Was die Viadrina für Deutschland und Polen, ist die Deutsch-Französische Hochschule für die Bundesrepublik und Frankreich: Das Netzwerk bildet Wissenschaftler und Fachkräfte beiderseits der Grenze aus.
Es wirkt, als wären alle „ausgeflogen". Das weitläufige Gelände rund um die Villa Europa auf dem Rotenbühl in Saarbrücken und die Parkanlagen sind still. Was sich hinter hohen Hecken und dicken Mauern verbirgt, lässt sich kaum erahnen. Als ob sie ihr „bébé", ihr Baby, beschützen wollen: die Deutsch-Französische Hochschule (DFH). Sie gilt als eine Kaderschmiede für Nachwuchswissenschaftler und hochqualifizierte Fachkräfte beider Länder, ein praxiserprobtes Vorbild für die Europäische Universität à la Macron.
Das bébé ist inzwischen erwachsen geworden und mit 22 Jahren auch deutlich selbstbewusster. Fast 20.000 junge Menschen haben seit Gründung der DFH 1997 ihren Abschluss gemacht. Zum guten Image haben sicher auch die jüngsten Zahlen einer von der Hochschule durchgeführten Studie über die Berufsaussichten der Absolventen beigetragen. Nach dieser Absolventenstudie 2019 haben gut ein Drittel der Studenten bereits vor ihrem Abschluss eine feste Zusage für eine ihren Kompetenzen entsprechend adäquate Arbeitsstelle. Weitere 50 Prozent finden eine Anstellung innerhalb von sechs Monaten. Fast drei Viertel der Studenten aller Fachrichtungen betrachten ihren Job als international bezogen. Lediglich drei Prozent brauchen ein Jahr oder länger, um eine gute Stelle zu finden. „Die Unternehmen in Deutschland und Frankreich wissen mittlerweile um die Qualität der Hochschule und ihrer Absolventen", betont Dr. Marjorie Berthomier, seit Juli dieses Jahres neue Generalsekretärin der Deutsch-Französischen Hochschule.
Das Hochschulnetzwerk bestehe mittlerweile aus 194 Universitäten, Fachhochschulen und „Grandes Ecoles" in mehr als 100 Städten beider Länder. Rund 6.400 Studierende sind derzeit in den 185 bi- und trinationalen Studiengängen eingeschrieben. Hinzu kommen rund 350 Doktoranden. Und sie können guter Dinge sein, schließlich suchen Wirtschaftsunternehmen im globalisierten Wettbewerb dies- und jenseits des Rheins händeringend Fachkräfte, die sich in beiden Kulturen zu Hause fühlen, zwei oder drei Sprachen beherrschen und mobil sind.
Marius Macku beispielsweise hat deutsches und französisches Recht in Düsseldorf und Cergy-Pontoise bei Paris studiert sowie einen Master in Straßburg gleich noch drangehängt. Inzwischen ist er selbstständig tätig, konzipiert urbane Mobilität, hat vorher zehn Jahre in Brüssel gearbeitet, unter anderem in der dortigen ständigen Vertretung Frankreichs. Er weiß, wie Deutsche und Franzosen ticken, fühlt sich wohl im frankophonen und zu Hause im deutschen Sprachraum, kennt die unterschiedlichen Herangehensweisen. „Zwei verschiedene komplexe Rechtssysteme, die zum gleichen Ziel führen. Das hat mich inspiriert und ich würde mich jederzeit wieder für ein Studium an der Deutsch-Französischen Hochschule entscheiden."
Kaderschmiede für Grenzgänger
Genauso sieht es Martin Rahn, der bis 2010 je zwei Jahre in Bremen und in Marseille Betriebswirtschaft und Internationales Management studiert hat und heute nach verschiedenen Stationen in Frankreich in Paris im HR-Bereich eines internationalen Konzerns tätig ist. Die internationale Ausrichtung, die multikulturelle Vielfalt, Anpassungsfähigkeit und Aufgeschlossenheit sowie die praktische Ausrichtung des Studiums seien mitausschlaggebend gewesen, sofort einen Arbeitsplatz zu finden, so Rahn.
Viel weiter voneinander entfernt könnten die Unis kaum liegen: Das kühle und hanseatische Bremen im Gegensatz zum hitzigen und quirligen Marseille. „Dennoch ist die Wahl des Studienortes für Studenten weniger wichtig als die Qualität des Studienfachs", sagt der Vizepräsident der DFH, Prof. Dr. Olivier Mentz. Das zeige die Erfahrung. So seien Städte wie Nizza oder Aix-en-Provence manchmal weniger gefragt als die Provinz.
Mittlerweile deckt die DFH so gut wie alle Fachrichtungen ab, angefangen bei den Ingenieurwissenschaften, Geistes- und Sozialwissenschaften über Naturwissenschaften, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften bis hin zur Lehrerausbildung. Während die Verwaltung in Saarbrücken mit ihren rund 30 zweisprachigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in erster Linie Steuerungs- und Evaluierungsfunktionen ausübt, finden Vorlesungen, Seminare und Prüfungen an den jeweiligen Partnerhochschulen statt. Darin liege die Besonderheit und Schwierigkeit zugleich, erklärt Prof. Mentz. „Die jeweiligen Unis müssen sich finden, öffnen und binationale Projekte auch wollen, sonst funktioniert das in der Praxis nicht."
Die Kriterien für die Aufnahme in diesen wohl einzigartigen Hochschulverbund sind streng. Die von der DFH geförderten Studiengänge müssen sich alle vier Jahre einer Evaluation durch unabhängige Fachgutachter unterziehen. Das soll die Qualität sicherstellen und den Nachweis erbringen, wo die Gelder hinfließen. Der Großteil des Jahresbudgets der DFH von 14 Millionen Euro, hälftig finanziert von Frankreich und Deutschland, fließt in die so genannte Mobilitätsprämie. 300 Euro erhalten die Studenten, wenn sie ihre Studienzeit im jeweiligen Ausland verbringen. Bei Studienabbruch muss das Geld übrigens zurückgezahlt werden.
Offen sein für Internationalität ist eine der Prämissen der DFH. So sind die Partnerunis auch bestrebt, die eingeschriebenen Studenten in Deutschland und Frankreich in Seminaren möglichst zusammenzubringen. Die Auswahlkriterien, wer wo und wann zugelassen wird, bestimmen die Unis selbst. Daher sind Studenten anderer Nationen ebenso in den Studiengängen der DFH eingeschrieben. 40 Prozent sind deutscher und 43 Prozent französischer Nationalität.
Ein Element für ein zusammenwachsendes Europa
Toulouse und Kiel, dazwischen liegen fast 1.700 Kilometer, und so spielt die Nähe doch eine gewisse Rolle. Die meisten Studierenden an der DFH kommen prozentual gesehen aus den Grenzregionen wie Grand Est, Baden-Württemberg oder dem Saarland. Hier spielen natürlich auch die kurzen Wege eine Rolle.
Selbst in einem Europa ohne Grenzen bleibt der überwiegende Großteil der Studiengänge mononational ausgerichtet. Zwar gibt es das von der EU geförderte und etablierte Erasmus-Austauschprogramm zwischen Universitäten, aber der Austausch beschränkt sich oftmals auf ein Semester, und es bringt den Studenten sprachlich nicht so viel, wenn sie gleich in einer ganzen Gruppe für ein oder zwei Semester ins Ausland gehen. Sie bleiben vielfach unter sich.
„Wer sich für ein binationales oder sogar trinationales Studium entscheidet, muss das sehr detailliert planen", empfiehlt Professor Mentz. Viele Faktoren wie familiäre oder finanzielle Gründe spielen eine Rolle. „Aber es können auch Ängste sein, sich in einer anderen Kultur zurechtfinden zu müssen, um sich gegen ein Studium im Nachbarland zu entscheiden."
Frankreich und Deutschland seien sich vielleicht schon manchmal viel zu nah, vermutet der Vizepräsident. Denn bei einigen jungen Menschen sei es Trend, nach dem Abitur erst mal möglichst weit weg von zu Hause zu sein, in den USA, Kanada oder Australien. Aber dort ist die universitäre Ausbildung zum Teil teuer. Die Deutsch-Französische Hochschule könnte eine Alternative sein. Das findet auch Julia Hagelschuer. Die gebürtige Berlinerin absolvierte unter dem Dach der DFH den Masterstudiengang Deutsch-Französisches Management in Augsburg und Rennes und erhielt 2014 den Exzellenzpreis im Bereich Wirtschaftswissenschaften. Nach erfolgreicher Promotion in Augsburg arbeitet sie seit 2019 auf Geschäftsführungsebene in einem international tätigen Unternehmen der Automobilbranche im Saarland. Ein Studium an der DFH würde sie immer wieder machen, denn der Mehrwert neben dem Kennenlernen der anderen Kultur und der Sprache bestehe auch darin, seine Heimat mit anderen Augen zu sehen.
Die Zusammenarbeit der Universitäten ist ein wichtiges Element für ein zusammenwachsendes Europa. Die DFH gilt als Prototyp für die europäische Universität, wie der französische Präsident Emmanuel Macron sie fordert. Kaum eine internationale universitäre Kooperation, an der die DFH in irgendeiner Form nicht beteiligt wäre. „Wir haben die binationale Erfahrung in der Praxis, planen, finanzieren, gestalten und handeln gemeinsam", so Generalsekretärin Berthomier. Erst im Frühjahr 2019 entschied die EU, dass im Rahmen der ersten Pilotausschreibung zur Entstehung Europäischer Hochschulnetzwerke 17 „European University Alliances" gefördert werden. Darunter befinden sich 13 Kooperationen mit insgesamt 41 Mitglieds- und Partnerhochschulen der DFH. Das Tandem Deutschland und Frankreich hat, so scheint es, derzeit immerhin an dieser Stelle einen europäischen Vorsprung.