Im „Bonvivant" vereinen sich ausgefeilte, aber unkomplizierte Gemüsegerichte mit entspannten „Pool-Drinks". Küchenchef Ottmar Pohl-Hoffbauer und Barchefin Yvonne Rahm bringen mit Veggie-Küche und hochwertigen Cocktails kulinarische Belebung in das markant gekachelte Eckhaus an der Schöneberger Goltzstraße.
„Ich könnte mir vorstellen, dass du der Typ für den ‚Sapphire 81‘ bist", empfängt uns Gastgeberin Fatenka Suleiman strahlend im „Bonvivant". Wir haben uns an einem warmen Sommerabend draußen an der Goltz-, Ecke Hohenstaufenstraße niedergelassen und freuen uns auf den ersten Drink. Da kommt das große Cocktailraten recht, prägen die Drinks von Barchefin Yvonne Rahm das Konzept des neuen Lokals so nachdrücklich wie die ausgefeilte Gemüseküche von Küchenchef Ottmar Pohl-Hoffbauer. „Ich habe da so meine Farbtheorie und Intuition", sagt Fatenka Suleiman lachend. Ob’s daran liegt, dass die Begleiterin dunkelblau gekleidet ist und ihr ein wenig prickelndes Türkis gut zu Gesichte stehen würde? „Und darf’s bei dir vielleicht ein ‚Almost Cosmo‘ sein?" Vielleicht hat sie mein Faible für gut gemachte Cosmopolitans erahnt. Oder sich einfach an meinem pinkfarbenen Lippenstift orientiert? „Ich will aber Yvonne nicht in die Parade fahren. Sie kommt später auch raus und erzählt euch alles über das Konzept und die Drinks im Einzelnen."
Die aus Spirulina-Alge, Grapefruit-Cordial und spritzigem Cava zubereitete Abwandlung eines „Bombay Sapphire" lässt uns aufmerken, der mit Nana-Minze, Wodka, Zitrone, Cranberry, Agave und Erdbeere kreierte „Beinah-Cosmopolitan" beschwingt durchstarten. „Mit welcher Hand nimmst du das Glas?" Schon bekomme ich einen Hauch Minzgeist auf die Rechte gesprüht und darf bei jedem Schluck durch die Nase „mittrinken". Charmant! Keine Frage, die Drinks sind ein Treffer.
Damit wir beim leicht salzigen „Sapphire 81" und beim fruchtigeren und süßeren „Almost Cosmo" nicht gleich zu glücklich angetüdelt werden, greifen wir gern zum Brot von schräg gegenüber. Ein helles Sauerteigmischbrot und ein dunkles aus Roggen fanden von der Handwerksbäckerei „Brot ist Gold" gemeinsam mit drei Cremetöpfchen zum Stippen den Weg auf den Teller vor uns. Schafsquark mit Sauerampfer und Topinamburblüte, Rohmilchquark mit grünem Paprika, Jalapeños, Gurke, Kombu und Purple Curry sind die kleinen Wegweiser ins Gemüsevergnügen. Wir sagen erst einmal: Hallo Tomami! Die mit Schnittlauch, „Tomami" – einer sehr umami-yummigen Tomaten-Essenz – und Meersalz versetzte Butter macht uns zum kräftigen Brot besonders glücklich.
Konzept ist ein echter Glücksfall
Das alles wirkt schon auf den ersten, zweiten, dritten Bissen sehr durchdacht und ausgereift. Nun hat mit Ottmar Pohl-Hoffbauer aber auch kein Unbekannter die Bühne betreten: Der Küchenchef arbeitete lange im Restaurant „Scent" des Cosmo-Hotels und ist Mitglied der Chef Alliance von Slow Food Deutschland. Dass er regional, saisonal und bio kocht, versteht sich bei so viel Engagement und Anspruch von selbst. Es verwundert uns nicht, dass die zehn Gerichte auf der Karte ständig durchwechseln. Was auf dem Feld und im Garten aus ist, ist eben aus. „Das bedeutet, dass wir ständig neue Gerichte lernen und erklären müssen", sagt Paul Rost, der den Service im „Bonvivant" leitet. Gut gelaunt geht’s mit der Aufzählung bei der „Kopfsalat-Gazpacho" los. „Drei Mal Grün" vereint sich in ihr: Kopfsalat, Paprika und Gurke bescheren der cremigen, kühlen Suppe ihr sattes Maiengrün. Eine Spargeleinlage – „den haben wir in der Saison eingefroren" – sorgt für flotten Biss und Textur. Chili und ein minziges Basilikum bringen Pikanterie und die mediterrane Extraumdrehung hinein. In der „Tomatenvielfalt" wiederum vereinen sich fünf unterschiedliche Sorten auf dem Teller mit gegrillter Wassermelone, Blättern, Blüten und einem Pesto von der Kapuzinerkresse, Burrata sowie eine Espuma von der Paul-Robinson-Tomate.
In dieser Runde bleiben wir „ohne" bei den Getränken. Ich wähle mit der Spirulina-Limonade die türkisblau-alkoholfreie Erfrischung. Die Begleiterin ist neugierig auf einen Wasserkefir mit Zitrone. Das hausgemachte, säuerlich-belebende Ferment mit Zitrusnote gefällt. Die alkoholfreien Getränke können mit den „Pool-Drinks" mit Umdrehungen sehr wohl mithalten. Und warum geht’s an der Bar, in der Lounge und an den Tischen an den Pool? „Wir wollen nicht so ernste, eher entspannte Drinks machen", sagt Yvonne Rahm. „Beverly Housewives am Pool" war die Idee. „Richtig, richtig gute klassische Drinks" will die Barchefin mit ihrem Team herausbringen.
Mir gefallen die kleinen, übersichtlichen Cocktails, die so um die elf Euro kosten, sehr. Sie begleiten das Essen inniglich, aber nicht lauthals. Sicher, die Bar kann auch anders, streng klassisch oder fancy. Ihre Bartender sollten gut zuhören können, wünschte sich Yvonne Rahm: „Dann kann man ausmachen, was jemand wirklich will. Vielleicht sagt er ‚Martini‘, weil er eine Erinnerung daran hat, sucht aber eigentlich etwas ganz anderes." Die Barchefin weiß genau, was sie tut und ist in der Szene ebenfalls keine Unbekannte. Sie mixte in der „Schwarzen Traube" in Kreuzberg und wurde im vergangenen Jahr als „World Class Bartender Germany 2018" ausgezeichnet.
„Yvonne wollte unbedingt eng mit der Küche zusammenarbeiten", erzählt Jules Winnfield, der das „Bonvivant" gemeinsam mit seinem Partner The Anh Nguyen erdachte und seit drei Monaten betreibt. Zeit blieb in der sechsmonatigen Umbau- und Pre-Opening-Phase genug zum Konzipieren, Eingrooven und Gestalten der Bar. Das neue Konzept scheint ein Glücksfall für das große Ecklokal in dem Haus mit der markanten, gekachelten Fassade. Etliche Betreiber kamen und gingen in den vergangenen Jahren, keiner hielt sich lange. Winnfield und Nguyen haben mit unterschiedlichen Zonen wie der Lounge, einem Restaurantbereich mit Tischen, Hochtischen am Fenster, einer beinah freistehenden, großen Bar Licht und Luft in das in Schwarzwaldgrün und Bordeaux gehaltene Lokal gebracht. Besonderer Hingucker: Ein Extraraum mit einem großen, runden Holztisch, auf dem die Speisen unter Grünpflanzen à la China-Restaurant hin- und hergedreht werden können. Ein Glück für die Gäste, dass die beiden ehemaligen Partymacher, die auch in der „Sharlie Cheen"-Bar ihre Spuren hinterließen, irgendwann des Clubbings müde waren. „Wir haben lange nachgedacht und festgestellt, dass wir eigentlich ein Restaurant wollen", sagt Winnfield. Praktisch, dass sie Kristof Mulack, Mitgründer des „Tisk" und inzwischen Gastronomieberater, kennenlernten: Er entwickelte das kulinarische Konzept fürs „Bonvivant".
Schlichtweg köstlich
Winnfield und Nguyen sind Vegetarier, sehen sich aber nicht als Missionare. Genau das spiegelt die Küche von Ottmar Pohl-Hoffbauer wider: Bei ihm kommt eine unprätentiöse, hochwertige und präzise ausgearbeitete Gemüseküche auf den Tisch. Für Winnfield, der im Gegensatz zu Nguyen auch Alkohol trinkt, gab’s die Bar und die guten Drinks dazu. Et voilà: das Cocktail-Bistro, um dem neuen Typus einen Namen zu geben. Ihre Grundeinstellung haben die beiden auch mit dem Genre-Wechsel beibehalten: „Wer mit uns arbeitet, soll richtig Bock darauf haben. Und wer als Gast kommt, soll als Freund nach Hause gehen", sagt Winnfield. Wir sind auf dem besten Wege dahin, und auch die gute Stimmung im Team ist deutlich zu spüren. Essen und Drinks tun ein Übriges. Wenn wir nicht schon erheitert wären, hätten wir spätestens beim Anblick der dicken, knubbeligen „Comic-Karotten", wie Fatenka Suleiman die Parisier- und Chantenay-Karotten ankündigt, ein Lächeln im Gesicht. „Wie von Claes Oldenburg", entfleucht es mir, so knuffig und stofflich weich wirken die Möhren. Das täuscht – sie sind eher aus der bissigen Ecke. Die im Ofen gebackenen Wurzeln erhielten ein Topping aus Süßkartoffelmousse, gepopptem Quinoa, Joghurtdrops, Karottengrün und -blüten. Einen fruchtigen Begleitakkord setzen Nektarinenbällchen, Bergkorianderöl und ein Tick Lauchasche für eine untergründige zwiebelige Note.
Von wegen einfach: Der Teller sieht so naiv handgemalt aus, ist aber deutlich oberes Mittelfeld in Sachen Aufwand und Raffinesse. Die Gerichte bleiben mit Preisen von acht bis 14 Euro allesamt sehr erschwinglich sowie gut kombinier- und teilbar. Wer großen Hunger und Lust auf einen Teller verspürt, sollte sein Augenmerk auf „das letzte Gericht" legen. Auf der Karte findet sich vor den Desserts immer eine sehr ausgewachsene Speise. An diesem Abend ist es Brokkoli mit Gnocchi, Pfifferlingen, Mandeln und Zitronenthymian. Schlichtweg köstlich und noch so ein umamivoller, spontaner Liebling. Ansonsten gilt: Aufrüsten mit einem Teller „Fette neue Kartoffeln" oder mit dem Sauerteigbrot von „Brot ist Gold" für jeweils 4,50 Euro ist immer möglich.
Eine komplexe „Marmelada" – eine frei interpretierte „Marmelo-Colada" aus Quittenbrand, Rum, Baiju, Honig, Kokos, Zitrone und Kürbiskernöl – sowie ein Ingwereis auf Zitrusfruchttee mit Rosmarinsand weiter, sind wir uns sicher: Das „Bonvivant" ist bereits nach kurzer Zeit eine vielversprechende Adresse fürs gute Leben und für jeden Genussmenschen in der Stadt geworden.