Es klingt paradox: Österreichs Expertenregierung, obwohl nicht gewählt, kam an im Land. Die beliebteste Regierungstruppe seit Langem fiel vor allem durch Sachlichkeit und Ruhe auf. Damit ist nach den Nationalratswahlen wohl Schluss.
An einem schönen Spät-Sommertag sitzen wir im Garten einer Café-Konditorei an der Josefstädter Straße in Wien. Die Sonne scheint. „Ich werde jetzt mit dem Glücksspiel beginnen", sagt ein Freund verschmitzt. „Dann lade ich die jetzige Expertenregierung ein und sponsere mit 50 Millionen Euro eine Plattform, auf der sie bei den Wahlen antritt. Wir haben dann nur einen einzigen Wahlslogan: Weitermachen wie bisher."
Was wie ein provokanter Scherz daherkommt, hat einen beachtenswerten Kern. Es trifft das aktuelle Stimmungsbild. Und zwar eines, das man schon nicht mehr zu kennen glaubte: Zufriedenheit mit der eigenen Regierung. Womit sich ein Paradoxon auftut: Die beliebteste Regierung der Österreicher seit Langem ist eine, die nicht gewählt wurde.
Rückblick: Am 3. Juni dieses Jahres trat die sogenannte Expertenregierung unter der Kanzlerschaft von Brigitte Bierlein ihr Amt an. Zuvor war Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) vom Parlament das Misstrauen ausgesprochen worden. Die Koalition aus ÖVP und FPÖ war über das „Ibiza-Video" gestolpert, jenes heimlich aufgenommene Video, das den FPÖ-Chef und späteren Vizekanzler Heinz-Christian Strache im Gespräch mit einer vermeintlichen russischen Oligarchin zeigt. Um Zuschanzen von Aufträgen ging es da, um den Hinauswurf unliebsamer Journalisten, illegale Parteispenden – oder einfach: eine Anhäufung unappetitlicher Aussagen, die tief in die politische Seele Straches blicken ließen.
Sein Rücktritt folgte auf dem Fuße. Kanzler Kurz nahm die Affäre zum Anlass, um den inzwischen demokratiepolitisch immer fragwürdiger gewordenen Innenminister Herbert Kickl von den Freiheitlichen loszuwerden. Doch das ging nicht so einfach, wie es sich der junge Kanzler vorgestellt hatte. Die FPÖ ließ sich ihren Minister nicht einfach abschießen, es kam zum Bruch der Koalition.
Neuer Politikstil mit viel Expertise
Plötzlich gab es ein Vakuum an der politischen Spitze. Die Lösung war jene Expertenregierung, die bis zu den für den Herbst angesetzten Neuwahlen kommissarisch wirken sollte. Und, wichtig: deren Mitglieder eben nicht an Parteilinien gebunden sind, die zum dauernden Streit unter den Fraktionen führen. Diese Regierung hingegen trat mit dem Vorsatz an, keine große Politik machen zu wollen und begann geräuschlos mit der Arbeit. Nur der neue Verteidigungsminister Thomas Starlinger, bisher als Adjutant militärischer Berater des Bundespräsidenten, ging mit einem Hilferuf an die Öffentlichkeit: Das Heer sei pleite, sagte er, eine traditionelle Leistungsschau der Armee am Nationalfeiertag werde deshalb dieses Jahr entfallen.
Erst nach einem Gespräch mit dem Finanzminister wurde eine Lösung gefunden, die Schau musste nicht abgesagt werden. Die Folge: Inzwischen sind auch ÖVP und FPÖ für eine deutliche Besserdotierung des Heeres. Bundeskanzlerin Bierlein dürfte das Vorpreschen ihres Verteidigungsministers allerdings nicht gefreut haben. „Mir gefällt, wie sie ihre Minister in Zaum hält", sagte kürzlich ein hoher Militär. Sie habe den Verteidigungsminister zurückgepfiffen, weil sie es nicht mag, dass Regierungsmitglieder allzu medienpräsent sind.
Andererseits, so der hohe Offizier, finde er es gut, dass ihn sein Minister bereits fünfmal zum Berichten zu sich bestellt habe. Bei früheren Ministern habe er das lediglich zweimal erlebt. Starlinger wolle sich direkt aus dem Ressort informieren lassen, nicht durch die zusätzliche Ebene von Staatssekretären wie die vorherige Regierung. Auch diese Ebene der Staatsekretäre fehlte bei den Experten – Koalitionsregierungen setzen sie sonst gern ein, damit sich Minister und Staatssekretär der jeweils anderen Parteifarbe gegenseitig kontrollieren können.
Die ÖVP leistete sich zudem einen umfangreichen Beraterstab und Generalsekretäre in den von ihr geführten Ministerien, eine zusätzliche Ebene die von der Kurz-Regierung eingezogen worden war. Mit zeitfressenden Folgen: Die überaktiven Funktionäre aus der Generation des Bundeskanzlers hätten wöchentlich irgendein Thema aus dem Hut gezaubert, ächzten Regierungsmitarbeiter, ob es relevant war oder nicht. Mediale Präsenz galt viel. Dem folgten nach Ende der Kurz-Regierung Erleichterungsseufzer: „Nun ist endlich diese Hektik vorbei."
„Wohltuend", atmen selbst Vertreter der Medienbranche auf, „jetzt ist Ruhe im Stall." Und auf der Straße schnappt man durchaus mal das Wort „Anstand" auf im Hinblick auf die Expertenregierung. Andererseits schien es fast so, als würde diese Übergangsregierung Spaß am Amt finden, je länger sie im Amt ist. Zwar hatte sie anfangs gelobt, politische Entscheidungen den Nachfolgern zu überlassen, doch findet sich auf den letzten Metern doch Gestaltungswille.
Ein Beispiel: Während der ÖVP-FPÖ-Regierung geriet das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung in arge Turbulenzen. Der neue Innenminister Wolfgang Peschorn kam aus der Finanzprokuratur, die die Regierung juristisch berät. Er kündigte an, sich selbst an die Spitze einer Reformgruppe für diese Institution zu setzen – und brachte sich so auch gleich als künftige Personalie ins Spiel. Sollten sich nämlich ÖVP und FPÖ zu einer neuerlichen Koalition zusammenfinden, wäre die Besetzung des Innenressorts ein programmierter Streitpunkt – schließlich war die Regierung am Streit um den Innenminister gescheitert. Die Weiterbeschäftigung des parteilosen Wolfgang Peschorn wäre vielleicht für beide Parteien ein akzeptabler Kompromiss.
ÖVP und FPÖ wollen zurück an die Macht
Außerdem spüren natürlich auch die beiden Parteien, auf welch große Sympathie das Expertenkabinett in der Bevölkerung stößt. Denkbar scheint, dass deshalb einige parteiungebundene Fachleute in die nächste Regierung geholt werden. Ähnliches geschah schon in den 70er-Jahren, als der damalige Bundeskanzler Bruno Kreisky die österreichische Sozialdemokratie weit in die Gesellschaft hinein öffnete und seine von der SPÖ geführte Regierung mit mehreren parteilosen Fachleuten ergänzte.
Für die Österreicher hatte die heimische Politik in den letzten Monaten eine erfrischende neue Note erhalten: Eine Regierung, die sich nicht eitel in den Medien drängt; ein Parlament, das anstehende Probleme mit Sachargumenten ausdiskutiert und mit wechselnden Mehrheiten über sie beschließt – statt Regierungsvorlagen abzunicken oder Themen parteipolitisch vorhersehbar durchzuboxen oder zu verhindern.
Doch es ist ein Wandel auf Zeit. Österreich dürfte schon bald wieder eine Neuauflage der ÖVP-FPÖ-Koalition haben, die für die Nationalratswahlen am 29. September derzeit die wahrscheinlichste Konstellation ist. Der Nimbus des smarten Jungpolitikers Kurz, der es allen zeigt, hat in Österreich schon bei Jörg Haider gezogen. Und auch den Freiheitlichen hat – siehe Europawahl-Ergebnis von satten 17 Prozent – selbst die Veröffentlichung des für sie desaströsen Ibiza-Videos nicht wirklich geschadet.
Somit wird die geräuschlose Expertenregierung, die Österreich ein paar Monate ohne parteipolitisches Gezänke und Getöse verschafft hat, zu einer Episode der Geschichte werden. Und das „Weiter wie bisher" werden wieder die Parteien übernehmen. In gewohnter Weise.