Vor wenigen Tagen ist die Biografie von Edward Snowden erschienen und sorgt seitdem für Aufsehen. Der wohl berühmteste Whistleblower unserer Zeit gibt tiefe Einblicke in die wichtigsten Jahre seines Lebens.
Edward Snowden verdient die Todesstrafe". Das sagte kein geringerer als Mike Pompeo, heute Außenminister der USA, im Jahr 2016, als er noch im US-Repräsentantenhaus saß. Edward Snowden hat als Mitarbeiter des US-Geheimdienstes NSA Millionen geheimer Daten kopiert und an die Presse weitergeleitet. Er hat damit offengelegt, dass die NSA den weltweiten Datenverkehr überwacht, Handys und Computer von Unternehmern und Politikern im In-und Ausland abhört – darunter auch das Handy von Angela Merkel. Die US-Geheimdienste haben unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung mittlerweile ein globales Überwachungsregime installiert.
Snowdens Entscheidung, mit seinen Daten und seinem detaillierten Wissen über deren Nutzung an die Öffentlichkeit zu gehen, wird in den USA von vielen als Verrat gesehen, von wenigen als ein Akt großer Zivilcourage. Was Edward Snowden dazu bewegte, ein sogenannter Whistleblower zu werden, beschreibt er ausführlich in der jetzt erschienenen Biografie „Permanent Record: Meine Geschichte". Er beschreibt, wie er vom jungen Computerfreak, der sich nach den Terroranschlägen vom 11. September zur Armee meldete, zum Datenspezialisten, Geheimnisträger und Spion wird und schließlich zum US-Staatsfeind Nummer eins. Snowden wusste, wie radikal sein „Verrat" sein Leben für immer verändern würde. Seit dem Sommer 2013 lebt er unter einer geheimen Adresse in Moskau. In den USA erwartet ihn derzeit mindestens eine sehr lange Freiheitsstrafe und niemand kann sagen, ob er jemals wieder in seine amerikanische Heimat zurückkehren und dort frei leben kann. Dort, im US-Bundesstaat Maryland, verbringt er seine Kindheit. Er ist das schlauste Kind in der Schule, die ihn aber wenig interessierte, weil er Nächte am Computer verbringt und auf der Schulbank nur den verlorenen Schlaf nachholt. Wie viele Kinder seiner Generation, die eine Welt ohne Internet nicht kennen, bringt er sich das Hacken selbst bei. Mit 13 besucht er aus Neugierde die Webseite des Los Alamos National Laboratory, dem wichtigsten amerikanischen Kernforschungslabor und entdeckt eine gefährliche Sicherheitslücke im System, die ihm Angst einjagt. Er informiert den Webmaster mit einer E-Mail. Ein Mitarbeiter des Labors ruft bei Edwards Mutter an. Das Telefonat mit dem IT-Mitarbeiter endete mit dem Satz „Melde Dich wieder wenn Du 18 wirst". Nach den Terroranschlägen vom 11. September tritt Snowden in die Armee ein, wo er, wie er rückblickend selbst schreibt, „als willfähriges Instrument der Rache" zur Verfügung steht. Weil er sich in der Grundausbildung beide Schienbeine bricht, wird er vorzeitig entlassen. Danach will er, wie er selbst sagt, seinem Land dienen „durch die Arbeit am Computer".
Von vielen als Verräter betrachtet
Bei den Geheimdiensten CIA und NSA macht er eine steile Karriere. Er arbeitet in Genf, Tokio und Hawaii. Misstrauisch wird er zum ersten Mal, als er 2009 als Mitarbeiter des NSA kurzfristig einen Konferenzbeitrag vorbereiten soll, über Methoden, mit denen Chinas Geheimdienste amerikanische Agenten elektronisch verfolgen und wie die amerikanischen Dienste NSA, CIA, FBI und Militär das verhindern könnten. Bei seinen Recherchen wird ihm klar: „Was China offen mit seinen eigenen Bürgern machte, machte Amerika womöglich im Geheimen mit der ganzen Welt." Vier Jahre sammelt er Beweise, kämpft mit seinem Gewissen, schleppt Wissen mit sich herum, über das er mit niemanden reden darf, weil er dadurch sich und seine Gesprächspartner, seine Freundin und Familie, gefährden würde. Schließlich speichert er die Beweise und schmuggelt sie aus dem streng bewachten NSA-Gebäude auf der Hawaii-Insel Oahu: Auf SD-Karten, den fingernagelgroßen Speicherchips, die jeder aus Handys oder Kameras kennt. Snowden transportiert diese Mikrochips im Mund, auf seinem Rubiks-Zauberwürfel oder in den Socken und übergibt die Daten schließlich an sorgfältig ausgewählte Journalisten, mit denen er sich in Hongkong trifft.
Schon kurz nach den Veröffentlichungen der geheimen Informationen spürt er den langen, mächtigen Arm der amerikanischen Behörden, für die er einst gearbeitet hat. Sein Reisepass wird annulliert, das Flugzeug des bolivianischen Präsidenten Morales wird zur Landung gezwungen, weil die US-Regierung Snowden an Bord vermutet, in Hongkong muss Snowden sich im Armenviertel unter Menschen verstecken, die wie er von ihren Regierungen politisch verfolgt werden.
Was sich wie ein Spionagethriller anhört, war und ist Realität. Das Buch ist dementsprechend spannend, aber überraschend ist vor allem der hohe Grad der Reflexion und Introspektion, die der introvertierte und einzelgängerische Snowden hier an den Tag legt. Es ist bewegend, wie sehr Snowden den Leser an seinem Innenleben teilhaben lässt. Er argumentiert dennoch weniger moralisch als politisch gegen die Geheimdienste seines Landes. Er benennt politische und juristische Vorgänge, die seiner Meinung nach, einem Staatsreich gleichkommen. Das System der US-Verfassung und ihrer drei Gewalten, Legislative, Exekutive und Judikative, funktioniert nur wenn auch diese Machtzentren wie beabsichtigt funktionieren. „Wenn alle drei nicht nur versagen, sondern absichtlich und koordiniert versagen, ist das eine Kultur der Selbstermächtigung."
Will mit seinem Buch die Diskussion am Laufen halten
Snowdens Analyse klärt uns auch über die Strukturen der Macht im Digitalzeitalter auf. Eine totale Überwachung macht irgendwann jeden zum Kriminellen und degradiert den Verbraucher zu einem Produkt, das in Form von Informationen an andere Unternehmen und Werbetreibende weiterverkauft wird. Die Internetgiganten sind dabei schon lange zu Geschäftspartnern und Handlangern der Regierungen geworden. Wer daran noch Zweifel hat, den lässt Snowden zum Beispiel wissen, dass die CIA die administrative Kontrolle ihres Cloud-Speichers in die Hände von Amazon gelegt hat – und das ganz offiziell mit einem 600 Millionen US-Dollar schweren Zehnjahresvertrag.
Edward Snowden will mit seinem Buch auch die Diskussion über den in seinen Augen wichtigsten Konflikt unserer Zeit am Laufen halten. Ex-US-Präsident Obama selbst gibt indirekt zu, dass es auch den „Snowden-Leaks" zu verdanken ist, dass mit dem „USA Freedom Act" von 2015, geheimdienstliche Befugnisse bei der Terrorbekämpfung eingeschränkt und ein Regelwerk für die Geheimdienste beschlossen wurden. Auch in Europa wurden Snowdens Veröffentlichungen zumindest als Warnung verstanden. Mit der Europäischen Datenschutzgrundverordnung von 2018 wurde zumindest versucht, mehr Schutz privater Daten zu verankern, als es Facebook, Google, Amazon und Co. gerne gehabt hätten. Edward Snowden hat diesen schärferen Datenschutzgesetzen den Weg geebnet. Als Europäer sollten wir Edward Snowden nicht zuletzt dafür dankbar sein.
Vielleicht trägt seine Biografie dazu bei, dass man irgendwann auch in seiner Heimat USA sieht, welchen Dienst er der Demokratie erwiesen hat. Wenn man sich allerdings an die drastischen Worte von Mike Pompeo erinnert, dann klingt diese Hoffnung ziemlich naiv.