„Pinsa … no stress" heißt das kleine Lokal im Völklinger Stadtteil Geislautern. Und der Name ist hier Programm, denn wie es sich für einen guten Pizzateig gehört, darf dieser lange ruhen, bevor er verarbeitet wird. Selbstredend, dass auch nur die besten Zutaten den Belag bilden.
Einer meiner Freunde schwärmte mir vor Kurzem von einer kleinen Pizzeria in der Ludweilerstraße in Geislautern vor. Wer den Ort nicht kennt: Geislautern ist ein Stadtteil von Völklingen, sozusagen das Tor zum Warndt. Er behauptete, hier gebe es die beste und authentischste Pizza und Pinsa. Also mache ich mich auf den Weg nach Geislautern.
Seit Mitte des vorigen Jahrhunderts hat die italienische Küche ihren Siegeszug im Saarland angetreten. Viele italienische Einwanderer kamen hierher, um im Stahlwerk oder unter Tage im Bergbau hart zu arbeiten. Die nächsten Familiengenerationen blieben hier, und viele von ihnen arbeiteten in ganz anderen Metiers, beispielsweise in der Gastronomie.
Heute hat fast jede saarländische Familie ein Ristorante oder eine Pizzeria, die sie ihren Lieblingsitaliener nennen. Doch wie so oft haben sich auch italienische Gastronomen dem Geschmack ihrer Kunden angepasst und ihre Küche etwas germanisiert. So finden sich heute viele Positionen auf so manchen Speisekarten, die es so in Italien überhaupt nicht gibt. Ich denke beispielsweise an die Pizza „Sophia Loren" mit Spiegelei.
Umso erfreulicher finde ich die Res-taurants, die mir die wahre Küche ihrer Heimat präsentieren. In Geislautern gibt es seit einigen Wochen ein solches Restaurant. Torsten Krieg und Friedrich Adams sind die Betreiber. Wieso ausgerechnet zwei Deutsche für eine authentische, italienische Küche stehen, erklärt Torsten Krieg: „Ich liebe die Küche Italiens und habe mir vor fünf Jahren einen Pizzaofen in den Garten gestellt. Beruflich bin ich häufig in Italien und kenne die Unterschiede, wie es dort schmeckt und wie hier. Wir wollten einen Geschmack wie in Italien, und damit unsere Pizzen so schmecken wie etwa in Neapel, steht bei uns ein Italiener am Ofen – Antonio Chiarelli." Chiarelli stammt aus Italiens Süden, aus Scala Coeli in Kalabrien.
Im Süden Italiens gib es immer einen Spezialisten für die Pizza. In Neapel heißen diese Spezialisten Pizzaioli. Ihre Kernkompetenz ist das Herstellen eines unverwechselbaren Teiges. Ein guter Pizzateig ist eine Wissenschaft für sich. Das beginnt schon mit dem Mehl, denn eine gute Pizza kann man nicht mit einem x-beliebigen Mehl machen. Bei der Weiterverarbeitung bedarf es auch eines besonderen Wissens. Und auch die Ruhezeit für den Teig muss eingehalten werden. Diese kann bis zu 72 Stunden betragen. Deshalb heißt der Laden in Geislautern auch „Pinsa … no stress." Wer nicht warten kann, bekommt keinen guten Teig.
Ein Geheimnis ist das Caputomehl
Außerdem weiß ein Pizzaioli genau, wie er mit dem fertigen Teig umzugehen hat. So formt er etwa eine kleine Teigkugel, und daraus macht er eine Teigscheibe. Ganz dünn muss diese sein. In der Mitte soll die Pizza ja nicht dicker sein als etwa einen halben Zentimeter. Und am Rand nicht dicker als zwei Zentimeter, aber dafür mit einer schönen Kruste. Die Italiener nennen diese „Cornicone". Ist die Piza belegt, schiebt sie der Fachmann – mithilfe von etwas Mehl – auf einem Schieber in den Ofen. Dort gart sie dann auf der Ofensohle des Holzofens.
In Geislautern gibt es aber auch eine weitere Spezialität, die man so nicht überall findet: die sogenannte Pinsa. Sie sieht der Pizza ähnlich, ist aber keine. Das Wort Pinsa stammt vom Wort pinsere aus dem Lateinischen und bedeutet zerstampfen oder zerstoßen. Schon im alten Rom wurde die Pinsa gegessen. Die Bauern verarbeiteten damals Getreide wie Hirse, Dinkel und Gerste, zusammen mit ausgesuchten Kräutern. Wie die Pinsa hier im Haus gemacht wird, erklärt Torsten Krieg: „Die Pinsa kennt man eigentlich in Deutschland nicht, eher in Rom und weiter südlich. Früher brachten die Leute ihre Backmischung zum Bäcker, da sie zuhause meist keinen Backofen hatten. Also gingen sie mit ihrem zusammengemischten Mehl zum Bäcker, und er hat den armen Leuten für kleines Geld die Pinsa gebacken. Das ist der Ursprung. Und unser Anliegen ist es, ähnlich dem Brot Foccacia aus Sardinien, die Pinsa nach Deutschland zu bringen." Der Teig der Pinsa wird heutzutage noch immer fast ohne Hefe gemacht. Da gibt es viele Geheimmischungen. Hier im Hause wird eine selbst hergestellte Bierhefe von Antonio Chiarelli verwendet.
Über ein halbes Jahr wurde experimentiert, bis die Teigmischung so war, wie sie jetzt ist. Sie besteht hier aus drei Mehlsorten – aus Caputomehl aus Italien, einem Sojamehl und einem Reismehl. Kenner schwören auf dieses Mehl aus der altehrwürdigen Familienmühle Caputo. Das Caputomehl hat auch die Bezeichnung 00 und wird in vielen guten italienischen Ristoranti zum Pizzabacken verwendet. Das Original halt aus Italien. Der Pizzateig wird damit ein ganz besonderer. Wenn man einen entscheidenden Punkt beachtet: Der Teig muss länger ruhen.
Das kleine Lokal in Geislautern ist bereits nach wenigen Wochen zum beliebten Treffpunkt geworden. Manche Gäste kommen zum Essen hierher, andere, um ihre Bestellungen abzuholen. Bei unserem Besuch herrscht schon sehr früh reges Treiben. Immer wieder kommen neue Gäste, andere gehen zufrieden mit ihren Bestellungen. Nicht ohne vorher ein Schwätzchen bei einem Glas Wein oder einem Bier gehalten zu haben. Schließlich sind wir im Saarland. Aber auch Süditaliener lieben es, nach einem Kinobesuch noch eine Pizza oder Pinsa in einem kleinen Laden zu bestellen – bei einem geflegten Bier.
Nur der Meerblick fehlt zur perfekten Illusion
Dass hier Wert auf hohe Qualität gelegt wird, schmeckt man sofort. Beispielsweise werden Tomaten verwendet, die am Fuße des Vesuvs gereift sind. Diese Sorte heißt Marzano-Tomate. Oder Fior di Latte Affumicata-Mozzarella. Das ist nicht irgendein Mozzarella, sondern er stammt aus einer kleinen Manufaktur. Alles Handarbeit und sehr selten in Deutschland. Er ist etwas teurer, hat aber einen ganz besonderen Geschmack. So ist das bei anderen Produkten auch. Nur ein paar Meter weiter befindet sich das Geschäft „Genuss aus dem Warndt", mit dem „Pinsa" mittlerweile zusammenarbeitet und von dort Flusskrebse aus Norddeutschland bezieht.
Bei meinem Besuch habe ich schnell den Eindruck, ich sei in Italien. Es wird viel erzählt, viel gelacht. Irgendwer hat noch eine Tischrunde bestellt. Getränke werden gereicht, die Pinsa wird in die Mitte des Tischs gestellt und geteilt. Diese teilen wir uns, so wie bei vielen italienischen Familien daheim. Und wir bestellen auch noch zwei, drei nach. Wenn ich jetzt noch einen Blick aufs Meer hätte, wäre ich sicher, in Italien zu sein.