Pferde begleiten Ira Draheim schon ihr ganzes Leben. Die Berlinerin bietet pferdegestütztes Coaching an. Die Begegnung mit den Tieren soll den Teilnehmern dabei helfen, sich selbst besser kennenzulernen und daraus individuelle Lösungen für ihr Berufs- oder Privatleben zu entwickeln.
Laxana macht keine Anstalten, loszulaufen. Mein leichtes Ziehen am Führstrick ignoriert die Stute geflissentlich und knabbert stattdessen lieber noch ein bisschen am grünen Gras. Eigentlich war meine Aufgabe, Laxana einmal um die Koppel zu führen, doch weil ich es mir nicht gleich mit ihr verscherzen möchte, lasse ich sie zunächst gewähren. Erst als ich sie kurz darauf noch einmal mit Nachdruck auffordere, jetzt doch bitte mitzukommen, und dabei etwas energischer am Strick ziehe, setzt sich das Pferd in Bewegung. Die Runde um die Weide verläuft dann ohne Probleme. Ira Draheim ist zufrieden und fragt mich, ob mir diese Situation womöglich bekannt vorkommt. Ich muss sofort an meine Söhne denken. Auch bei ihnen bringt es nichts, immer bloß seinen Willen durchzusetzen. Häufig geben meine Frau und ich deshalb nach, wenn es die Situation erlaubt. In den entscheidenden Momenten aber lassen wir nicht mit uns handeln. Und dann wissen die Jungs auch sofort, dass wir es ernst meinen.
Schon stellt mir Ira Draheim die nächste Aufgabe. Ich soll mit Don Quijote einen Hindernisparcours absolvieren: Es geht im Slalom durch Pylonen und über Stangen hinweg – Aufgaben, die der Hengst eigentlich überhaupt nicht mag. Entsprechend zurückhaltend ist anfangs auch seine Reaktion. Wie angewurzelt steht er auf der Wiese. Schließlich lässt er sich doch überzeugen, indem ich selbst mit großer Begeisterung vorangehe und ihm damit demonstriere, wie viel Spaß die Sache doch macht. Am Ende ist er kaum noch zu bremsen, wieder und wieder geht er mit mir durch den Parcours. Auch hier sind die Parallelen zur Kindererziehung unverkennbar. Leidenschaft steckt an. Egal, ob es sich nun um ein Pferd oder um den eigenen Nachwuchs handelt.
Parallelen zur Kindererziehung
Zusammen mit dem Pferd Aufgaben zu lösen, diese dann zu analysieren und daraus Rückschlüsse für den Alltag zu ziehen: Genau darum geht es beim pferdegestützten Coaching. Es handelt sich um eine noch relativ junge Disziplin, die in Deutschland erst seit den 90er-Jahren als Instrument der Personal- und Persönlichkeitsentwicklung angewandt wird. Wissenschaftliche Untersuchungen zu Wirkung und Effektivität gibt es bislang kaum, doch nichtsdestotrotz erfreut sich die Methode seit einigen Jahren zunehmender Beliebtheit. Ira Draheim bietet in Berlin Einzel- und Gruppencoachings mit Pferden an. Sie ist überzeugt: „Durch die Interaktion mit dem Pferd erleben die Teilnehmer das Coaching viel intensiver, als wenn man bloß über ein Thema spricht. Es ist ein Erlebnis mit allen Sinnen – man sieht, fühlt und riecht –, deshalb bleibt der Eindruck viel stärker haften. Es ist für mich immer wieder erstaunlich, wie gut diese Methode funktioniert." Die Pferde seien ein wunderbar effektives und sehr wertvolles „Werkzeug" im Coaching-Prozess.
Pferde begleiten die 49-Jährige schon ihr ganzes Leben. Auf Wunsch ihrer Eltern machte sie zwar zunächst eine Lehre als Schneiderin, doch eigentlich wollte sie viel lieber Jockey werden. Nach erfolgreichem Abschluss ihrer Ausbildung zur Schneiderin machte sie dann ihr Hobby zum Beruf und wurde Berufsreiterin. Gemeinsam mit Lutz Pyritz, dem mehrfachen Champion-Jockey aus Hoppegarten, trainierte Ira Draheim Rennpferde – und deren Besitzer oft gleich mit. „Ich kann sehr gut zuhören, deshalb fühlen sich viele Menschen bei mir wohl und öffnen mir ihr Herz", sagt sie. Heute kann Draheim aus 35 Jahren Erfahrung mit Pferden schöpfen. Vor ein paar Jahren ließ sie sich schließlich zum pferdegestützten Coach ausbilden und machte sich in dieser Branche selbstständig. „So kann ich heute tun, was ich am meisten liebe: Menschen dabei motivieren, ihrem Leben neue Impulse zu geben und aktiv zu werden. Und meine tierischen Assistenten, die Pferde, unterstützen mich dabei."
Wenn sie anderen von ihrem Beruf erzählt, dann muss sie oft erst einmal erklären, was pferdegestütztes Coaching alles nicht ist. Es handelt sich dabei nämlich nicht einfach um ein Teamevent mit Pferd, auch wenn einige Firmen, die sich bei ihr melden, das manchmal verwechseln. Vielmehr sollen die Teilnehmer bei der Entwicklung eigener individueller und nachhaltiger Lösungen für ihr Berufs- oder Privatleben begleitet werden. „Es geht darum, die Leere im Kopf zu überwinden, festgefahrene Denkmuster zu lösen, Worte für Gefühle zu finden – kurz: Stress aufzulösen, denn all das bedeutet Stress. Ein langfristiger Entwicklungsprozess wird angestoßen, der in beruflicher und/oder privater Hinsicht ein erster wichtiger Schritt zu Gesundheit und Motivation ist", sagt Ira Draheim.
„Viele Menschen fühlen sich bei mir wohl"
Im Unterschied zur Hippotherapie oder zum therapeutischen Reiten wird das Pferd dabei nicht geritten. Überhaupt geht es nicht in erster Linie darum, Behinderungen, Krankheiten und seelische Verletzungen zu heilen. Gleichwohl erzählt Draheim nicht ohne Stolz, wie einmal ein kleiner Junge mit seinen Eltern zu ihr kam, der schon seit längerer Zeit nicht mehr gesprochen hatte. Irgendetwas bedrückte ihn, doch anstatt seine Sorgen kundzutun, schwieg er einfach. Die Berlinerin erinnert sich: „Er hat das Pony gebürstet, schaute es an, und auf einmal sagte er völlig unverhofft: ,Guck mal, diese schönen braunen Augen‘." Seine Eltern hätten in diesem Moment vor Freude angefangen zu weinen.
„In meinen Coachings erlebe ich immer, dass der Umgang mit Pferden gerade solchen Menschen besonders hilft, die sonst sehr verschlossen sind", sagt Draheim. Pferde seien hochsensible Lebewesen, die sich untereinander mit feinsten Signalen verständigen, manchmal einfach bloß mit einem leichten Wackeln des Ohres. „Sie reagieren auf Signale, die wir als Menschen oft gar nicht mehr wahrnehmen." Viele Menschen würden sich fragen, warum sie missverstanden werden. „Die Antwort lautet: Weil die Signale nicht eindeutig sind. In unserer heutigen Gesellschaft ist es üblich, dass man sich anpasst, deshalb passt das Gesagte oft nicht zu dem, was wirklich gemeint ist. Die Pferde zwingen einen dazu, sich klar zu äußern. Sie reagieren nur auf das, was auch wirklich authentisch ist."
Das gehe schon damit los, wie man sich den Tieren nähert. Die Körpersprache spiele dabei eine wichtige Rolle. Wie oft ertappe man sich dabei, dass man mit den Händen in den Hosentaschen losläuft, den Blick stur auf den Boden gerichtet, die Schultern hängend. „Anfangs sind alle Pferde erst einmal neugierig, aber wenn man zu zurückhaltend auftritt, wird es ihnen irgendwann langweilig und sie gehen weg", sagt Draheim. „Das sind Dinge, die man so vielleicht auch schon im Alltag oder in einer Partnerschaft erlebt hat. Es geht deshalb darum, die eigene innere Einstellung zu ändern. Wenn man später im Leben in eine ähnliche Situation gerät, erinnert man sich hoffentlich daran und tritt dann auch dort entsprechend selbstbewusster auf."
„Die eigene innere Einstellung ändern"
Ihre Kunden stammen aus allen gesellschaftlichen Schichten – von der Hausfrau bis zur Führungskraft. Bei ihnen ist das Problem eher ein anderes: dass sie zu forsch auftreten und nicht in der Lage sind, die Kontrolle auch einmal abzugeben. Zum Abschluss wagt Ira Draheim deshalb mit mir ein Experiment. Sie drückt mir den Führstrick in die Hand – nun bin ich das Pferd und sie die Führerin. Zuerst führt sie mich an der kurzen Leine, sie zerrt mich regelrecht dorthin, wo sie mich gern hätte. In der zweiten Runde lässt sie den Strick lockerer. Es fühlt sich für mich schon deutlich angenehmer an, weniger wie ein Getriebener, wenngleich es immer noch sie ist, die die Zügel in der Hand hat. Noch einmal muss ich an meine Kinder denken. Natürlich will ich ihnen ein Vorbild sein, ihnen den Weg weisen. Trotzdem sollen sie ihre eigenen Fußstapfen hinterlassen dürfen.