Saarbrücken war am 20. September einer der vielen Protest-Orte des globalen Klimastreiks, zu dem die Fridays-for-Future-Bewegung aufgerufen hatte. Warum folgen Menschen dieser Bewegung? Eine der Streikenden ist FORUM-Mitarbeiterin Saskia Bommer, die Einblicke gibt in die Umstellung ihres nachhaltigeren Alltags.
Meine Augen sind geschlossen, die Sonne scheint mir ins Gesicht. Unter mir spüre ich den aufgeheizten, grobporigen Asphalt. Von Weitem dringt Musik in mein Ohr. Der deutsche Interpret Alligatoah rappt über das Konsumverhalten der Massen. „Lass liegen" rät er den Hörern in seinem ironisch-eingängigen Refrain. Ich lächle in mich hinein. Klimaschutz liegt im Trend, auch in der Musik.
Mit mir liegen noch Tausende mehr Menschen zwischen dem Saarbrücker Rathaus und der Johanniskirche. Von hier aus erstreckt sich der Demozug der Fridays for Future bis zum Staatstheater. Wir demonstrieren gemeinsam, um dem Klimawandel entgegenzuwirken, und für eine Politik, die sich dieser Aufgabe mit vollem Einsatz widmet. Organisiert und geleitet wird der Zug von dem Fridays-for-Future Team des Saarlandes.
Es fühlt sich fast ein bisschen absurd an, hier auf der Straße zu liegen, an diesem sonnigen Nachmittag, es scheint als würde es mich gar nicht betreffen, wie ein fremder Traum oder eine Fernsehschmonzette, bei der das Happy End vorbestimmt ist. In unserem Alltag ist der Klimawandel oft weit weg, wenig greifbar, wird nicht mitgedacht bei Einkäufen, Autofahrten, Reisen. Aber der Schein trügt. Mit Blick auf den Kompromiss des Klimakabinetts in Berlin ist klar, dass das Happy End noch weit entfernt ist. Und die Zeit drängt.
Dies ist der erste Artikel, den ich schreibe, und meine erste Demonstration. Ich war schon immer fasziniert von Weltuntergangsszenarien. Als 2012 die Apokalypse durch die Vorhersagung der Maya in den Medien umherging, kaufte ich einen Vorrat an Wasser und Lebensmitteln und ein Überlebensbuch. In der Nacht, in der es denn letztendlich passieren sollte, das Ende aller Tage, lag ich wach im Bett, hatte Angst einzuschlafen und nicht mehr aufzuwachen. Woher die Faszination kam, kann ich nicht genau sagen, aber sie hat mich mein ganzes Leben lang begleitet.
„Ich wollte etwas verändern"
Im Dezember 2018 saß ich an meinem Rechner und sah mir das Video von Greta Thunbergs Rede bei der UN-Klimakonferenz in Kattowitz an, ihren Appell an die Politik, die ganze Menschheit, dringend etwas gegen den Klimawandel zu unternehmen. Natürlich wusste ich, dass es um unsere Umwelt nicht gut bestellt war, dass Tiere vom Aussterben bedroht, die Meere von Plastik durchzogen, unsere Luft verschmutzt war. Aber das, was sie sagte, in all dieser Klarheit und kindlichen Direktheit, ließen mich aufhorchen. Sie sprach darüber, dass sie für Klimagerechtigkeit und einen lebendigen Planeten eintritt, dass es Zeit ist zu handeln, ansonsten würden wir unseren Kindern die Zukunft stehlen, dass eine Krise auch als solche behandelt werden sollte. Ich dachte an meine kleine, dreijährige Tochter und dass sie eine der Leidtragenden dieser Klimakrise sein würde.
Ich wollte also nicht länger nur rumsitzen, ich wollte etwas verändern. Für mich, meine Tochter, und die Allgemeinheit. Aber was kann ich tun als Einzelperson? Nun, ich kann meine Sorge zeigen. Mich auf die Straße legen wie heute, Haltung demonstrieren. Oder nach und nach selbst in meinem Alltag Dinge verändern.
Ich schaue mir eine Reportage über Massentierhaltung an, und entscheide mich, endgültig Fleisch und Wurst von meinem Ernährungsplan zu streichen. Auch vorher schon wusste ich um die Zustände in Mastbetrieben oder Schlachthäusern. Aber die Entscheidung, darauf zu verzichten, ließ auf sich warten. Zu gut schmeckte es. Der Gedanke an das Leid der Tiere versteckte sich hinter dem lecker zubereiteten Schnitzel. Die Grausamkeit dieser Maschinerie und das Töten von Lebewesen, die auch ein Recht auf ihr eigenes Leben haben, lässt mich aber nun nicht mehr los. Regionales Obst und Gemüse lasse ich mir einmal die Woche von einem Biobauern aus der Umgebung liefern. Für gewisse Dinge gehe ich in den kleinen Unverpackt-Laden im Nauwieser Viertel, gerade Nudeln, Reis, Getreide, aber auch Wasch- und Spülmittel kann ich mir hier plastikfrei aus großen Trichtern abfüllen. Die Auswahl an Obst und Gemüse ist hier eher klein, aber dafür habe ich ja meine Frischekiste. Kleidung wird auf Flohmärkten oder gebraucht im Internet bestellt. Interessanterweise sind es gerade diese Kleidungsstücke, auf die ich angesprochen werde. Zu Geburtstagen verschenke ich Obst- und Gemüsenetze aus Baumwolle oder fair gehandelte Schokolade aus dem Dritte-Welt-Laden. Und trotz anfänglicher Schwierigkeiten bei der Anwendung ersetze ich Tampons durch eine Menstruationstasse. Ich habe dabei kein Gefühl von Verzicht, im Gegenteil, es macht mir Spaß, neue Dinge auszuprobieren.
Aber dann gibt es Tage, an denen sich Termine überschlagen, ich gestresst zwischen der Arbeit und dem Kindergarten hin- und herfahre. Und dann sehe ich mich doch irgendwelchen, in Plastik verpackten Quatsch in der Mittagspause kaufen, fahre einmal zu viel mit dem Auto, weil es mit dem Fahrrad deutlich mühsamer wäre. Und auch gefährlicher, da viele Strecken alles andere als fahrradfreundlich sind, die Autos die Vorherrschaft über die Straße und leider auch die Bürgersteige haben. Und zu guter Letzt bestelle ich mir doch irgendetwas Unnötiges im Internet aus dem Gefühl heraus, es zu brauchen, und ärgere mich hinterher aufgrund meiner Inkonsequenz. Wie schön und wie erleichternd wäre es, gar nicht erst in Versuchung zu kommen.
„Ganz ohne Konsum geht es leider nicht"
Geht es den übrigen Demonstranten ähnlich, das Schwanken zwischen Konsum und Klima? „So ganz ohne Konsum geht es leider nicht", bedauert Nils Krämer und blickt mir dabei direkt in die Augen. Nils ist noch sehr jung, gerade mal 22 und doch engagiert sich der Student seit Jahren für die Nachhaltigkeit. „Ich esse seit vier Jahren beispielweise kein Fleisch mehr, kaufe mir keine neuen Sachen und shoppe ausschließlich in Fair-Trade- oder Secondhandläden", erzählt er mir von seinem umweltbewussten Leben. Nils versucht, weitestgehend auf Plastik zu verzichten und öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Doch genau hier stößt der junge Mann aus Schiffsweiler auch an seine Grenzen. „Viele Dinge lassen sich leider gar nicht vermeiden", beklagt sich Nils. So, wie beispielweise die Tatsache, dass die öffentlichen Verkehrsmittel gar nicht so gut ausgebaut sind, wie sie sein sollten, um eine echte Alternative zum Pkw zu bieten. Manche Orte lassen sich weder mit Bahn noch Bus erreichen, „da kommt man nur mit dem Auto hin". So wie auch der ganze Verpackungswahnsinn. „Bio-Produkte sind beispielsweise größtenteils in Plastik gehüllt", sagt er und verdreht dabei die Augen. Ich kann die Aussage absolut nachvollziehen und nicke zustimmend.
Der Platz für die Kundgebung füllt sich, zu mir und Nils stoßen immer mehr Leute dazu. An der Alten Feuerwache ist eine kleine Bühne ist aufgebaut. Blecherner Sound dröhnt aus den Boxen. Es sind überwiegend junge Menschen vor Ort, Familien, aber auch ältere Menschen sind dem Aufruf der Fridays-for-Future-Bewegung gefolgt. Aufbruchsstimmung liegt in der Luft und die Frage, wie viele Menschen sich an diesem Freitagnachmittag hier einfinden werden. Es wird gelacht und angeregt über Themen wie Nachhaltigkeit, Greta Thunberg und die Veranstaltung an sich diskutiert.
Durch das Stakkato einer Trommlergruppe höre ich ein junges Mädchen, vielleicht 15 Jahre alt, sie sticht aus der lauten Masse hervor. Fahnenschwenkend schreit sie aus vollem Halse Parolen für den Klimaschutz. Sie schreit so voller Leidenschaft, dass ihr Gesicht ganz rot ist und ihre Stimme immer wieder bricht. Die Menschen drumherum begegnen ihr mit verwunderten Blicken, zwei Mädchen neben ihr fangen an zu kichern. Aber davon lässt sich die junge Klimaaktivistin in keiner Weise beirren. „Wir sind hier. Wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut." Ihre Forderung an die politischen Mächte ist klar und deutlich.
Wir laufen ein Stück, lassen uns von der Masse mitziehen. Die Sonne begleitet unseren Weg. Irgendwann sehe ich ein Schild, auf dem steht: „Atomkraft? Ja bitte." Der junge Mann, der das Schild hält, ich schätze ihn auf 16, vielleicht 17 Jahre, steht am Straßenrand und blickt direkt und ohne Scheu in die Menge. Ich frage ihn, ob es das ist, was er wirklich denkt. Seine Antwort verblüfft mich. Der Umweltschutz liege ihm sehr am Herzen meint er. Er wolle darauf aufmerksam machen, dass Atomkraft weniger CO2 Ausstoß habe als alle anderen Energien zusammen.
Laut Umweltbundesamt ist Atomstrom keineswegs CO2-neutral. Im Betrieb werden keine CO2-Emissionen ausgestoßen, jedoch sind Treibhausgasemissionen größtenteils der Stromproduktion vor- und nachgelagert. Atomkraft gewinnt zwar gegenüber den CO2-Emissionen der Kohlekraftwerke, ist aber klarer Verlierer im Vergleich mit den erneuerbaren Energien.
Kurze Zeit später geht ein grauhaariger, sympathisch wirkender Mann mit Brille neben mir her, in den Händen ein Greifstab und eine Mülltüte. Er komme aus Illingen, erzählt er, und den Müll von der Straße sammeln, das tue er eigentlich ständig, zu Hause in seinem Wohnort und bei Ausflügen. Zusammen mit seiner Frau und seinem Sohn geht er heute beim globalen Klimastreik mit, auch hier mit dem Ziel, die Saarbrücker Straßen vom Müll zu befreien. Am Ende unseres Gesprächs weist er mich auf den World Cleaning Day in Illingen am nächsten Tag hin, auf fünf Routen beseitigen Menschen den Müll vor Ort. Wie toll, denke ich, wenn das hier jeder Mensch machen würde, wäre Saarbrücken im Handumdrehen um einiges sauberer.
Auf halber Strecke halten wir an und werden durch ein Megafon aufgefordert, uns auf den Boden zu legen. Mein erster Impuls ist: auf gar keinen Fall. Was beweist das, wenn ich mich jetzt hinlege? Rein gar nichts, ich kann doch für die Erhaltung des Klimas demonstrieren ohne mich auf den schmutzigen, weil stark befahrenen Asphalt zu legen, oder? Doch dann sehe ich Kinder, Jugendliche, und sogar Senioren, von denen manche nicht mehr gut zu Fuß sind, die bereitwillig ohne zu zögern der Aufforderung folgen. Und dann denke ich: „Scheiß drauf, ich tue das für meine Tochter", und lege mich dazu.
Proteste in 2.900 Städten in mehr als 160 Ländern
Und dann ist sie da. Kurz vor Erreichen des Startpunkts der Demonstration entdecke ich meine kleine Tochter am Wegesrand, sehe, wie sie nach mir Ausschau hält. Ich trete aus der Menge, und sie läuft in meine Arme, ihre kleinen Hände umfassen meinen Nacken, und sie drückt ihr warmes Gesicht tief in meinen Hals. Dabei kommen mir fast die Tränen. Und ich weiß, warum ich hier bin. Dafür, dass sie den Wald so erleben kann wie ich, als Ort der Ruhe, zum Kräfte aufladen. Dafür, dass sie sich niemals darum sorgen muss genügend zu trinken oder zu essen zu haben. Dafür, dass sie niemals Krieg und Aufstände erleben muss. Und dafür, dass dies auch für ihre Kinder gelten wird und die kommenden Generationen.
Der globale Klimastreik ist mein erster Streik, aber es wird nicht mein letzter sein. 10.000 statt der 3.000 erwarteten Menschen haben sich in Bewegung gesetzt, um etwas zu verändern, so wie ich im Alltag von mir und meiner Tochter etwas verändere. Deutschlandweit sind es an diesem Tag 1,4 Millionen Menschen. Insgesamt sind in dieser Woche Proteste in rund 2.900 Städten in mehr als 160 Staaten angekündigt.
Für die Zukunft der Menschen, eigentlich aller Lebewesen auf dieser Welt gemeinsam auf die Straße zu gehen, ist ein guter Anfang. Wir sind die kleinen Steine, die alles ins Rollen bringen, auch wenn die Hürden manchmal unüberwindbar scheinen. Für mich ist dieser Weg kein Weg des Verzichts, sondern eine Chance für uns und die Generationen danach, ein lebenswerteres Leben zu führen.