Es waren keine einfachen Fragen, denen sich Bundesgesundheitsminister Jens Spahn bei seinem Besuch in der Pflegeeinrichtung „SenVital" in Chemnitz stellen musste. Die Themen der rund 70 Interessenten drehten sich um Fachkräftemangel und bürokratische Hürden.
An diesem Vormittag ist Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) seinem Terminkalender um 15 Minuten voraus. Als er festen Schrittes auf den großen Speisesaal in der Chemnitzer Pflegeeinrichtung „SenVital" zusteuert, sind die meisten der rund 70 Gäste aus Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen noch dabei, sich Kaffee einzugießen. „Bloß keine Hektik", richtet sich der Minister gut gelaunt an das etwas überraschte Publikum. Er hätte Zeit mitgebracht. Über eine Stunde, um sich den drängenden Fragen der Betroffenen zu stellen, sie ein Stück weit aufzufangen. Als die Gäste sich ihre Sitzplätze suchen, lotst Spahn die Besucher. „Schauen Sie, da ist noch ein Sitzplatz", hilft er einem der Diskussionsteilnehmer. Als in den Saal Ruhe einkehrt, stellt der Minister seine Intention klar: Er wolle nichts versprechen, was er nicht halten könne. Vielmehr würde es ihm um eine konstruktive Debatte gehen, bei der die Seiten auf der Suche nach einer Lösung aufeinander zugehen könnten. Die Bürger hätten ihr Vertrauen in die Politik verloren. Das gälte für viele politische Bereiche und auch für die Pflege, weiß Spahn. Mit solchen konstruktiven Debatten könne man sich wieder einander annähern, hofft der Bundesgesundheitsminister. „Und einen Kompromiss finden."
Beim Fachgespräch gibt es zwischen dem Plenum und dem Minister keine Berührungsängste. Sofort schießen mehrere Hände in die Luft. Es geht um Fachkräftemangel, um die Frage zur Finanzierung und die freien, noch nicht besetzen Stellen. Wie steht es um die Zukunft der Pflege? Wann kommt Hilfe und wie wird sie finanziert? Der Minister zeigt sich zuversichtlich: „Das Geld ist da", betont Spahn. Derzeit gebe es zwischen 50.000 und 80.000 Stellen im Kranken- und Pflegebereich, die finanziert seien und bereits morgen besetzt werden können. Jetzt würde es darum gehen, wie diese besetzt werden sollen. Und hier sieht Jens Spahn auch den Kern der Debatte: den Fachkräftemangel. Die Pflegekräfte seien in einer Rolle, an die sie sich noch gewöhnen müssen, sagt der Minister. Aufgrund des Fachkräftemangels, „sitzen die Pflegekräfte am längeren Hebel". Von Konkurrenten ausgeschüttete Prämien, die dazu dienen sollen, Personal untereinander abzuwerben, und immense Gehaltsunterschiede innerhalb der Branche zwingen manche Arbeitgeber regelrecht in die Knie. „Wir können unsere Kräfte nicht mehr halten", bedauert eine der eingeladenen Teilnehmerinnen. Was also tun?
Ein Gutachten über die Fachkräftequote in einer Pflegeeinrichtung
Natürlich wäre es auch sein Wunsch, dass sich manche Dinge schneller umsetzen lassen, als sie im Endeffekt laufen, betont Spahn beim Fachgespräch im Chemnitz. So wie beispielsweise die Umsetzung seines Gesetzes zur Stärkung des Pflegepersonals. Mit dem „Sofortprogramm Pflege" brachte der Minister Anfang Januar ein Pflegepaket auf den Weg, das unter anderem 13.000 neue Stellen in der stationären Altenpflege sowie die Einführung von Personaluntergrenzen vorsah. Doch es verlief nicht alles so glatt, wie anfangs angenommen: Laut einer Umfrage bei den zuständigen Krankenkassen seien bisher lediglich zusätzliche 2.300 Stellen beantragt. Diese Anträge würden derzeit von der Kasse geprüft. Demnach wurden nur die wenigsten Stellen in tatsächliche Jobs umgewandelt. „Wie sieht es also mit den restlichen Stellen aus?", richtet einer der rund 70 anwesenden Diskussionsteilnehmer seine Frage an den Minister. „Werden wir Unterstützungen bekommen?" Die Antwort: „Die bürokratische Verfahren sind eben so, wie sie sind", so der Bundesgesundheitsminister. Man sei allerdings bereits im Gespräch mit den Kassen, um diese Vorgänge zu beschleunigen. „Die Stellen werden kommen", versichert Spahn. Man bräuchte nur noch ein wenig Geduld.
Eine bessere, flächendeckende Bezahlung soll das Gleichgewicht zwischen den einzelnen Einrichtungen wiederherstellen, meint Spahn. Als ein Teil der „Konzertierten Aktion Pflege" soll das neue Gesetz den Altenpflegern künftig ein Gehalt von mindestens 2.500 Euro monatlich garantieren und gleichzeitig auch die Gehaltsunterschiede innerhalb der Branche eindämmen. „Vor allem das Lohngefälle zwischen Ost und West ist besonders stark", mahnt eine Einrichtungsleiterin während des Fachgesprächs an. Jens Spahn greift ihren Gedanken auf, geht einen Schritt weiter. Auch zwischen den Bundesländern sei das Lohngefälle immens, so der Minister, und schlägt gleich zwei Punkte zur Verbesserung der Situation vor: Zum einen sollen die Arbeitgeber und die Gewerkschaften einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag für Altenpfleger aushandeln und ihn für die gesamte Branche geltend machen. Das würde die in der Frage erwähnten Unterscheide zwischen Ost- und Westdeutschland aufheben. Sollte das nicht gelingen, schlägt Spahn eine Anhebung der Mindestlöhne innerhalb der Pflege vor, mit höheren Lohnuntergrenzen für die ausgebildeten Fachkräfte.
Eine weitere Möglichkeit Fachkräfte zu generieren, sieht der Bundesgesundheitsminister im Ausland. Doch auch hier gelten die gleichen Strukturen, wie für einheimische Pflegekräfte: gute Arbeitsbedingungen und eine solide Bezahlung. Das ist die Basis, um die potentiellen Pfleger für diese Job zu begeistern. Den Vorwurf, man setze nur auf „Billigkräfte aus dem Ausland", weist Spahn entschieden zurück. Auch solche Länder wie die Schweiz, Großbritannien und die Niederlande würden verstärkt nach Fachkräften für die Pflege suchen. Somit sei es gar kein Fischen nach billigen Arbeitskräften. Vielmehr zwinge eine solche Strategie Deutschland dazu, wenn das Land ausländische Arbeitskräfte anwerben möchte, die Arbeitsbedingungen innerhalb des Landes auf ein gutes Niveau anzupassen. Davon würde dann die ganze Branche profitieren.
„Wäre es nicht sinnvoll, ein Freiwilliges Soziales Jahr in der Pflege einzuführen, um mehr Kräfte zu generieren?", fragt ein Teilnehmer aus dem Plenum. Der Minister greift diesen Gedanken auf. Auch er findet die Idee sinnvoll. Vor allem, weil die Jugendlichen dabei relativ schnell feststellen könnten, ob ein Pflegeberuf für sie infrage kommen würde oder eben nicht. Allerdings müsste man diesen Gedanken auch auf andere Bereiche ausweiten und sich dabei nicht nur auf die Pflege beschränken.
Im Moment wartet Jens Spahn noch auf die Zahlen. In vier bis sechs Wochen werde dem Minister ein Gutachten vorliegen, das nachweisen soll, wie die Fachkräftequote in einer Pflegeeinrichtung überhaupt sein müsste. Zwei Jahre habe man an diesem Gutachten gearbeitet, den Aufwand in der Pflege bemessen, mit Pflegern und Patienten gesprochen. Nun sollen die Auswertungen mehr Klarheit in die Debatte bringen. „Natürlich würden 100 Prozent gut klingen", weiß Spahn um die Wünsche der Betroffenen. Dennoch sei diese Zahl für den Bundesminister nicht zielführend. Stattdessen schlägt Spahn vor, mehr Pflegehilfskräfte in den Betrieb einzubinden und die Fachkräfte damit auch ein Stück weit zu entlasten. Schließlich brauchen die Häuser Unterstützung. Und Pflegehilfskräfte könnten diesen Bedarf decken. Zumindest vorübergehend.