Gold – magisch, begehrt, oder doch nur „glänzender Dreck"? Mit dem Stück „Brillante Saleté" über Goldgräber in Burkina Faso beendete das Ensemble Theaterdiscounter die Spielzeit. Auch nach der Sommerpause stehen ungewöhnliche Formate auf dem Spielplan.
An Themenvielfalt und Spielfreude hat es der kleinen Bühne in der Klosterstraße nie gefehlt. Das liegt auch daran, dass die freie Szene hier zu Hause ist. Immer wieder holt das Team um den künstlerischen Leiter Michael Müller ungewöhnliche Formate und aufregende Gastspiele in die Hauptstadt. Das Stück „Brillante Saleté" („Glänzender Dreck") über das Gold von Burkina Faso ist eine freie Produktion mit burkinischen und deutschen Akteuren. Es entstand Ende 2018 in Ouagadougou, der Hauptstadt des westafrikanischen Landes. Die burkinischen Schauspieler und Musiker gehören zum Collectif Qu’on sonne et Voix-ailes, das im Kulturinstitut Gambidi beheimatet ist.
Burkina Faso ist eines der ärmsten Länder der Welt und gleichzeitig der fünftgrößte Goldproduzent Afrikas. Das meiste Gold fördern internationale Konzerne, aber der Goldrausch hat das ganze Land erfasst. Wo das Edelmetall im Boden gefunden wird, beginnt das große Graben − ohne Sicherheitsvorkehrungen, ohne professionelle Ausrüstung, ohne Ingenieurwissen. Kinder, Jugendliche, Männer und Frauen schürfen unter Einsatz ihres Lebens, ein Clan-Chef mit einer bewaffneten Gang herrscht über die Mine. Dabei geht das Land vor die Hunde: Agrarflächen werden sich selbst überlassen oder durch Grabungen zerstört, Trinkwasser wird durch Quecksilber verunreinigt. Und wieder profitiert nur der reiche Westen von dem Elend. Unterstützt von einem Overheadprojektor, der Zahlen, Fotos und Zeichnungen auf eine Wand im Bühnenhintergrund projiziert, skandieren die Schauspieler ihre Anklage: „Nur eine Tonne wird versteuert … und sieben Tonnen verlassen Burkina auf dem Schwarzmarkt nach Togo. Um von dort aus mit der Air France in die Schweiz transportiert zu werden. Weil nämlich die Schweiz in Togo kaum Steuern zahlen muss. C’est incroyable."
20 Millionen Schweizer Franken gehen dem Land so jährlich verloren.
Regisseur Frank Heuel, künstlerischer Leiter des Fringe Ensembles Bonn, und Annika Ley, die Ausstatterin des Stückes, hatten auf einer Recherchereise durch Burkina Faso verschiedene Minen besucht und Interviews geführt. Sie sprachen mit Minenarbeitern, mit den „Vögeln der Hügel" – wie die Frauen, die als Prostituierte von Mine zu Mine ziehen, genannt werden – und mit ihren Angehörigen. Die berichteten über ihr Leben am Tropf des Goldes. Alle Interviews sowie ein Gespräch mit einer Anthropologin bildeten die Basis für das Stück, das in drei Sprachen aufgeführt wird: auf Deutsch, Französisch und Mòoré, der Sprache der Einheimischen.
40 Inszenierungen im Jahr auch ohne festes Ensemble
Entstanden ist eine Art Dokumentartheater mit starken Bildern, unterhaltsam, manchmal auch witzig und frech. Was sie über das Elend des Goldabbaus zu sagen haben, tanzen die vier dunkelhäutigen und die drei weißen Schauspieler oder sie begleiten einen Monolog durch penetrantes Hämmern auf Steine. Einmal regt sich ein älterer Schauspieler, der die ganze Zeit still am Rand gesessen hat, furchtbar auf, und geht mit der Hacke auf die anderen los. Wegen des Sprachwirrwarrs dauert es eine Zeit – aber dann hat der Zuschauer begriffen, dass hier ein Bauer gegen die Kritik an den Minen protestiert, weil sein Sohn unter den Goldgräbern ist und er von dessen Einkommen lebt. In einer anderen Szene klagt eine Frau in drastischen Worten die Genitalverstümmelung an: „Ich wurde zweimal beschnitten. Weil beim ersten Mal die Klitoris nicht gut verheilt ist und man sagte, sie sei nachgewachsen. Beim zweiten Mal machte man es mit einem Messer, das man über dem Feuer erhitzt hatte." Zwar ist das Land mehrheitlich vom Islam geprägt, aber die Ethnien und Religionsgemeinschaften leben friedlich zusammen und die Fanatiker, die solche Praktiken durchsetzen wollen, halten sich zurück. Umso härter traf die Gesellschaft der Anschlag von radikalen Islamisten im Mai dieses Jahres auf eine Kirche im Norden des Landes. Das Gold-Stück, der „glänzende Dreck", war durch halb Deutschland getourt, bis es nach Berlin kam. Die Produktion ist beispielhaft für die Herangehensweise des Ensembles Theaterdiscounter: Stücke an deutschen Bühnen oder im Ausland aufzuspüren und sie dann ans eigene Haus holen. 2003 gegründet, war Theaterdiscounter von Anfang an als Bühne für freie Theatergruppen gedacht. „Unabhängige Kompanien, projektbezogene Zusammenstellungen, zunehmend Eigenproduktionen mit freien Künstlern, das ist unsere Arbeit. Ein festes Ensemble gibt es nicht", sagt Michael Müller. So kommt Theaterdiscounter zu mehr als 40 Inszenierungen im Jahr mit über 140 Vorstellungen. Darunter sind Klassiker wie ein Abend mit Kleists „Penthesilea – Love is to die".
Die Spielstätte ist ein schlicht gehaltener Raum mit 100 Sitzplätzen im zweiten Stock des ehemaligen Ost-Berliner Fernmeldeamtes – in Sichtweite des Fernsehturms am Alexanderplatz. Aber dabei belassen es die Theatermacher nicht. In der benachbarten Ruine des ehemaligen Franziskaner-Klosters zeigt das Musiktheaterkollektiv Glanz und Krawall eine Suchtpräventions-Show. Und die Truppe Post Theater inszeniert einen multimedialen Parcours im Labyrinth in und unter dem ehemaligen Fernmeldeamt. Versprochen ist eine fantastische Reise durch die Märchenräume der Gebrüder Grimm. Außerdem stehen in dieser Saison das Stück „Kulturrevolution" über das Ende der Arbeit und „Die Brüste des Tiresias", eine „Privatoper", auf dem Programm.
Keiner im Team kann von der Arbeit im Theater leben, vom Techniker bis zum Regisseur und dem Büroleiter haben alle noch ein zweites Standbein. Einen Großteil seiner Mittel erhält Theaterdiscounter über die Konzeptförderung des Landes Berlin. Auch die Lottostiftung hat bereits Fördergelder beigesteuert. Vom Senat kam denn auch der Ritterschlag als Ankerinstitution: „Der Theaterdiscounter hat sich im Kanon freier Spielstätten und im Zusammenspiel mit professionell produzierenden unabhängigen Kompagnien unentbehrlich gemacht."
Fragt sich noch, wie die Theatergründer auf den Namen gekommen sind. „Weil unser Haus zugänglich sein soll wie ein Discounter", antwortet Theaterchef Michael Müller prompt. „Wir grenzen uns ab von der Hochkultur, bei uns kostet das Ticket nicht wesentlich mehr als der Eintritt ins Kino." Zu den Vorstellungen kämen nicht nur diejenigen, die auf der Suche nach dem Skurrilen, Avantgardistischen seien. Sondern auch Schüler, Studenten, Touristen oder einfach Neugierige kämen hierher.
„Und ganz wichtig: Wir unterstützen den Nachwuchs an Schauspielern und Regisseuren – bei uns bekommen sie eine Chance." Egal wie unterschiedlich die künstlerischen Ansätze auch sind, auf einen gemeinsamen Nenner könnten sich wohl alle Akteure im „Theaterdiscounter" einigen, so Müller. Dabei verweist er auf ein Zitat von der Homepage: „Meist sind wir politisch, oft anti-illusionistisch, manchmal ganz banal real und immer gutes Theater."