Sportlich sind sie alle, die Rennwagen von Lamborghini, aber der Aventador SVJ ist das Spitzenmodell der Marke. Seine Höchstgeschwindigkeit liegt bei mehr als 350 Kilometern pro Stunde. Es wird nicht mehr als 900 Stück von ihm geben. Wir haben den Aventador SVJ getestet – aus Beifahrersicht.
Ein Lamborghini kennt keine Zurückhaltung. Er ist nicht dezent oder sanft. Er will auffallen – selbst mit seiner Farbe. Unser Testwagen, ein Lamborghini Aventador SVJ, ist in einem matten Lack in froschgrün lackiert. Er sieht faszinierend schön aus, wie er da steht: taillenhoch, lang, flach und keilförmig. Die Windschutzscheibe ist fast genauso flach geneigt wie die Motorhaube. Das führt dazu, dass der Ausblick von innen im oberen Teil eingeschränkt ist, wenn man 183 Zentimeter groß ist und damit die Maximalgröße erreicht hat, mit der man in diesem Auto sitzen kann.
Zwischen Motorhaube und Frontspoiler liegen Lüftungsgitter, die den Fahrtwind so unterhalb des Wagens entlangströmen lassen, dass ein maximaler Andruck auf die Fahrbahn stattfindet. Das allein reicht jedoch bei Weitem nicht aus, um diesen Extremsportler auf dem Boden zu halten.
Unterhalb der Seitenfenster zieht sich eine markante Linie bis zum Heck durch. Sie bildet den oberen Rahmen einer Fläche, die nach unten hin durch eine Art Seitenspoiler abschließt. Die Gesamtform wirkt wie ein Lufttrichter, der Fahrtwind in die riesigen Lüftungsgitter vor den Hinterrädern mit einer Breite von 355 Millimeter hineinschaufelt. Im Heck befindet sich der Zwölf-Zylinder-Saugmotor des Aventador SVJ mit seinen 770 PS.
Wie der Heckflügel eines Flugzeugs
Es sind keine Kaltblüter, die hier ihren Dienst verrichten, sondern feurige Araberhengste. Sie brüllen ihre Kraft bereits beim Anlassen in die Welt hinaus und wollen rennen. Rennen bis zur Grenze der Belastbarkeit des menschlichen Körpers. Die Beschleunigung ist so brachial, dass die Sicherheitsgurte eine ganz neue Bedeutung bekommen. Eigentlich dafür gedacht, den Insassen an der Rückenlehne seines Sitzes zu halten, sorgen sie in diesem Auto auch dafür, dass der Insasse in der Nähe der Sitzfläche bleibt. Denn aufgrund der extremen Beschleunigung hebt es mich regelrecht nach oben. Ich gleite an der Rückenlehne Richtung Wagendecke. Zum Glück hält mich der Gurt zurück, denn ich habe ohnehin nur noch eine Hand breit Platz zum Himmel des Innenraums.
Von hinten betrachtet sieht es so aus, als wenn der Lamborghini Aventador SVJ die maximal zulässige Breite für den Straßenverkehr hat. Noch ein Zentimeter mehr und er müsste wohl ein warnendes Rundum-Blinklicht wegen Überbreite haben. Den in Schreibschrift geschwungenen Namenszug „Lamborghini" rahmen flache Leuchtelemente ein. Den größten Teil des Hecks dominiert ein Lüftungsgitter in Wabenform, das zur Designsprache von Lamborghini gehört. Mitten in diesem Gitter ragen zwei Auspuffrohre, fast so dick wie ein schlanker Oberschenkel, heraus. Wenn ich bei einer Pause die Beifahrertür öffne, höre ich ein lautes Rauschen. Es erinnert mich an das Geräusch von Turbinen eines startenden Flugzeugs. Tatsächlich ist es die Belüftung des Motors, die die Hitze der Aggregate nach hinten hinausbläst. Steht man in solch einem Moment hinter dem Lamborghini, denkt man, jemand hätte einen eingeschalteten Umluftherd geöffnet.
Unterhalb der Lüftungsgitter fassen Diffusoren das Nummernschild ein. Sie dienen ebenfalls dazu, die Luft zu leiten und dafür zu sorgen, dass der Aventador SVJ immer den notwendigen Anpressdruck auf die Straße erhält. Direkt auf der Heckklappe thront ein Flügelspoiler, der sich über die gesamte Breite des Autos erstreckt. Der Druck, der während der Fahrt auf ihm lastet, muss gewaltig sein. Um diesen besser bewältigen zu können, hat Lamborghini den Flügelspoiler in der Mitte abgefangen. Nicht nur aus technischer Sicht ist den Konstrukteuren ein Meisterwerk gelungen, sondern auch die Designer dürften zufrieden damit sein. Denn so entsteht der Eindruck eines Heckflügels eines Flugzeugs mit seinem Leitwerk.
Bei den meisten anderen Autos hätte ich ein Heckfenster erwartet. Nicht beim Aventador SVJ. Hier gibt es zwar Glaselemente, aber sie sind rechts und links eines Dreiecksfensters, das nach oben hin spitz zuläuft, von drei schräg verlaufenden Lamellen überdeckt. Hierunter findet sich das Triebwerk, das von einem Kreuz mit diagonal verlaufenden Streben überspannt ist, um der Karosserie mehr Halt zu geben.
Wer sich den Motor anschauen möchte, klappt nicht einfach die Heckklappe nach oben, sondern löst zwei Verschlüsse in der Nähe des Heckspoilers und hebt die gesamte Abdeckung zur Seite. Ein Attribut aus der Formel 1.
Die Straßenlage ist absolut perfekt
Es gibt noch viele weitere Merkmale, die dieser Rennwagen mit seinen Geschwistern aus der Formel 1 teilt. Ein weiteres ist die sogenannte Push-Rod-Aufhängung. Eine Dämpfung, die es sogar im Rennmodus – passenderweise „Ego Mode" genannt – möglich macht, mit akzeptablem Federungskomfort über die Straßen zu donnern. Die Straßenlage ist perfekt. Allradantrieb und Allradlenkung sorgen dafür, dass der Aventador SVJ wie auf Schienen durch die Serpentinen der Berge um Sant’Agata Bolognese schießt.
Vor einigen Jahren haben wir bereits den Lamborghini Aventador LP 700-4 getestet. Er hat, wie unser aktueller Testwagen auch, Schmetterlingstüren. Das sind Türen, die an Scharnieren nach oben schwingen, denn würden sie wie Flügeltüren seitlich öffnen, würden sie an jedem Bordstein hängen bleiben, so tief liegt das Auto. Im Gegensatz zum Aventador SVJ öffnet sich beim LP 700-4 auch ein Stück des Daches. Darauf hat Lamborghini dieses Mal verzichtet, vermutlich um der Karosserie noch mehr Stabilität zu geben. Für uns als Insassen führt das dazu, dass der Ein- und Ausstieg etwas unelegant wird, denn wir müssen uns in den Innenraum hinein ducken und aussteigen, indem wir erst die Beine hinaus schwingen, aber auf dem Sitz sitzen bleiben und dann mit nach vorne geklapptem Oberkörper hinaus krabbeln. Ein Chilene, den wir während unseres Tests kennenlernten, erzählte mir später, dass er sich fragte, warum ich da so unelegant aus diesem Auto kriechen würde. Nachdem er sich selbst einmal hineinsetzen durfte, verstand er schnell, warum.
Aber das spielt wirklich keine Rolle. Sitzt man erst einmal im Cockpit des Aventador SVJ, fühlt man sich wie in einer Raumkapsel. Die Decke schwebt nur eine Hand breit über meinem Kopf. Die Tür ist innen mit dunkel glänzendem Carbon verkleidet und hat nur eine Griffschlaufe aus rotem Leder, damit ich die Tür von innen zuziehen kann. Der Türöffner findet sich im Schweller des Einstiegs.
Die Mittelkonsole hat fast die gleiche Neigung wie das Armaturenbrett. Sie verstärkt den Eindruck, in einem Kampfjet zu sitzen, denn sie ist gespickt mit Schaltern und Hebeln. Auch der Schalter, um die Seitenfenster zu bedienen, findet sich hier. In der Mitte der Konsole prangt ein feuerroter Deckel – genau wie in einem Phantom-Jet. Erst wenn der Fahrer diesen angehoben hat, kann er die Triebwerke starten und loslegen. Ein wichtiger Unterschied zum Phantom-Jet besteht jedoch: Der Lamborghini ist schneller – zumindest beim Start.
Das Armaturenbrett ist im unteren Teil mit schwarzem Leder ausgekleidet, zur Windschutzscheibe hin ziert es Alcantara. Ebenfalls in schwarz. Der Blick aus den Fenstern ist eingeschränkt, bedingt durch die kompromisslose Bauform. Ein Blick nach hinten gibt die Sicht auf den Motor, die Lamellen und den Heckflügel frei. Nur eine kleine Scheibe trennt die Insassen vom Maschinenraum. Ablagen für Kleinigkeiten oder ein Handschuhfach gibt es nicht. Jedoch befindet sich hinter den Carbonsitzen eine Ablagefläche, die geeignet ist, größere Reisetaschen aufzunehmen. In Kombination mit dem erstaunlich großen Kofferraum unter der Fronthaube, in den ein mittelgroßer Koffer passen dürfte, bietet sich so genug Platz, um zu zweit in Urlaub zu fahren.
Ein Kunstwerk wie ein teures Gemälde
Der Sitzkomfort ist überraschend hoch. Als ich zum ersten Mal in den SVJ einsteige, suche ich nach den Einstellmöglichkeiten für den Sitz. Gewohnt bin ich Knöpfe, um den Sitz mithilfe von kleinen Elektromotoren an meinen Körper anzupassen. Was ich finde ist jedoch nur eine unter der Vorderkante des Sitzes verlaufende Querstange. Mit dieser kann ich den Sitz vor- und zurückschieben. Das war es dann. Trotz der Faszination des Autos befallen mich leichte Zweifel, ob ich am Ende des Tests noch werde gerade gehen können. Doch meine Befürchtungen sind vollkommen unbegründet. Die Sitze sind so gut konzipiert, dass sowohl mein Fahrer als auch ich selbst ausgezeichnet darin sitzen können, obwohl unser Körperbau deutlich differiert. Selten habe ich ein so beeindruckendes, schönes und einzigartiges Auto erlebt wie den Lamborghini Aventador SVJ. Eine Meinung, die fast alle Menschen, denen wir begegneten, teilten. Autos, die entgegenkommen, grüßen uns mit Licht- und akustischer Hupe. Menschen schleichen regelrecht um den Aventador herum, wenn wir ihn parken und sie glauben, dass sie unbeobachtet sind. Die wenigen, denen wir anbieten, sich einmal hineinzusetzen, sind überglücklich und bedanken sich überschwänglich, ein solches Auto „erlebt" haben zu dürfen.
Über den Verbrauch und die Umweltverträglichkeit dieses Autos haben wir uns ausnahmsweise einmal keine Gedanken gemacht. Es erscheint uns nicht angebracht, bei einem Fahrzeug, von dem es maximal 900 Exemplare geben wird. Diese 900 werden in den meisten Fällen als Kunstwerk irgendwo in einer Privatsammlung stehen und so gut wie nie auf der Straße zu sehen sein. Wir hatten das große Glück, diesen Extremsportler für 402.000 Euro aus der Sicht des Beifahrers testen zu dürfen. Ohne jede Einschränkung!