, wuchten wir an einer Bergkuppe in den Boise Mountains unsere Räder aus dem Kofferraum des Vans. Nachdem die Satteltaschen eingehakt sind und unsere Chauffeurin in einer Staubwolke verschwunden ist, sind wie allein. Die Morgenluft ist kühl, es liegt Würze in der Luft. Beschwingt radeln wir durch einen Teppich lila blühender Prärielilien entlang eines Sandweges, an den Hängen wachsen kerzengerade Ponderosa-Kiefern. In der Ferne erheben sich die teils über 3.000 Meter hohen Gipfel der Sawtooth Range.
Bald versperrt dichter Wald die Sicht, rechter Hand plätschert ein Bach, der kaum ahnen lässt, dass wir 15 Minuten später in einer Art Wüste ankommen. Im Tal liegt als tiefblauer Farbklecks der aufgestaute Boise River in einer Landschaft aus vegetationslosen braunen Hügelrücken. Mittlerweile ist es knallheiß. Ausgerechnet im Hochsommer in Richtung heißer Quellen zu radeln, kommt mir gerade absurd vor. Aber die Angelegenheit hat eine historische Dimension: Schon 1892 nutzte man in Boise das heiße Wasser aus der Erde für ein Heizungssystem. 200 Häuser und öffentliche Gebäude wurden versorgt. Idaho besitzt USA-weit die meisten heißen Quellen mit Badetemperatur – 130 der insgesamt 340 sollen es sein.
Wir halten mehrfach, trinken Wasser, das wir mittels Filterpumpe dem Fluss entnehmen, fahren Stunde um Stunde, die Berge sind wieder von grünen Tupfen bedeckt. Da erreichen wir mit „Twin Springs" die erste heiße Quelle, die jedoch nicht ganz der wildromantischen Vorstellung entspricht. „Twin Springs" ist eine Ansammlung einfacher Holzhütten am Fluss mit runden Wannen im Terrassenboden, die für Gäste per Schlauch mit heißem Quellwasser befüllt werden. Aber es handelt sich um ein Tourismus-Urgestein. Denn „Twin Springs" beherbergt seit Ende des 19. Jahrhunderts Gäste, als in der Nähe in einem Erdloch, Glory Hole genannt, Gold aus dem Felsen geholt wurde. „Das hier war ursprünglich eine Behausung für Minenarbeiter", sagt Devon, der in „Georges Tavern" hinter der Bar steht. An der Wand hängen alte Aufnahmen aus der Goldgräberzeit, der gusseiserne Ofen daneben tut’s noch. Wir kaufen bei Devon Bier für den Abend und müssen weiter. Die Sonne ist weg, es dämmert. Der Middle Fork Boise River, wie einer der Flussarme weiter oben heißt, kerbt sich durch kleine Schluchten. In einer Schleife bildet angesammelter Sand einen Strand, ein super Plätzchen! Wir schieben die Räder auf den weichen Sand, laden ab, schlagen unser Zelt auf und hängen die Satteltaschen in bärensicherer Höhe an einen Ast. Am Ufer sitzend, ein Bier in der Hand, betrachten wir die Forellen, die im klaren Wasser stehen. Zum Abendessen gibt’s Ravioli vom Bunsenbrenner. Der Fluss rauscht, und als es dunkel ist, geben die Grillen ohrenbetäubend laut ihr Bestes. „Hör Dir das mal an", sagt Ralf. Wer noch nie in Bear-Country im Freien geschlafen hat, könnte trotz aller Beschwichtigungen kundiger Einheimischer schlecht schlafen. Schwarzbären seien scheu, hieß es. Ich aber träume von zotteligen Tatzen, die sich hiebweise und unaufhaltsam durch die Zeltwand arbeiten. Am Morgen ist selbst das Gepäck unversehrt, der Instantkaffee schmeckt herrlich. Wieder im Sattel, überholen uns erneut die drei fitten Radlerinnen. Sie müssen ihr Quartier weiter unten bezogen haben. Die Minuten, die wir nebeneinander radeln, erfahren wir, dass sie gestern an einer heißen Quelle übernachtet haben und das Bad „fantastic" fanden. Dann geben sie wieder Gas.
Der Fluss bildet natürliche Pools
Auch wir wollen eine naturbelassene Quelle finden, was sich aber als nicht ganz einfach gestaltet, denn Beschilderungen gibt es kaum. Das ist unpraktisch, aber auch ein gutes Zeichen – denn was in den USA infrastrukturell „underdeveloped" ist, verheißt meist eine Entdeckung. Unsere Hot-Springs-Karte, die wir immerhin aufgetrieben haben, weist einen Wasserfall aus; um die heiße Dusche zu erreichen, müssten wir aber durch den Fluss waten. Wir entscheiden uns für das nächste Symbol auf der Karte.
Einige Kilometer weiter radeln wir über eine Holzbrücke, zwei Fliegenfischer stehen in der Flussmitte und lassen ihre Leinen tanzen. Am Ufer, das weit und flach abfällt, schlängeln sich Rinnsale zum Boise River, hier und da bilden sie Pools. Ich bin auf der Hut, dass ich meine Füße nicht verbrühe. Doch die Becken sind angenehm warm, eine Wohltat, danach durch das eiskalte Flusswasser zu waten. Ein Stück weiter finden wir sogar einen badewannengroßen Pool, hübsch eingerahmt von Steinen, die jemand gesammelt und aufgetürmt haben muss.
Ein Moment unfassbaren Glücks
Unser nächstes Etappenziel nach dem wohltuenden Bad lautet Featherville, ein weiteres kleines Nest im dichten Wald, das keinen Wikipedia-Eintrag besitzt, aber über Mobilfunksignal verfügen soll – gut für Radreisende, die ein Lebenszeichen aussenden wollen. Unsere Berechnungen, es am Spätnachmittag zu erreichen, erweisen sich jedoch als unrealistisch. Denn der nächste Berg macht ernst. Anfangs motiviert, dann zwischendurch schiebend und bald sinnlos hadernd, ob nicht doch ein E-Mountainbike die bessere Wahl für uns gewesen wäre, kommen wir die letzten Energieriegel mampfend an unsere körperlichen Grenzen. Aber wie war das noch mal mit der Komfortzone? Ich rolle meine Isomatte aus und lege mich einen Moment hin, Kraft tanken, auch im Kopf. Kurze Zeit später ungeahnte Anfeuerung von rechts: Am Wegesrand begleitet uns hoppelnd ein Eichhörnchen, es bleibt stehen, wenn wir langsamer werden, schaut und hoppelt weiter: Na kommt schon, scheint es sagen zu wollen. Nach brutal zermürbenden fünf Stunden vernehmen wir ein Plätschern. Wie wild gewordene Tiere arbeiten wir uns durchs Grün am Wegesrand, bis Wasser über unsere Hände läuft. Eine Quelle tritt aus dem Fels. Wir trinken und trinken. Waschen uns das Salz vom Gesicht. Füllen das köstliche Nass in unsere Flaschen ab. Nach 20 Metern des weiteren Schiebens dann der Bergkamm. Die geschafften 1.000 Höhenmeter bis auf 2.100 Meter sagen nichts darüber aus, wie schön die Aussicht ist, wie sie sich mit zitternden Beinen anfühlt: Dolomitenhaft geformte Massive umsäumen den Steel Mountain. Im Tal sammelt sich zum Abend Dunst, der wie alles in der milden Abendsonne leuchtet. Ein Moment unfassbaren Glücks. In der hereinbrechenden Dämmerung schwingen wir uns in den Sattel und lassen es laufen, es geht wieder bergab. Der Fahrtwind ist eine Wohltat.
Um halb zehn strampeln wir einem beleuchteten Gebäude entgegen: dem „Featherville River Motel". Zum Glück ist noch ein Zimmer frei. Im benachbarten Saloon bestellen wir eine Pizza, die zu unserer Verwunderung von einem Mann mit Motorroller geliefert wird und radgroß ist: „That’s the way we make pizza!", raunt er. Wir verarbeiten die feste Nahrung in Windeseile. Am nächsten Morgen in „Cyndies Featherville Café" entdecke ich ein Bild an der Wand: Es zeigt zwei Radlerinnen mit Sack und Pack vorm Café, die die ganzen 800 Kilometer des Idaho-Hot-Springs-Mountain-Bike-Route gemacht haben, so die Beschriftung. „Ich bewirte die Verrückten gern", sagt Pat Christensen, der mit seiner Frau Cyndie den Laden schmeißt. Auch uns gießt er eine Tasse heißen Kaffees ein.