Sechs Millionen Deutsche leiden an einer Stoffwechselerkrankung der Knochen. Vor allem Frauen sind nach den Wechseljahren von Knochenschwund betroffen, aber auch bei Männern steigt das Erkrankungsrisiko mit dem Alter. Ab 70 Jahren ist Osteoporose eine Volkskrankheit.
Im Laufe unseres Lebens wird unsere Knochensubstanz stetig umgestaltet. Unser Skelett unterliegt einem ständigen Ab- und Aufbauprozess und wird dabei mehrfach rundumerneuert. Dabei bauen Knochenbildner – Osteoblasten – das Knochengewebe auf, während gleichzeitig ihre Gegenspieler namens Osteoklasten entsprechendes Gewebe resorbieren. Bis etwa zum 30. Lebensjahr überwiegt der Knochenaufbau, wodurch sich die Knochendichte ständig erhöht. Danach reduziert sich die Knochendichte kontinuierlich, da nun spätestens ab dem 40. Lebensjahr der Knochenabbau überwiegt. Das ist ein ganz natürlicher, langsam verlaufender Prozess, der nur dann zu einer Krankheit führen kann, wenn er extrem beschleunigt abläuft und sich dadurch ein ausgeprägtes Ungleichgewicht zwischen Auf- und Abbau der Knochenmasse ausbildet.
Früher hatte man angenommen, dass der Knochenschwund eine typische Alte-Frauen-Krankheit war, die sich in einem gekrümmten Rücken oder in häufigen Knochenbrüchen dokumentiert hatte. Im Volksmund wurde die Osteoporose, die erst seit gut 20 Jahren als eigene Erkrankung anerkannt ist und für die es daher hierzulande noch vergleichsweise wenige Spezialisten (Osteologen) gibt, häufig nur als „Witwenbuckel" bezeichnet. In einer alternden Gesellschaft mit ständig steigender Lebenserwartung ist inzwischen jedoch klar geworden, dass auch immer mehr Männer im fortgeschrittenen Alter von Knochenschwund betroffen sind. Dennoch spielt das Geschlecht als Risikofaktor eine wesentliche Rolle. Denn der Umbau der Knochensubstanz wird in einem komplexen Zusammenspiel mit Mineralien und weiteren Hormonen von den Geschlechtshormonen Östrogen und Testosteron beeinflusst. Wenn sich daher bei Frauen ab dem 40. Lebensjahr die hormonelle Situation nach und nach ändert, und schließlich die Östrogenproduktion nach den Wechseljahren komplett eingestellt wird, kann das negative Folgen für den Knochenaufbau haben. Auch bei Männern im mittleren Alter wird die Testosteronproduktion heruntergefahren, dies hat aber geringere negative Auswirkungen auf den Knochenabbau.
Jede vierte Frau ab etwa 65 Jahren ist davon betroffen
Nach Schätzungen der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) sind daher 80 Prozent der Osteoporosepatienten Frauen nach den Wechseljahren. Zwischen 50 und 60 Jahren erkranken über 15 Prozent der Frauen an Osteoporose, ab etwa 65 Jahren ist schon jede vierte Frau davon betroffen. Bei Männern tritt der Knochenschwund wesentlich später als bei Frauen auf, im Schnitt mit einer Verzögerung von rund zehn Jahren. Schätzungen zufolge erleidet jede dritte Frau nach den Wechseljahren beziehungsweise nach ihrem 50. Lebensjahr einen Knochenbruch, der auf Knochenschwund zurückzuführen ist, ab 70 Jahren sogar jede zweite Frau. Ab 70 Jahren hat sich der Knochenschwund daher hierzulande inzwischen zu einer altersbedingten Volkskrankheit entwickelt.
Allerdings muss an dieser Stelle angemerkt werden, dass die Hormone nicht die einzigen Ursachen für die mögliche Ausbildung einer Osteoporose sind: Auch nachlassende Muskelkraft kann im Alter die Knochendichte schwinden lassen. Und nicht zuletzt gelten ungesunde Ernährung, mangelnde Bewegung, genetische Veranlagung, starkes Untergewicht, Rauchen, übermäßiger Alkoholkonsum, hormonbedingte Erkrankungen wie eine Schilddrüsenüberfunktion oder eine Nebennierenüberfunktion, Magen-Darm-Erkrankungen, Diabetes, rheumatische Erkrankungen, Einnahme bestimmter Medikamente wie Magensäureblocker oder kortisonhaltige Präparate, ein Mangel an Kalzium und Vitamin D oder zu starker Verzehr phosphathaltiger Nahrungsmittel als weitere Risikofaktoren.
Der schleichende Verlauf macht Osteoporose so gefährlich, da sie von vielen Hausärzten daher meist gar nicht frühzeitig erkannt werden kann. Eine Abschwächung der Wirbel oder der Rückgang der Körpergröße verlaufen meist völlig schmerzfrei. Gelegentlich machen sich Rückenschmerzen oder Muskelverspannungen bemerkbar, die aber von den Betroffenen in der Regel nicht mit einem Knochenschwund in Verbindung gebracht werden, zumal es dafür tatsächlich auch andere Ursachen geben kann. Auch sogenannte Sinterungsbrüche, kleinere Frakturen von Wirbeln im Lenden- oder Brustbereich, bleiben häufig noch unbemerkt. Die Krux ist, dass mit jedem Knochenbruch die Wahrscheinlichkeit auf den nächsten steigt. Spätestens nach einer Fraktur des Beckens, der Hüfte oder des Oberschenkelhalses werden Mediziner dann eine Osteoporose diagnostizieren – für viele Betroffene zu spät. Bei hochbetagten Patienten kommt laut dem Kuratorium für Knochengesundheit nach einer gebrochenen Hüfte nur noch jeder Zweite wieder auf die Beine. Jeder Fünfte stirbt nach einer solchen Verletzung binnen eines halben Jahres. Ähnlich sieht es diesbezüglich laut der DGE bei einem Oberschenkelhalsbruch aus, der nicht nur häufig die Einweisung in ein Pflegeheim zur Folge hat, sondern bei jedem fünften Betroffenen die unmittelbare oder mittelbare Todesursache ist.
Viele deutsche Osteoporose-Experten beklagen, dass noch immer viel zu wenige hiesige Hausärzte eine Vorsorgeuntersuchung auf Knochenbruch-Erkrankung durchführen. Der Endokrinologe Prof. Roland Gärtner vom Klinikum der Universität München machte dafür jüngst in der „Süddeutschen Zeitung" aber auch die Krankenkassen mitverantwortlich: „Ärzte bekommen für die Diagnose mithilfe der Knochendichtemessung sehr wenig Geld, das ist ein großes Problem." Die völlig schmerzfreie Knochendichtemessung, auch DXA-Osteodensitometrie genannt, kann mittels Röntgenstrahlen schon nach wenigen Minuten erste Anzeichen dafür liefern, ob eine verminderte Knochendichte vorliegt. Auch eine Vorstufe der Osteoporose, die sogenannte Osteopenie, kann dabei häufig dokumentiert werden. Für genauere Befunde können anschließend dreidimensionale Messverfahren in einem speziellen Computertomografen angewendet werden. Neben der Früherkennung mittels der DXA-Knochendichtemessung gilt vor allem auch ein gesunder und ausgewogener Lebensstil samt regelmäßiger Bewegung als hilfreiche Vorbeugemaßnahme gegen Osteoporose.
Vor allem sollten dem Körper ausreichende Mengen an Kalzium und Vitamin D mittels Nahrung und Sonnenlicht zugeführt werden. Kalziumreiche Mineralwassersorten sind noch besser als Milchprodukte, Nüsse oder Gemüse. Übermäßiges Phosphat, das beispielsweise in hohen Mengen in Fast Food, Cola oder Chips enthalten ist, sollte vermieden werden, weil es dem Körper das Kalzium entzieht. Nikotin und Alkohol sind ebenfalls Faktoren, die Knochenschwund fördern können.
In der Therapie werden inzwischen drei Wege beschritten. Jüngeren Frauen werden wieder verstärkt Hormone oder östrogensimulierende Medikamente verschrieben. Bewährt haben sich schon seit Jahren sogenannte Bisphosphonate, die durch Behinderung der Arbeit der Osteoklasten den Knochenabbau hemmen (antiresorptive Therapie). Bisphosphonate gibt es in Form von Tabletten, als Spritze oder als Infusionslösung. Die zugelassenen Präparate enthalten die Wirkstoffe Alendronat, Risedronat oder
Etidronat. Große Hoffnungen wecken auch sogenannte Osteo-Anabolika, mit deren Hilfe wieder neue Knochensubstanz aufgebaut werden kann und dadurch das Frakturrisiko deutlich gesenkt werden könnte.
In den USA wurde der Antikörper Romosozumab bereits zugelassen, die Europäische Arzneimittel-Agentur EMA hat in diesem Sommer eine Markteinführung mit Hinweis auf ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko abgelehnt. Hierzulande erhältlich ist allerdings der ebenfalls Knochensubstanz aufbauende und ein körpereigenes Hormon aus der Schilddrüse nachahmende Wirkstoff Teriparatid. Was den Osteologen bei all den genannten Therapien große Sorge bereitet, ist die Tatsache, dass viele Patienten, schätzungsweise 70 bis 80 Prozent der Betroffenen, die Medikamente, deren Wirkung nicht sofort ersichtlich ist, eigenmächtig viel zu schnell wieder absetzen. Dass weniger Brüche auftreten oder der schützende Effekt für die Knochen lässt sich halt nur bedingt wahrnehmen.