Die traditionellen Reformhäuser haben heute mit einer boomenden Bio-Branche zu kämpfen. Jene droht die Vorreiter des Trends zum gesundheitsbewussten Leben zu überflügeln. Jetzt haben sich vier Filialbetriebe bei Einkauf und Marketing zusammengeschlossen.
Wer sich vor 20 Jahren vegan ernähren wollte, kam am Reformhaus nicht vorbei. Diejenigen, die auf glutenfreie Lebensmittel angewiesen waren oder einfach ganz besonders gesundheitsbewusst leben wollten, auch nicht. Inzwischen ist all das im Mainstream angekommen. Gesunde Ernährung und Bio-Lebensmittel sind ein ungebrochener Trend. Doch ausgerechnet die Pioniere von einst profitieren wenig davon.
In den vergangenen 20 Jahren hat sich die Zahl der Reformhäuser in Deutschland nach Angaben der Reformhaus-Genossenschaft mehr als halbiert – von 2.800 auf heute rund 1.200 Läden. 900 davon sind reine Reformhäuser, 300 beispielsweise Apotheken, die als Lizenznehmer gleichzeitig Reformhäuser sind und über ein entsprechendes Sortiment verfügen. Der Branchenumsatz liegt bei rund 670 Millionen Euro pro Jahr. „Das Reformhaus geriet Stück für Stück ein bisschen in Vergessenheit", sagt Genossenschafts-Vorstand Rainer Plum. „Man hat den Kunden aus den Augen verloren."
Drogerien, Biomärkte, Einzelhandel – die Konkurrenz ist groß
Die Reformhaus-Kette Vitalia musste vor rund zehn Jahren Insolvenz anmelden. Seitdem wurde die Kette von der Vita Sinn GmbH weiter betrieben, die seit 2011 Vitalia GmbH heißt. „Die Insolvenz liegt ja nun schon zehn Jahre zurück", sagt der heutige Vitalia-Prokurist Florian Lindner im oberbayerischen Bruckmühl.
„Der neue Eigentümer hat sehr viel Geld in die Modernisierung der Geschäfte investiert. Wir sind heute noch am Markt – mit 86 Geschäften bundesweit." Seit diesem Jahr entwickelten sich die Umsätze wieder positiv, betont Lindner. Ein Grund ist seiner Einschätzung nach auch die neue Optik der Läden. Der Weg dorthin war allerdings steinig. „Die Reformhäuser haben sicherlich zu Beginn des Branchen-Booms verschlafen, die jüngeren Generationen mitzunehmen", sagt Lindner. „Der neue Wettbewerb mit den aufkommenden Bio-Läden wurde nicht richtig ernst genommen." Heute sei nicht mehr der Bio-Laden der große Konkurrent für die Reformhäuser, sondern der klassische Lebensmittel-Einzelhandel und vor allem die Drogerien. „Die sind in dem Bereich inzwischen stark aufgestellt."
„Die Reformhäuser haben sehr viel Konkurrenz auf vielen Ebenen", sagt auch Fabian Ganz vom Marktforschungsunternehmen Biovista, das sich auf die Bio- und Reformwarenbranche spezialisiert hat. Im Lebensmittelbereich seien das Bio-Märkte und inzwischen auch der konventionelle Einzelhandel, im Kosmetik- und Gesundheitsbereich Drogerien und Apotheken. Und das, obwohl Reformhäuser oft Pioniere waren. „Viele der Trends, die heute Mainstream geworden sind, hat das Reformhaus mit gesetzt."
„Wer sich vor zehn, 15 Jahren mit Vollwertkost ernähren musste oder wollte, kam um den Gang zum Reformhaus nicht herum", sagt Ganz. Ebenso bei veganer Ernährung. Die Reformhäuser seien auch die ersten gewesen, die sogenannte Superfoods oder den gehypten Manuka-Honig aus Neuseeland verkauft hätten. „Die schafften es, ihrer Zeit voraus zu sein", sagt Ganz. „Aber es gibt mittlerweile für all das viele andere Vertriebskanäle."
Ein Vorteil des Reformhauses ist die Beratungskompetenz
Er sieht ein Problem im nach wie vor etwas angestaubten Image der Reformhäuser. „Bestimmt geht es auch um die modernere Aufmachung", sagt er. „Generell ist das Reformhaus eher eine tradierte Einkaufsstätte, die es nicht geschafft hat, eine jüngere Kundschaft anzuziehen. Es bleibt das Image, dass man das Reformhaus bei einer Krankheit aufsucht und erst einen gewissen Leidensdruck haben muss, um in ein Reformhaus zu gehen."
Das wollen die Reformhäuser ändern. Um gegen die Konkurrenz zu bestehen, haben sich vier Reformhaus-Filialbetriebe bei Einkauf und Marketing zusammengeschlossen. Genossenschafts-Vorstand Plum spricht von einem „Repositionierungsprozess". Die dafür Ende Juni gegründete Reform Alliance GmbH wird für über 500 Reformhäuser und Biomärkte in Deutschland, Österreich und der Schweiz tätig werden.
Seither wird gemeinsam für die Stärken des Reformhauses geworben – nach Einschätzung Lindners und Plums ist das vor allem die Beratungskompetenz der Mitarbeiter. „Da wird kräftig dran gearbeitet", bestätigt auch Marktforscher Ganz. „Allerdings entsteht eine Zusammenarbeit von Wettbewerbern ja auch immer erst dann, wenn der Leidensdruck entsprechend groß ist." Plum sagt: „Die Kampagne „Reformhaus – natürlich besser für mich" dient dazu, uns wieder auf das Radar der Kunden zu bringen."