Lastenräder sind wahre Allzweck-Talente. Mit den ein- oder mehrspurigen Transportgefährten lassen sich Kinder chauffieren, Pakete austragen oder Werkzeugkoffer durch die Gegend fahren. Ein Überblick über Modelle, Sicherheit im Straßenverkehr und neueste Entwicklungen.
Am Anfang kostet es Überwindung, auf das vermeintlich sperrige Lastenrad aufzusteigen, doch schnell ist man angenehm überrascht. Denn schon nach ein paar hundert zurückgelegten Metern mit dem dreirädrigen Christiania-Lastenrad stellt sich purer Fahrspaß ein – und das trotz größerem Wendekreises. Das einspurige Long-John-Modell sieht zwar wackelig aus, erweist sich aber als schneller und erstaunlich wendiger Stadtcruiser. Allenfalls die zweispurigen Lastenräder mit Neigetechnik dürften für manch einen etwas gewöhnungsbedürftig sein.
Lastenräder sind echte Allzweck-Talente und vielseitig einsetzbar. In der Stadt eignet sich das schicke Gefährt als Transportvehikel für kleine Kinder oder für den Einkauf. Längst hat sich das Gefährt als Geschäftsmodell durchgesetzt: Schornsteinfeger, Handwerker oder mobile Kaffeeverkäufer nutzen es als Liefer- und Dienstfahrzeug, der ADAC fährt per Lastenrad zu seinen Mitgliedern, Logistiker wie DHL setzen auf das Zweirad in Millionenstädten wie Berlin, wenn es darum geht, die letzte Meile zurückzulegen.
In puncto Form und Funktionalität unterscheiden sich die Räder je nach Hersteller: Ob einspurig mit zwei oder mehrspurig mit drei Rädern, mit hohem oder etwas tieferem Sattel, als Rikscha-Modell, mit oder ohne Aufbau – Lastenräder gibt es in allen möglichen Varianten. Der Berliner Cargobike-Experte Arne Behrensen, der nach eigener Aussage hersteller- und händlerneutral ist, sagt, dass die Klassiker unter den Lastenrädern meist aus Dänemark und den Niederlanden kommen. Preislich liegen die Räder je nach Ausstattung zwischen 1.000 und mehr als 6.000 Euro. Ein führender deutscher Cargobike-Hersteller ist laut Behrensen der E-Bike-Hersteller Riese und Müller aus Darmstadt, der dort auch das Stadtbild prägt und der Stadt bereits den Beinamen Cargo-City eingebracht hat. Ganz in der Nähe hat auch die junge Kargon Cargobike Manufactory ihren Sitz. Das Unternehmen fertigt eigenen Angaben zufolge leichte Lastenräder mit Seilzugtechnik in hundertprozentiger Handarbeit.
Preis zwischen 1.000 und mehr 6.000 Euro
Vor jedem Kauf sollten sich potenzielle Lastenrad-Besitzer darüber klar werden, wie es eingesetzt werden soll, erklärt Behrensen. Wie lang ist meine Alltagsstrecke, und was soll mit dem Lastenrad transportiert werden? Natürlich spiele auch eine Rolle, wie intensiv man das Rad im Alltag oder in der Freizeit nutze. „Wer zum Beispiel in den Bergen wohnt, muss beim Thema Bremsen und E-Antrieb noch einmal genauer überlegen als jemand, der im Flachland täglich nur einen Kilometer zum Kindergarten zurücklegt." Nicht unwichtig ist auch die Frage, was für ein Fahrradtyp der Einzelne ist. „Bin ich ein sportlicher Fahrer oder eher ein gemütlicher Hollandrad-Typ?"
Dementsprechend muss man schauen, ob es passende Lastenräder auf dem Markt gibt. Letztlich entscheidend ist die Qualität der einzelnen Komponenten. „Das einfachste Modell gibt es schon ab 1.000 Euro. Das ist das relativ nah am klassischen Fahrrad orientierte Bäckerrad, das große Gepäckflächen vorne und hinten hat. Die Preise gehen hoch bis mehr als 6.000 Euro. Dafür bekommt man Lastenräder mit Topausstattung, zum Beispiel dreirädrige Modelle mit Pedelec-Antrieb und Neigetechnik", sagt Behrensen.
Auch die deutsche Automobilindustrie entdeckt das Cargobike, betont der Experte. Im Nutzfahrzeugsektor hat zum Beispiel Sortimo ein elektrisches Nutz-Lastenrad hergestellt, und bereits im vergangenen Jahr stellte VW ein dreirädriges Modell vor. In der Branche der Schwer-Lastenräder ist Behrensen zufolge ebenfalls Bewegung. Zum Beispiel habe sich der Nutzfahrzeughersteller Krone mit einem kleineren Postradzusteller zusammengetan und das Unternehmen Rytle gegründet. In Kooperation stellen sie große Lastenräder für die Paketzustellung her.
Die Cargobike-Branche sei „unglaublich quirlig und auf Wachstumskurs", insofern beobachtet der Cargobike-Kenner nahezu täglich neue Entwicklungen. Anfang nächsten Jahres soll erstmals auch eine DIN-Norm für Lastenräder in Kraft treten. „Damit bekommen die Hersteller eine Orientierung in Sachen Sicherheitsprüfungen und Standards", erklärt Behrensen. Neuentwicklungen gibt es auch bei sicheren und komfortablen Aufbauten für den Kinder- und Babytransport und bei passgenauen Lösungen für die Bedürfnisse von Handwerkern und Paketzustellern.
Vor dem Kauf ausführlich Probefahren
Radfahrer, die zum ersten Mal auf ein Cargobike steigen, müssen einiges beachten. Sonst wird der Umstieg vom klassischen Fahrrad auf das Transportrad nicht problemlos klappen. Rudolf Bergen, Referent für Fahrrad- und Pedelecmobilität beim Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR), rät daher dringend zu ausführlichem Probefahren und Trainieren. Zunächst ohne Last und im Schonraum, das heißt zum Beispiel auf Verkehrsübungsplätzen oder auf Plätzen abseits des öffentlichen Verkehrsraums. Empfehlenswert ist dem Fahrradreferenten des DVR zufolge die richtige Sitzposition, bei der man jederzeit sicher mit beiden Füßen den Boden erreicht. Ein Augenmerk sollte man, wie Bergen betont, auch auf die richtige Blickführung legen. Nur so könne man bei der zum Teil indirekten Lenkung mit großem Wendekreis auch sicher fahren.
Wer in einem Cargobike die eigenen Kinder zum Kindergarten oder zur Schule transportieren möchte, müsse diese unbedingt mit den dafür vorgesehenen Gurten anschnallen, sagt Bergen. „Auch sollte sichergestellt sein, dass sie aus ihrer Sitzposition heraus nicht auf die Straße oder an die Räder fassen können", ergänzt der Verkehrssicherheitsexperte. Zu guter Letzt sollte die zulässige Gesamtmasse vom Fahrenden, Mitfahrenden und Gepäck nicht überschritten werden. Überdies rät Bergen dringend dazu, einen Helm zu tragen. Der Verkehrssicherheitsrat wirbt aktuell mit einer Kampagne für das freiwillige Helmtragen.
Wenn sich Lastenrad-Fahrer im Straßenverkehr bewegen, sollten sie sich nach den Empfehlungen des Verkehrssicherheitsrats sichtbar kleiden und besonders vorausschauend fahren, da die Wendigkeit meist geringer ist als bei herkömmlichen Rädern. Bergen hat auch einen Tipp für den sicheren Transport der Ladung von A nach B parat: „Die Ladung sollte gut verstaut und gesichert sein, sodass auch bei unerwarteten Unebenheiten der Fahrbahn keine Zuladung verloren gehen kann und keine kritischen Verkehrssituationen verursacht werden."
Das Image des Lastenrades könnte allerdings besser sein, als es ist. „Man denkt, dass das Lastenrad ein sperriges Gefährt ist, aber dem ist nicht so", erklärt David Eisenberger, der beim Zweirad-Industrieverband für das Marketing und die Kommunikation zuständig ist. Die Fahrweise sei überraschend „einfach, bequem und unproblematisch", wenn auch das Lastenrad einen etwas größeren Wendekreis habe. Nachteile gebe es nur wenige, betont Eisenberger – das schwerere Gewicht, der größere Stellplatz und der höhere Preis.
40.000 verkaufte Cargobikes mit E-Antrieb
Dabei liegen laut dem Sprecher der Fahrradindustrie die Vorteile auf der Hand: „Man kann umweltfreundlich Lasten transportieren, Autokilometer und damit CO2 einsparen und tut auch noch etwas für die eigene Gesundheit." Außerdem spricht für die Anschaffung eines Lastenrades die Zuladungsmöglichkeit. „Alles, was man mit einem Auto transportieren kann, lässt sich auch mit einem Lastenrad wegschleppen", sagt er. Über die maximale Zuladung könne man sich bei den Herstellern informieren.
Der Zweirad-Industrie Verband ermittelte für 2018 einen Absatz von circa 40.000 E-Cargobikes. „Die Lastenräder ohne Motor fallen unter die Kategorie Sonstige und werden nicht aufgeschlüsselt", erläutert Eisenberger. Der Pressesprecher schätze, dass etwa 20.000 nicht batteriebetriebene Lastenräder im vorigen Jahr verkauft worden sind. „Man darf nicht vergessen, dass der Absatz im Vergleich zum Gesamtfahrradmarkt von vier Millionen Fahrrädern im Jahr noch relativ klein ist", räumt Eisenberger ein. Von knapp einer Million E-Bikes machen nach Angaben des Fahrradindustrie-Verbandes die Lasten-E-Bikes einen Anteil von vier Prozent aus. Und von den drei Millionen verkauften Fahrrädern fallen die Cargobikes ohne Motor unter Sonstige mit einem Anteil von 2,5 Prozent.