Ein erneuter Weltrekord liegt beim Berlin-Marathon in diesem Jahr in weiter Ferne. Dafür dürfen sich die Zuschauer am 29. September auf spannende Rennen freuen. Dieses Mal könnten die Frauen um Titelverteidigerin Gladys Cherono ihren männlichen Kollegen die Show stehlen.
Beim Berlin-Marathon sowie beim Berliner Halbmarathon ging es in den vergangenen Jahren vor allem um eines: die Jagd nach immer neuen Rekorden. Die Strecke in der Hauptstadt gilt als die schnellste der Welt. Gleich siebenmal in den vergangenen 15 Jahren wurde im Rennen der Männer über 42,195 Kilometer ein neuer Weltrekord aufgestellt: 2003 war es Paul Tergat (Kenia/2:04:55), der den Weltrekordreigen eröffnete, 2007 und 2008 jeweils Haile Gebrselassie (Äthiopien/2:04:26 beziehungsweise 2:03:59), 2011 der Kenianer Patrick Makau (2:03:38). Anschließend gelang auch seinen Landsleuten Wilson Kipsang (2013/2:03:23) und Dennis Kimetto (2014/2:02:57) in Berlin eine weitere Verbesserung des Rekords.
Zuletzt war es im vergangenen Jahr Eliud Kipchoge gewesen, ebenfalls aus Kenia, der mit 2:01:39 Stunden so schnell lief wie noch niemand vor ihm in einem offiziellen Wettkampf. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Fixierung auf den Weltrekord fast schon groteske Züge angenommen. Deutlich wurde das im Frühjahr, als sich Renndirektor Mark Milde beim Halbmarathon fast schon dafür entschuldigen musste, dass bei den Frauen die Niederländerin Sifan Hassan „nur" Streckenrekord sowie die zweitbeste Zeit einer Europäerin gelaufen war, aber nicht wie erhofft eine neue Weltbestmarke. Der Erfolg verpflichtet eben. Wann immer in Berlin inzwischen ein großes Straßenrennen ansteht, erwartet das Publikum die schnellstmöglichen Zeiten.
Kipchoge will ein Vermächtnis hinterlassen
Beim diesjährigen Berlin-Marathon am 29. September scheint eine neue Rekordjagd allerdings von vornherein ausgeschlossen. Das liegt vor allem daran, dass mit Eliud Kipchoge der weltbeste Marathonläufer dieses Mal auf eine Teilnahme verzichtet. Der 34-Jährige wird stattdessen im Oktober in Wien einen erneuten Versuch unternehmen, als erster Mensch einen Marathon in unter zwei Stunden zu absolvieren. 2017 hatte er dieses Ziel auf dem Formel-1-Kurs in Monza (Italien) noch knapp verpasst – damals fehlten Kipchoge 25 Sekunden ins Ziel. Dieses Mal wird die „Ineos 1:59 Challenge" noch professioneller aufgezogen, sogar die Hauptallee im Wiener Prater wurde eigens für das Event frisch asphaltiert. Der Läufer selbst ist zuversichtlich, dass es klappen wird: „Ich glaube nicht an Grenzen. Ich weiß, dass es passieren wird", sagte er im August bei einer Telefonkonferenz für Journalisten. Es gehe ihm darum, ein Vermächtnis zu hinterlassen: Ein Marathon unter zwei Stunden wäre „wie die Mondlandung", so der Kenianer. Als offizieller Weltrekord würde die Zeit allerdings nicht anerkannt, weil es sich bei der „Ineos 1:59 Challenge" nach den Maßstäben des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF nicht um ein reguläres Rennen handelt. Unter anderem werden die Tempomacher regelmäßig ausgetauscht, zudem bekommt Kipchoge seine Getränkeflaschen gereicht, was ebenfalls nicht den Regeln entspricht.
Man kann dem Fehlen von Eliud Kipchoge in Berlin allerdings auch etwas Positives abgewinnen. Denn während dieser im vergangenen Jahr allein vorneweg lief und im Ziel fast fünf Minuten Vorsprung auf den Zweitplatzierten hatte, dürfte sich dieses Mal ein deutlich engeres Rennen entwickeln, das die Zuschauer am Ende womöglich mehr begeistert als Kipchoges Sololauf. Für Spannung an der Spitze ist jedenfalls gesorgt. „Wir erwarten wieder ein hochklassiges Männerrennen. Es wird sicherlich keine Weltrekordjagd geben, aber trotzdem ist mit sehr schnellen Zeiten zu rechnen. Zudem könnte es bis in die Schlussphase hinein einen sehr spannenden Kampf um den Sieg geben", sagt Renndirektor Mark Milde.
Dabei ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der Sieger in diesem Jahr aus Äthiopien kommt. Gleich fünf äthiopische Weltklasseläufer gehen 2019 in Berlin an den Start – sie alle können Bestzeiten um 2:04 Stunden vorweisen. Der prominenteste Name ist sicher der von Kenenisa Bekele. Der „König der Läufer", wie er von seinen Fans ehrfürchtig genannt wird, war auf der Bahn und im Gelände insgesamt 16-mal Weltmeister, noch immer hält er die Weltrekorde über 5.000 sowie 10.000 Meter. Nach seinem Wechsel zum Marathon hat er 2016 schon einmal in Berlin gewonnen und trägt auch diesmal die Favoritenrolle.
Doch die Konkurrenz ist stark: Guye Adola war vor zwei Jahren bereits Zweiter in Berlin, Sisay Lemma erreichte dort 2016 Platz vier. Berhanu Legese wiederum siegte im März beim World Marathon Majors-Rennen in Tokio (Japan). Und auch Leul Gebrselassie hat mit einem Sieg mit Streckenrekord beim letztjährigen Valencia-Marathon (2:04:31) sowie einem achten Rang beim hochklassigen London-Marathon 2019 schon einige Erfolge zu Buche stehen. Aus deutscher Sicht sind unter anderem der Regensburger Philipp Pflieger sowie Philipp Baar vom heimischen SCC Events Pro Team am Start. Ihr Ziel ist in erster Linie die vorzeitige Olympia-Qualifikation für die Spiele 2020 in Tokio.
„Die Frauen haben in Berlin noch etwas Nachholbedarf"
Mit dem Sieg werden sie ebenso wenig zu tun haben wie bei den Frauen Lokalmatadorin Anna Hahner und die gebürtige Äthiopierin Melat Yisak Kejeta aus Kassel. Mit Titelverteidigerin und Streckenrekordlerin Gladys Cherono aus Kenia, ihrer Landsfrau Vivian Cheruyiot – Olympiasiegerin von 2016 über 5.000 Meter und Marathon-Siegerin in London 2018 – sowie der Olympia-Dritten Mare Dibaba aus Äthiopien führen drei absolute Weltklasseläuferinnen das Starterfeld an. Cherono siegte im vergangenen Jahr nach 2015 und 2017 bereits zum dritten Mal in Berlin und unterbot dabei den bisherigen Streckenrekord der Japanerin Mizuki Noguchi aus dem Jahr 2005 (2:19:12) mit einer Zeit von 2:18:11 Stunden deutlich.
Zudem schloss sie zu Renata Kokowska (Polen), Uta Pippig und Aberu Kebede (Äthiopien) auf, die alle ebenfalls schon dreimal in Berlin triumphierten. „Mein Ziel ist es jetzt, ein viertes Mal in Berlin zu gewinnen", sagte Cherono, um damit zur alleinigen Rekordsiegerin aufzusteigen. Renndirektor Mark Milde meint: „Verglichen zu den Männern haben die Frauen in Berlin immer noch etwas Nachholbedarf. Angesichts der drei außerordentlich starken Verpflichtungen könnten diesmal aber durchaus die Frauen im Mittelpunkt stehen." Und das selbst ohne Weltrekord.