Die Nase am Schaufenster platt drücken oder lieber zu Hause gemütlich am Rechner einen Shop durchklicken? Oder doch direkt beim Produzenten kaufen? Die Einkaufsgewohnheiten der Deutschen ändern sich.
Die Margen sinken. Die Zulassungszahlen ebenfalls. Deutschland, das Autoland, scheint keine große Lust mehr auf das eigene Auto zu haben. Andererseits zeigen Umfragen, dass die Lust auf ein eigenes Auto nach wie vor ungebrochen ist. Allerdings: Zwischen dem Wunsch und dem tatsächlichen Kauf klafft eine Lücke. Zeit für Autohändler, umzudenken. Das Beratungsunternehmen Accenture fand bei einer Studie heraus, dass vor allem die Preissensibilität der Deutschen die Autohäuser unter Druck setzt.
„Der moderne Autokäufer ist sehr autark und bezieht seine kaufrelevanten Informationen aus vielen verschiedenen Quellen und adaptiert das Kaufverhalten, das es in der Vergangenheit bei Elektronik- und Konsumgütern gab und das aus dem E-Commerce entwachsen ist, auf den Prozess des Autokaufs", erklärt Johannes Trenka, Managing Director von Accenture Strategy.
Das Einkaufsverhalten in Deutschland ändert sich insgesamt zusehends. Das bestätigen auch Marktstudien. Etwas mehr als die Hälfte bezeichnet sich selbst als „selektive Onlineshopper", fand der deutsche Handelsverband heraus. Hierbei werden insbesondere Kleidung, Reisen, Stromverträge, Musik, Filme, Unterhaltungselektronik und Literatur mehrheitlich online gekauft. Bei Lebensmitteln, Drogerieprodukten, Möbeln und Autos greift der Deutsche laut Statista noch immer lieber zum niedergelassenen Händler. Etwa 20 Prozent kauften ausschließlich online, 24 Prozent ausschließlich beim niedergelassenen Fachhandel. Insbesondere jüngere Paare und Familienversorger beziehen Waren aus dem Internet. Die Gründe dafür, vor Ort zu kaufen, sind insbesondere die Möglichkeit, die Ware sofort mitnehmen zu können (62,8 Prozent) und die Sicherheit bei Umtausch und Garantie (31 Prozent). 22,2 Prozent schätzen zudem den persönlichen Service, so die Agentur ABZ-Marketing.
Zusätzlicher Wettbewerb
Doch auch der vertikale Handel bleibt nach wie vor eine Sorge der Autohäuser: VW zum Beispiel bietet die Möglichkeit an, Fahrzeuge online direkt vom Hersteller zu beziehen, inklusive Versicherung und Finanzierung, und lässt damit das klassische Autohaus außen vor. „Diese Handelsform, die auch zahlreiche Modemarken heute etablieren, bedeutet zusätzlichen Wettbewerb für den Einzelhandel", erklärt Kai Falk, Geschäftsführer des Handelsverbandes Deutschland. Der Verband stellt fest, dass nach wie vor zwei Drittel der deutschen Handelsunternehmen nicht im Netz unterwegs sind. „Natürlich braucht nicht jeder einen Onlineshop. Er sollte aber online auffindbar sein und sich mit den Möglichkeiten, die sich für ihn über Plattformen oder Ähnliches bieten, informieren", so Falk.
Ob Partyverkauf oder Onlinehandel: Das Marktforschungsunternehmen Nielsen konstatiert, dass Deutschland nicht nur günstig, sondern auch schnell einkaufen will – am besten alles aus einer Hand. Davon profitieren vor allem Supermärkte mit einer Größe von über 1.000 Quadratmetern. Insgesamt, so Nielsen, gingen die Bundesbürger immer weniger einkaufen, geben dabei aber immer mehr Geld aus. Der Grund: Die Arbeitslosenquote sei niedrig, fürs lange, gemütliche Einkaufen bleibe immer weniger Zeit.
Auf mehr Zeit beim Einkaufen setzt dagegen die Direktvertriebsbranche – und scheint damit in den vergangenen Jahren ebenfalls großen Erfolg zu haben: Marken wie Bofrost, Mary Kay, Tupperware oder Prowin fahren Gewinne ein. Der Umsatz der Branche, der zum Beispiel bei Haus- oder Partyverkäufen generiert wird, hat zwischen 2011 und 2017 erheblich zugenommen. Etwa 10,3 Milliarden Euro mehr beträgt der Zuwachs nach aktuellsten Zahlen von Statista im Jahr 2017.
Der Direktvertrieb umgeht den klassischen stationären Handel, aber auch den Internethandel und setzt vor allem auf „die persönliche Ansprache und ein Vertrauensverhältnis zwischen Vertrieb und Kunde", auf Heimvorführungen und ein Netzwerk aus selbstständigen Vertrieblern, heißt es beispielsweise aus der Presseabteilung des Direktvertrieblers Prowin. Verkauft werden Reinigungsmittel, Tiernahrung oder Kosmetika. „Aus Kundensicht entspricht diese Form des Verkaufs dem Bedürfnis vieler Menschen nach Beratung und der Empfehlung von Mensch zu Mensch", sagt Sascha Winter, Chef von Prowin. Das Geschäftsmodell sieht vor, dass Privatpersonen, insbesondere Frauen, selbstständige Vertriebspartner werden und die Produkte direkt vertreiben – das spart Personalkosten. Andererseits sieht Winter sein Modell vor allem als Vorreiter für die Frauenerwerbsquote. Emotionen stehen hier im Vordergrund: Incentives und der Wettbewerb der Vertriebler untereinander, bei dem Preise winken, kurbeln das Geschäft an. In die Mitarbeiter investiert Prowin über eine Akademie mit einem Gesamtbudget von neun Millionen Euro, 4,5 Millionen davon fließen jährlich in die Aus- und Weiterbildung. Doch auch dieser Vertrieb kann sich den Folgen der Digitalisierung nicht verschließen. So können unter anderem bestimmte Produkte mittlerweile auch online nachgeordert werden. Der Branchenboom zeigt auch bei dem Unternehmen aus dem Saarland seine Wirkung: 100.000 Vertriebsmitarbeiter arbeiten mittlerweile für Prowin und erwirtschafteten 2018 einen Gesamtumsatz von 195 Millionen Euro. Auch Tupperware beschreitet mittlerweile neue Wege: die klassische Tupperparty ist nicht out, wird aber mittlerweile durch einen Online-Vertrieb ergänzt.
Wunsch nach Beratung
Durch die zahlreichen neuen Vertriebsmodelle steigt die Komplexität des Handels – das klassische Modell „produzieren, ins Regal stellen und verkaufen" ist längst Geschichte. Der Kunde möchte alles, sofort, bequem und vor allem günstig und schnell – falls nicht, wechselt er den Anbieter. Der Handel dagegen verbreitert, insbesondere durch Online-Kanäle, sein Angebot und ändert Vertriebswege. „Diese Transparenz, die durch Online-Handel hergestellt wird, macht vielen Händlern das Leben nicht gerade einfacher", so Kai Falk vom Handelsverband. „Aber es eröffnet ebenso viele Möglichkeiten." Kunden würden Formate suchen, die möglichst alles bieten, insbesondere, wenn es um Dinge des täglichen Bedarfs geht. Dennoch gehe der Trend nicht hin zu Supermärkten vom Format US-amerikanischer Malls. „Auch kleinere Sortimenter finden ihre Nische, vor allem in Innenstädten", erklärt Falk, denn die Zahl der kleineren Haushalte und Singlehaushalte steige.
Kurze Wege in den Laden um die Ecke gehören also trotz digitaler Zusatzangebote nicht der Vergangenheit an – Amazon aber will auch die überflüssig machen. Zwar hat der Logistiker DHL die Zusammenarbeit mit Amazon Fresh, um Lebensmittel bis ins Haus zu liefern, beendet; der tatsächliche Gewinn sei weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben, sagte eine DHL-Sprecherin gegenüber dem „Supermarktblog". Dennoch setzt der Internetgigant seine Strategie weiter fort, den Supermarkt bis zum Kunden zu bringen – fahrend oder sogar fliegend. Dafür ist ihm nichts zu teuer: Die eigene Lieferflotte vergrößert sich ständig, kürzlich hat Amazon Rivian-Elektrotransporter bestellt. Auch hier klotzt die Plattform richtig: Bis 2021 werden 100.000 Transporter geliefert. Der Kampf um den Kunden geht in die nächste Runde.