Rassismus im Fußball ist seit Jahren ein weit verbreitetes Problem. Vor allem in Italien. Diese Erfahrung musste nun auch Romelu Lukaku machen. Dem fielen sogar die eigenen Fans in den Rücken.
In Deutschland hat Antonio Rüdiger 15 Jahre lang Fußball gespielt. Rassismus sei ihm dort genau einmal begegnet, erzählt der in Berlin geborene Nationalspieler, dessen Mutter aus Sierra Leone kommt. „In einem Drittliga-Spiel in Jena." In seiner Zeit in Italien bei der AS Rom war es aber anders. „Es ist leider so, dass man in dem ein oder anderen Stadion diese Affenlaute hört", erzählte Rüdiger während dieser Zeit: „Das tut natürlich weh, und man fragt sich, wieso solche Menschen das tun. Aber es bringt mich nicht aus der Fassung. Wenn ich irgendwie reagiere, bin ich der Dumme. Und dann habe ich genau das getan, was sie erreichen wollten. Idioten gibt es überall, aber man sollte ihnen nicht die Aufmerksamkeit geben, die sie offenbar brauchen."
Rüdiger mahnt zur Ruhe
In seiner Jugend war Rüdiger als Hitzkopf bekannt, den man leicht provozieren konnte. Die Zeit in Italien hat ihn dahingehend mehr reifen lassen als es ihm lieb sein konnte. Er bemühte sich aber auch immer zu betonen, dass es weniger ein gesellschaftliches Problem des Landes sei, sondern tatsächlich eher eines des dortigen Fußballs. „Nur weil es einige Idioten gibt, muss ich da nicht ganz Italien mit reinziehen", sagte er: „Die Menschen sind freundlich und nett. Auf der Straße wird man eher umarmt und geküsst."
Auf dem Spielfeld schaffte er es tatsächlich, sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Doch abseits hat er stets betont, dass sich im italienischen Fußball etwas tun müsse. Zunächst forderte er die Vereine auf. Dann nahm er den Verband und die Liga in die Pflicht. Und schließlich sagte er: „Wenn der italienische Verband nichts unternimmt, muss sich die Fifa der Angelegenheit annehmen." Es sei eben „einfach, Aktionen wie ,No to Racism‘ aufzustellen. Wenn man aber nichts konkret dagegen tut, hilft so etwas auch nicht."
Rüdiger spielt nun seit fast zweieinhalb Jahren beim FC Chelsea in England. Aber der italienische Fußball scheint irgendwie nicht richtig weitergekommen zu sein. Der jüngste Zwischenfall ereignete sich erst Anfang September, als der belgische Nationalspieler Romelu Lukaku während des Spiels mit Inter Mailand beim 1:0-Sieg gegen Brescia Calcio von den gegnerischen Fans mit Affengesängen beleidigt wurde.
„Anstatt vorwärtszugehen, gehen wir rückwärts"
„Es ist 2019. Aber anstatt vorwärtszugehen, gehen wir rückwärts", schrieb Lukaku, dessen Eltern aus der Demokratischen Republik Kongo stammen, am Tag danach bei Instagram. Er forderte alle Spieler der Liga auf, „sich zu vereinigen und eine Erklärung abzugeben. Viele Spieler wurden im letzten Monat rassistisch beleidigt. Ich habe es gestern erlebt. Fußball ist ein Spiel, das jedem Spaß macht, und wir sollten keine Form von Diskriminierung akzeptieren, die Schande über unser Spiel bringt." Zudem berichtete der 26-Jährige, dass er in den sozialen Netzwerken „jeden Tag zumindest einen rassistischen Kommentar unter einem Beitrag einer farbigen Person sieht. Darauf weisen wir seit Jahren hin. Und nichts passiert."
Auch der frühere Superstar der Elfenbeinküste, Didier Drogba, stimmte ein. „Wir müssen das bekämpfen", sagte er: „Indem wir nicht aufgeben, sondern zusammenhalten und die richtigen Botschaften vermitteln." Aus der Bundesliga schloss sich der Dortmunder Jadon Sancho öffentlich an. Niemand im Fußball wolle „derartig beschimpft werden", sagte der Engländer: „Es nimmt dir das Selbstvertrauen und die Liebe zum Sport." Wie groß das Problem aber wirklich ist, zeigte ein Statement eines Inter-Fanclubs, aus dem „Spiegel Online" zitierte. In diesem wollten die Mailand-Fans ihrem eigenen Spieler klarmachen, dass er sich mal nicht so anstellen solle. Es sei doch alles nur ein Missverständnis gewesen, weil es sich nicht um „echten Rassismus" gehandelt habe, sondern um „instrumentellen Rassismus". Es gehöre zum Fußball eben dazu, den Gegner mit allen möglichen Mitteln zu irritieren und zu beeinflussen. Dazu gehörten eben auch Affenlaute.
Der Fanforscher Jonas Gabler, der seine Diplomarbeit zu Ultrakulturen und Rechtsextremismus in Deutschland und Italien schrieb, erklärte bei N-TV dazu: „Das Abwerten des Gegners ist im Fußball natürlich nichts Ungewöhnliches. Aber Affenlaute sind eine klare rassistische Handlung, weil damit eine Abwertung aufgrund der Hautfarbe einhergeht. Das ist mittlerweile auch in Italien bekannt, schließlich gab es sehr viele solcher Vorfälle, und solche rassistischen Beleidigungen sind in der öffentlichen Debatte schon oft genug thematisiert worden." Es müsse ein „Bewusstsein her, dass die von Rassismus betroffene Person definiert, was rassistisch ist und was nicht. Es muss auch das Bewusstsein her, dass man solche rassistischen Beleidigungen nicht einfach so tätigen und dann sagen kann: ,Das war nicht so gemeint'."
Damit wird sich auch Lukaku nicht begnügen. Den Kampf gegen den Rassismus hat er schon immer ernst genommen und sich auch sehr reflektiert zu dem Thema geäußert. „Wenn es gut lief, war ich Romelu Lukaku, der belgische Stürmer. Wenn es nicht gut lief, war ich Romelu Lukaku, der belgische Stürmer kongolesischer Abstammung", schrieb er im vergangenen Sommer in einem Beitrag im Online-Magazin „The Players‘ Tribune" über seine Erfahrungen in Belgien: „Wenn euch nicht gefällt, wie ich spiele, ist das in Ordnung. Aber ich wurde hier geboren. Ich bin in Antwerpen, Lüttich und Brüssel aufgewachsen. Ich bin Belgier. Wir sind alle Belgier. Das macht das Land so cool, oder?"
Einen interessanten Ansatz dazu, wie der Fußball diesem Problem begegnen kann, bot Vincent Kompany. Der frühere Hamburger ist wie Lukaku Belgier mit einem Elternteil aus der DR Kongo. Sein Vater Pierre wurde 2018 in Ganshoren sogar zum ersten dunkelhäutigen Bürgermeister Belgiens gewählt. Vincent Kompany ist inzwischen Spielertrainer beim RSC Anderlecht und zeigte sich durch den Zwischenfall um seinen langjährigen Nationalmannschafts-Kollegen ebenfalls geschockt.
Boateng glaubt nicht an eine Besserung
Seine Kernaussage lautet aber: Es wird schwer, Dinge zu ändern, solange zu wenig dunkelhäutige Menschen in den Fußball-Verbänden etwas zu sagen haben. Und somit alle, die sich den Kopf über Veränderungen zerbrechen, letztlich nur Theoretiker sind. „Es hängt davon ab, wer in diesen Fragen eine Entscheidung treffen soll, und in diesen Organisationen liegen die Probleme", sagte Kompany zu Sky Sport News HD: „Der wahre Rassismus liegt in der Tatsache, dass keine dieser Institutionen Vertreter hat, die wirklich verstehen können, was Romelu durchmacht." Es gebe „eine Menge von Menschen und Entscheidungsträgern, die ihm sagen, wie er darüber nachdenken und fühlen soll. Aber sie haben keine Entscheidungsträger, die mit dem, was er in seinem Leben erlebt hat, in Kontakt sind." Es gebe bei den großen Verbänden Fifa und Uefa, aber auch in den nationalen Verbänden wie in England oder Italien, „einen echten Mangel an Vielfalt. Und wenn sie keine Vielfalt an Machtorten wie Sitzungssälen haben, können sie nicht die richtigen Entscheidungen in Bezug auf Sanktionen treffen. So einfach ist das."
Einer der engagiertesten Kämpfer gegen den Rassismus in Stadien, vor allem in Italien, war Kevin-Prince Boateng. Der gebürtige Berliner, Halbbruder von JérÔme Boateng und Sohn eines Ghanaers, berichtete auch von einigen schlimmen Erlebnissen in Deutschland. 2013 war er in einem Testspiel mit dem AC Mailand in der Lombardei rassistisch beleidigt worden. Er verließ damals den Platz, das Spiel wurde abgebrochen. Zwei Monate später hielt er auf Einladung des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen in Genf eine Rede. „Rassismus muss aktiv bekämpft werden, er verschwindet nicht von selbst", sagte er damals: „Als ich in der Nationalmannschaft Ghanas spielte, habe ich gelernt, Malaria zu bekämpfen. Impfungen genügen nicht. Man muss die Teiche trockenlegen, in denen die Malariamücken gedeihen. Ich denke, dass Malaria und Rassismus vieles gemeinsam haben." Vor wenigen Monaten, fast sechs Jahre danach, stellte Boateng ernüchtert fest: „Ich habe nicht den Eindruck, dass Fortschritte gemacht worden sind." Der Teich ist also noch lange nicht trockengelegt.