Nach einem dreijährigen Gastspiel in Zweibrücken kehrte Wladislaw Kurotschkin 2019 zurück zu seiner alten Liebe HG Saarlouis. Erfahrener, gereifter, besser. Früher war die Erste Mannschaft des Ex-Zweitligisten für ihn unerreichbar – nun ist er Stammspieler.
Das leicht rollende „R" könnte auch von einem nordsaarländischen „Migrationshintergrund" herrühren. Seine russischen Wurzeln hört man jedenfalls nicht wirklich heraus, wenn Wladislaw Kurotschkin spricht. Eher noch einen Hauch Saarlouiser Platt. Sei es drum – lieber als Worte lässt der Kreisläufer des Handball-Drittligisten HG Saarlouis ohnehin Taten sprechen. In der Saarlouiser Jugend ausgebildet, kehrte er nach einem dreijährigen Intermezzo bei der VTZ Saarpfalz zurück in die alte Heimat. Wobei das mit der Heimat wieder so eine Sache ist. Ursprünglich stammt Kurotschkin aus dem Örtchen Kalkaman bei Pawlodar in Kasachstan. Er war sieben Jahre alt, als er mit seiner Familie nach Deutschland kam. Genauer: nach Saarlouis-Steinrausch. „Eigentlich haben alle deutsche Wurzeln, weshalb ich auch die deutsche Staatsbürgerschaft besitze und in meinem Pass nichts Kasachisches mehr zu finden ist", erklärt Kurotschkin, der traditionell den Nachnamen seines Vaters trägt. Seine beiden Großmütter tragen die deutschen Nachnamen Koch und Salzmann. „In meiner Brust schlagen zwei Herzen – wobei ich nicht sagen kann, was an mir deutsch und was russisch ist", sagt er und schiebt nach: „Wobei meine Pünktlichkeit schon so richtig deutsch ist."
Zu Hause spricht der heute 24-jährige angehende Lehrer für Mathe und Sport ausschließlich Russisch – er beherrscht die Sprache in Wort und Schrift. Nach seiner Ankunft in Deutschland half ihm das wenig. Er wurde direkt eingeschult – und das ohne Deutschkenntnisse. Jedenfalls fast: „Ich konnte ‚Guten Morgen‘ sagen, das hatte mir meine Mutter während des Fluges nach Deutschland beigebracht", erinnert sich Kurotschkin. In Deutschland angekommen, grüßte er seine Klasse am ersten Schultag souverän und fehlerfrei mit „Guten Morgen", ehe er sich auf seinen Platz setzte und die Welt nicht mehr verstand. Denn: Die selbst ausgesprochenen Worte blieben vorerst die einzigen deutschen, deren Bedeutung er kannte. „Nach dem ersten Schultag sagte ich zu meiner Mutter: ‚Das war wie im Gefängnis. Ich sitze nur rum, verstehe nichts und hoffe, dass ich bald nach Hause gehen kann‘", erinnert er sich und gibt zu: „Die ersten zwei Jahre waren schon richtig hart." Dank der intensiven Förderung durch die Klassenlehrerein Monika Fontaine schaffte er es, sich schnell und gut zu integrieren. Sie beorderte Wladislaw in die erste Reihe und bezog ihn ständig aktiv ins Unterrichtsgeschehen ein. Außerdem bestand sie darauf, dass sich ihr Schützling einem Sportverein anschließt, um die Sprachkenntnisse schnellstmöglich zu verbessern. So kam der Kontakt zur HG Saarlouis zustande: Jugendtrainer-Legende Willibald Lay nahm den jungen Neuling unter seine Fittiche. Handball war bis dahin bei Familie Kurotschkin kein Thema. „Im Vereinstraining traf ich dann auch ein paar Mitschüler, mit denen ich mich – wenn auch nur mit Händen und Füßen – verständigen konnte, und so hat mir das gleich Spaß gemacht", berichtet Kurotschkin, der mittlerweile selbst die C-Jugend der HG trainiert.
„Ich peile einen Platz unter den ersten Vier an"
Spätestens seit er selbst in der C-Jugend spielte, also seit dem Teenie-Alter, wurde der Handball für ihn mehr als nur ein Zeitvertreib mit Schulkameraden. Freundschaften entstanden, Ehrgeiz wurde geweckt, Erfolge stellten sich ein. Kurotschkin durchlief alle Jugendmannschaften der HG Saarlouis, spielte sogar in der Jugend-Bundesliga. Die Zeit nach dem Übergang in den Herren-Bereich stellte den Kreisläufer schließlich vor die Frage: Betreibe ich künftig weiter Leistungssport oder Hobbysport? Die damals noch in der 2. Bundesliga spielende Erste Mannschaft war für ihn eine Nummer zu groß, die fünftklassige Saarlandliga nach drei Jahren mit der Zweiten Mannschaft zu wenig reizvoll. Zusammen mit Trainer Danijel Grgic und weiteren Mitspielern wechselte er 2016 von Saarlouis II zum damaligen Oberligisten VTZ Saarpfalz. 2018 folgte der Aufstieg in die Dritte Liga und nach nur einem Jahr der Wiederabstieg. „Ich bereue diese Erfahrung absolut nicht. Zu diesem Zeitpunkt war das für mich genau der richtige Schritt, und ich habe in dieser Zeit extrem viel gelernt", weiß Kurotschkin. Dass er sich vor der laufenden Saison dazu entschieden hat, nach Saarlouis zurückzukehren, hat unterschiedliche Gründe: Zum einen will der angehende Lehrer, der aktuell noch in Kaiserslautern studiert, sein Referendariat im Saarland absolvieren. Zum anderen wollte er ohnehin irgendwann wieder zurück „nach Hause und alles dafür geben, in der vollen Halle zu spielen", sagt er. Also genau dort, wo er als kleiner Junge seinen Idolen zugeschaut hatte. Selbst als Spieler der VTZ Saarpfalz zog es Kurotschkin mit seinem „grünen Herz", wann immer es ihm möglich war, zu Heimspielen in den Fanblock der Stadtgartenhalle. „Ich fand es sehr schade, als die HG 2018 aus der Zweiten Liga abgestiegen ist. Aber irgendwie habe ich mir auch gedacht, dass es für einen Neuanfang auch ganz gut sein könnte", findet der 24-Jährige. Als unverzichtbarer Abwehrrecke und beweglicher Kreisläufer ist er elementarer Bestandteil dieses Neuanfangs.
Wie es sich anfühlt, selbst in der proppenvollen Stadtgartenhalle auf der Platte zu stehen – noch dazu gegen Weltstars anzutreten – durfte er im Erstrundenspiel des DHB-Pokals Mitte August erleben. Offiziell waren knapp 1.600 Zuschauer gekommen, um das ungleiche Duell zwischen der HG und den Rhein-Neckar Löwen zu sehen. Und Wladislaw Kurotschkin war mittendrin. „Da war ich schon sehr nervös", gibt er rückblickend zu, „natürlich auch, weil unser Gegner die Rhein-Neckar Löwen waren. Aber die volle Halle macht für sich genommen auch schon enorm Eindruck. Das war schon was ganz anderes als in Zweibrücken, wo man immer vor etwa 300 Leuten spielt."
Zwar ist das Zuschaueraufkommen in Saarlouis auch in der Dritten Liga hoch. Um dauerhaft noch mehr Handballfans zu den Heimspielen in die Stadtgartenhalle zu locken, müsste die HG den Sprung zurück in die Zweitklassigkeit schaffen. Für Wladislaw Kurotschkin ist dies durchaus denkbar – mit etwas Glück sogar nach der laufenden Saison. „Ich peile einen Platz unter den ersten vier an. Wenn uns wieder so ein Lauf gelingt wie in der letzten Rückrunde, ist alles möglich. In der aktuellen Saison gibt es keine Übermannschaft", erklärt er seine ambitionierte Sichtweise: „Es ist auch Dansenberg, Pforzheim und auch Horkheim möglich, aufzusteigen. Es wird ein harter Kampf und am Ende wird die Mannschaft oben stehen, die das nötige Glück hatte." Auf jeden Fall will Wladislaw Kurotschkin den HG-Fans, also sich selbst und dem Publikum, „zeigen, dass es aufwärts geht".