René Klages bezieht sich eindeutig auf die französische und japanische Hochküche. Der neue Küchenchef im „Le Faubourg" zeigt in der Konzentration auf drei Grundaromen und in der Kombination beider Stile, wie pure Harmonie auf dem Teller zustande kommt.
Ich bin der Überzeugung, dass es nur ein oder zwei Formen gibt, die ein Produkt am besten zur Geltung bringen", sagt René Klages. Diesen Prozess der Reduktion in Gang zu setzen und zu optimieren, ist das Anliegen des neuen Küchenchefs im „Le Faubourg". „Es liegt ein Sinn darin, dass Basilikum, Tomate und Olivenöl perfekt zueinander passen. Der kreative Teil meiner Arbeit heißt für mich, immer wieder zu hinterfragen, ob die Produkte so zueinander passen, dass ein optimales Gericht herauskommt. Diese Reduktion ist ein systematischer und anstrengender Prozess."
Zweifellos, der Mann meint es ernst mit der Reduktion aufs Wesentliche. Sie drückt sich bei ihm durch maximal drei Grundaromen aus. Die Produkte werden nach den Regeln der französischen Kochkunst zubereitet, kommen aber mit deutlichen japanischen Anklängen auf die Teller. „Die französische und die japanische Hochküche sind für mich die ausgereiftesten. Wenn man das miteinander kombiniert, kommt der größte Wohlgeschmack dabei heraus."
Klare Ansage, klare Küche. Die pure, produktfokussierte Küche ist das Ding des 31-Jährigen, nicht die verspielte „18. Variante eines Rote-Bete-Gels, das ich im Übrigen nicht für die ideale Form einer Roten Bete halte." Hört sich streng an, ist aber im Ergebnis einfach: total lecker. Und darum geht’s schließlich. Dass die Gäste bei den hochverdichteten Jus „Ah!" und „Oh!" rufen oder die Senfsaat-Körnlein vom Heilbuttfilet über die Zunge laufen lassen und am Gaumen zerdrücken. „Ich koche immer, was ich gerne esse, was ich persönlich mag. Ich koche nicht so, weil ich mir überlegt habe, was eine Marktlücke sein könnte", sagt Klages.
Am Ende eines langen Abends in der Küche kommt er zu uns, nachdem er zuvor schon mit Kollegen eines befreundeten Restaurants und weiteren Journalistinnen an deren Tischen gesprochen hatte. Die Fachwelt ist jedenfalls interessiert, und auch die anderen Gäste im „Le Faubourg" sind neugierig auf René Klages Fusionsküche. Darf man das überhaupt so salopp sagen? Seine Gerichte scheinen mit so viel geradezu durchdachtem Konservatismus eher derart, dass der ihnen innewohnenden Natur mit Logik und Versuch zum zwangsläufigen äußeren Ausdruck verholfen wurde. Wer es nicht ins „17fuffzich" in den Spreewald schaffte, in dem Klages bereits 2017 als „Meisterkoch der Region" geehrt wurde und für das er einen Michelin-Stern erkochte, der hat seit Juni nahe dem Ku’damm die Gelegenheit, Gerichte wie leicht geräucherten Lachs mit Olivenöl, Wachtel mit Foie gras oder Schmorbraten à la daube zu probieren.
Reduktion auf das Wesentliche als roter Faden
Die Gerichte variieren in sich nicht sehr – für die Karte gilt: „Ein Menü ist eine Jahreszeit." Die Reduktion auf das wenn schon nicht Perfekte, so doch auf das Wesentliche, lässt grüßen. Es überrascht nicht, dass wir mit dem Kalbs-tatar mit Sojasauce unter einem Deckel aus Buchenpilzen, Edamame und Reispops bereits „einen der Klassiker von René Klages" serviert bekommen, wie Nicolas Hopchet kundtut. Der Sommelier benötigte bei diesem Gericht mit viel Umami-Schmackes und dennoch feinen Noten von Fleisch, Pilzen und Bohnen „bestimmt vier bis fünf Versuche", um den 2015er „Vom Stein" Riesling Federspiel vom Weingut Nikolaihof als passenden Begleiter auszumachen. Der Bio-Riesling aus der Wachau schiebt einen kräftigen Schmelz unter das Tatar und erweist sich als perfekte Wahl.
Den Auftakt zu unserem siebengängigen, individuell vom Chef bestimmten „Hopping-Menü" immer schön von der à-la-Carte- auf die Menü-Seite der Karte hin und her, hatte ein sehr japanischer Teller mit einem Zuchtlachs vom schottischen Loch Duart, einem kleinen Salat von Ingwer, Radieschen und Zuckerschoten sowie ein elegant hellgrüner, großer Fleck von toskanischem Olivenöl gemacht. Mag sein, dass Olivenöl in der italienischen Klassiker-Kombi die optimale Darreichungsform gefunden hat, aber so milde und mit leicht geräuchertem Lachs, der Süße junger Erbsen sowie zarter Radieschen- und Ingwerpikanterie ist das mindestens die zweitbeste.
Bereits beim Start fällt uns angenehm auf, was sich durch das ganze Menü hindurchziehen wird: René Klages komponiert leichte Teller. Wer ein Vier- oder ein Fünf-Gänge-Menü für 69 oder 85 Euro gegebenenfalls plus Weinbegleitung für 30 oder 40 Euro wählt, wird keineswegs im Boden versinken, aber gewiss auch nicht hungrig nach Hause gehen.
Die Saucen sind mein persönliches Schmankerl. Nur das gute Benehmen hält mich vom Abwischen des Tellers mit Finger oder gar Zunge ab. Karkassen von Fischen, Wachteln sowie geröstetes und geschmortes Gemüse sind die Grundlagen. Sie werden extra zubereitet und erst später vereinigt, immer als „Tagesjus" zu Ende gekocht und mit Butter abgebunden. „Das wollen Sie nicht hören, wie aufwendig das im Einzelnen ist", sagt Klages. Nachdem er die einzelnen Prozess-Schritte aufgezählt hat, bin ich mir sicher: Ich kann das nicht detailliert wiedergeben, ohne zu langweilen oder erst selbst eine Köchinnen-Ausbildung zu machen.
In der leichten, aber umwerfenden Shiitake-Velouté zum gedämpften Heilbutt-Filet mit Spinat und grünem Spargel zeigt sich, weshalb jeder japanische Spitzenkoch René Klages wenn nicht des Frevels, so doch mindestens des Tabubruchs bezichtigen würde. Der Shiitake-Sud wurde mit weißer Sojasauce angesetzt – so weit, so korrekt. Anschließend wurde er aber mit Butter und Sahne abgebunden. Das würde in Japan nicht passieren; Milchprodukte haben dort keine Tradition. „Das ist mir vollkommen egal", sagt Klages. „Ich will ja keine authentische japanische Küche kochen." Er will sich aber sehr wohl der bestmöglichen, dichtesten Aromen, die die japanische Küche bieten kann, bedienen: dem aus natürlichem Glutamat erzeugten Umami von Bonito-Thunfisch, Kombu-Alge und getrockneten Shiitake-Pilzen.
Bestmögliche Aromen zweier Küchen
Bestimmt spielt auch ein entsprechender Fond eine durchschlagende Rolle, als uns ein norwegischer Kaisergranat mit Wasserspinat als zweites Amuse gebracht wird. „Das hat der Chef gerade erst fertiggestellt, das kennen selbst wir noch nicht", spricht der Service. Kein Ding, wir sind gern die Versuchskaninchen! Gut, dass zum Schälchen, so wie später auch, ein Löffel gereicht wird – Auslöffeln dringend empfohlen! Manches Mal tritt die europäische Tradition kürzer. Zur gut gewürzten Wachtel gibt’s Takoyaki, japanischen Eierkuchen. Der kugelig gebackene Teig wurde mit Dashi-Brühe statt Milch zubereitet. Im Innern steckt anstelle eines Oktopusbeins Frankreich pur – ein Stückchen Foie gras wurde mitgebacken. Auf einer Kohlrabischeibe türmt sich eine Miniatur aus Kohl, Pakchoi und Reisperlen. Einen filigranen, lang durchhaltenden Frühburgunder von Katrin Wind aus der Pfalz dazu, und schon ist das Leben auch in Flüssig schön.
War das Geflügel der gallische Auftakt, so ist der Schmorbraten à la daube die Königsklasse: „Das ist deutlich französischer als die anderen Gerichte", spricht die Begleiterin. Oh ja. Der Rinderschmorbraten kommt ganz traditionell „aus dem Rohr und ist nicht sous vide gemacht", verrät René Klages. Lange, lange geschmort, von Kräuterseitlingen bedeckt und mit ein paar Croutons bestreuselt und von Perlzwiebeln umlegt, kann er gar nicht anders als durchdringend köstlich sein. Es ist große Kännchen-Showtime am Tisch. Ein Sherry-Essig-Jus wird angegossen, und aus sehr gutem Grund bleibt der Rest stehen. „Das ist Können pur", seufzt die Begleiterin.
Dass es bei Klages nicht um „Tellermalerei" sondern um schnickschnackfreien Wohlgeschmack auf Porzellan und Steinzeug geht, ist ersichtlich. Das ziemlich dunkle Gericht ist gekonnt, aber nicht unbedingt instagrammable angerichtet. Der Fotograf zieht alle Register seines professionellen Könnens, um Licht und Schatten nuancenreich zu erfassen. René Klages ist selbstsicher, aber keinesfalls selbstverliebt in seinem Tun.
Wir nehmen einen Schluck vom 2013er Beaumont Crozes Hermitage, den David Reynaud biodynamisch erzeugt – der erste Franzose des Abends. „Der ist spontanvergoren und dadurch wilder in der Nase", hatte Nicolas Hopchet angekündigt. Der wilde Gesell, acht Monate in einem Betonfass vergoren und gebändigt, darf sich mit einem Tick Leder und Fülle im Mund austoben. „Es gibt im ‚Le Faubourg’ natürlich französische Weine", spricht der Sommelier, wie es sich für das Restaurant unter dem Dach eines französischen Hotels gehört. Zuvor hatten wir vorrangig Deutsches und Österreichisches im Glas. Nicht zufällig. „Ich habe eine kleine Schwäche für Österreich", verrät der Belgier.
Der Patissier greift Klages’ Linie gekonnt auf
Nach hinten raus, in Richtung Dessert, heißt es immer mehr: „Vive la France!" Ein fein perlierender, fünf Jahre auf der Hefe gelagerter Rosé-Champagner von Charles Heidsieck ist der galante Begleiter zur „Délice von Himbeeren und Champagner". Deliziös ist der Keksring mit dem schaumig-fluffigem Innenleben wahrlich: In Beerensirup marinierte Himbeeren tummeln sich in einem Ruinart-Champagner-Eis sowie unter einem Crème-de-Bresse-Schaum. Die große Patisserie-Nation schlägt Japan da klar.
Das liegt auch am bewährten Patissier Raphael Gasque im „Le Faubourg". Er geht die Klages’sche Linie meisterhaft mit. Grüntee-Eispralinen mit Calamansi-Creme sowie weiße Schokoladenbiskuit-Bänkchen mit Cassismousse und Blütenchips sind die Petit Four gewordenen Rausschmeißerchen. Sie lassen unser Bedauern über das Ende dieses meinungsstarken und durchdachten Genussabends höchst elegant verblassen.