Thees Uhlmann ist Musiker, Autor und Hörbuch-Interpret. In den 90er-Jahren wurde er mit der Hamburger Band Tomte berühmt. Seine erfolgreiche Solo-Karriere geht nun mit dem aktuellen Album „Junkies und Scientologen" weiter.
Herr Uhlmann, sechs Jahre sind seit ihrem letzten, sehr erfolgreichen Album „#2" vergangen. Sie erklären auf der ersten Single von „Junkies und Scientologen" selbst, warum es so lange gedauert hat. Wollen Sie allen Lesern, die „5 Jahre nicht gesungen" noch nicht gehört haben, die lange Pause trotzdem kurz erläutern?
Ich habe vor vier Jahren eine Platte angefangen, und vor drei Jahren ist mir aufgefallen, dass ich die Texte, die ich dafür geschrieben habe, grauenvoll finde. Romantisch introvertiert und seltsam schlecht. Als ich das gemerkt habe, war ich so wütend über mich, dass ich das Projekt abgebrochen habe, um erst mal drei, vier Monate neu nachzudenken. Ein schmerzhafter wie auch heilender Prozess. Ich habe dann festgestellt, dass ich wegen des Dreiecks der Schande, bestehend aus Brexit, Trump und AfD, einen wütenden Unterstrom in mir habe, den ich vorher nicht zugelassen habe. Dann habe ich ihn zugelassen, und es ging mit der jetzigen Platte los. Rein in die Dunkelheit, rein in die Kunst. Und so was dauert dann ein bisschen. Aber jetzt bin ich froh, gescheitert zu sein, um das zu haben, was „Junkies und Scientologen" heißt.
Sie sind enorm umtriebig und vielseitig talentiert. Sind Ihnen mittlerweile Ihre Aktivitäten als Autor („Sophie, der Tod und ich", 2015), Label-Betreiber (Grand Hotel van Cleef, gegründet 2002) oder Hörbuch-Stimme (unter anderem „Einer flog über das Kuckucksnest") genauso wichtig wie die Musik?
Je älter ich werde, desto mehr nehme ich für mich einfach den Begriff als Künstler in die Arme. Ich denke jeden Tag konstant die ganze Zeit nach, und ich schürfe immer, ob es irgendwo eine gute Sache gibt, die mich zucken lässt. Und wenn es mein Gehirn dann nicht verlässt, dann wird daraus was. Ob es die Straße durch mein Heimatdorf, die B73 ist, Nachdenken über Jürgen Klopp oder Hörbücher einlesen. Ich liebe es einfach immer mehr, je älter ich werde, Kunst zu machen. Ob schreiben, lesen, Gitarre spielen, texten ... Das ist mir alles ziemlich heilig. Vor allen Dingen weil ich auch weiß, dass die meisten Menschen mit 45 aufhören mussten, Kunst zu machen, weil es finanziell nicht gereicht hat.
Ich fragte für FORUM vor sechs Jahren 19 saarländische Musikexperten nach ihren „10 Alben für die einsame Insel". Es gab kaum Nennungen deutscher Interpreten. Ärgert Sie das? Ist es Ihnen egal? Oder stachelt Sie das gar an?
Der Titel „saarländischer Musikexperte" muss auch erst mal verliehen werden. Häufig habe ich auch das Gefühl, dass der Musikgeschmack eines 17-jährigen Mädchens aus Bous interessanter ist als meiner oder der eines „saarländischen Musikexperten". Da gibt es mehr zu verhandeln, da gibt es mehr zu besprechen und mehr nachzudenken, als wenn der 19. schreibt „Pet Sounds" und „Revolver". Ich bin uneitel, mir ist alles egal. Es gibt eine große, ultimative, universelle Schönheit im frühen Schaffen von Bob Dylan. Ich habe das erst mit 40 geschnallt. Das reicht aber auch dicke. Ich möchte meinen Kram einfach so gut, schön, wahrhaftig und nachhaltig machen, wie es irgendwie geht. Hier meine Top five – keine feste Reihenfolge: No Means No – Wrong, PJ Harvey – Dry, Pink Floyd – The Wall, Turbostaat – Alles, Beastie Boys – Check Your Head.
Neulich erfragte der Musik-Express die 15 besten Songs Ihrer Handschrift. Die kompletten ersten zwölf Plätze gingen an Tomte. Erst auf Rang 13 befindet sich Ihre großartige erste Solo-Single „Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf". Ist das so okay für Sie?
Ich fand damals Listen in meinem Fanzine aus Homburg „ZAP" viel interessanter, in denen gefragt wurde: „10 beste Dinge des vergangenen Monats". Mein leider viel zu früh verstorbener Freund Martin Büsser hat zum Beispiel mal geschrieben „1. Die CD vor Vinyl-Fetischisten verteidigen! 2. Vinyl vor spießigen CD-Freaks verteidigen!" Schon alleine durch diese Sache habe ich für mein ganzes Leben gelernt eine Ambivalenz der Dinge zu akzeptieren und zu schätzen. Darum geht es. Nachhaltigkeit in der Kunst. Einem zärtlichen Gedanken lange folgen. Mir ist nicht nur egal, wie es mir geht, es ist mir auch egal, was andere von mir denken. Alles andere ist Quatsch für die Kunst. Bedingungslosigkeit heißt mein Auto, „kein Blick zurück" ist mein Benzin. Und hören Sie auf meine Songs zu loben. A) brauchen wir objektiven Journalismus, und b) bin ich norddeutscher Protestant. Da ist Lob eine Todsünde.
Okay, ich bemühe mich. Sie und Ihre Tour-Band gehen mit dem Tomte-Material – nach anfänglicher Komplett-Verweigerung – immer noch sparsam um. Ist das Distanz zur Tomte-Ära oder Genervtsein vom ewigen Kult um die Ex-Band?
Ich bin nicht genervt. Ich bin wütend und traurig, glücklich und froh, aber ich habe ein entspanntes Verhältnis zu allem, was ich in meinem Leben gemacht habe. Am Anfang meiner Karriere mit meiner Thees-Uhlmann-Band war es einfach eine künstlerische Entscheidung, zu sagen: „Das ist das, was wir machen. Wenn es Euch nicht gefällt, gibt es nicht noch zum Schluss zwei, drei Tomte-Songs, damit Ihr einen schönen Abend habt und Euch wohlfühlt." Wir wollten uns selber beweisen, dass es genügt. Das hat geklappt. Das haben wir geschafft. Und ehrlich gesagt haben wir unsere eigenen Songs auch mehr geliebt, als eine Coverversion von Tomte zu spielen. Das wäre Feigheit vor dem Feind gewesen. Jetzt können wir das einfach machen. Verstehen Sie, was ich meine? Ich bin nicht dafür da, um Wünsche zu erfüllen. Mein Publikum erwartet von mir, dass ich das so mache, wie ich es am besten finde. Deswegen ist ja das Verhältnis zwischen meinen Fans und mir so intim und gerecht.
Sie sind ein Mann des Wortes. Was man ja wahrlich nicht von den meisten deutschen Barden behaupten kann. Auch das neue, dritte Werk hält unglaublich tolle Zeilen, nein, besser Dichtkunst, parat. Wie schreiben Sie Ihre Songs? Zuerst den Text oder zuerst die Musik?
Das kann ich nach all den Jahren immer noch nicht beantworten. Es ist ein riesiger Mischmasch aus 100 Seiten schreiben, von denen dann eine halbe Seite übrig bleibt. Ich kann zum Beispiel jetzt viel besser Gitarre spielen, weil ich beim Schreiben von „Sophia, der Tod und ich" immer nach 20 Minuten durchschreiben die Zeit des Nachdenkens dafür genutzt habe, dabei Gitarre zu spielen. Aus einem fast kindlichen Reflex. „Was mache ich, wenn ich nicht mehr TV schauen darf? Ah, Gameboy spielen!" Bei den Texten ist es häufig so, dass ich eine Punchline habe, die mir gut gefällt. Zum Beispiel auf der neuen Platte „Menschen ohne Angst wissen nicht, wie man singt!" Das finde ich gut, und dann beginnt die Arbeit, wie man diesen Satz mit anderen Sätzen auffüllt. Lange Rede, kleiner Sinn. Mal so, mal so. Hauptsache, es ist gut.
Unter Gefühlsduselei leiden etliche Ihrer deutschen Kollegen. Auch Sie wagen Gefühl, indes gänzlich ohne jemals in dieses Fettnäpfchen zu treten. Auch Ihr verlässliches Augenwinkern – wie im Song „Katy Grayson Perry", in dem Sie Katy Perry gut zureden, auf Ihrem Label Grand Hotel van Cleef zu veröffentlichen, tut einfach gut …
Ich nehme meine Sache ernst. Ich meine das, was ich mache, todernst. Im Sinne von Museum Ludwig Köln oder so was. Es kommt mir so vor, als ob Rock und Pop immer weiter in den Bereich des totalen Entertainments abdriftet. Es muss alles abbildbar sein für das Internet oder für einen selber. Das ist nicht meine Sache. Wir haben neulich beim Highfield-Festival gespielt, und es gab mehr Konfettikanonen als E-Gitarren auf den Bühnen. Bei jedem Konzert muss man sich hinsetzen, aufspringen, Lichter raus, Schlauchboot ins Publikum. Ich verstehe das, aber es ist eben nicht meine Sache. Wir stehen hier für die Kunst, wir stehen hier für die Härte und das Chaos. Wir schreiben Texte nicht, damit es ein Soundtrack für einen schönen Abend ist, ich schreibe Texte, weil ich sonst explodieren würde. Wir machen Musik für Menschen, die Musik lieben. Natürlich ist Entertainment eine tolle Sache, aber mein Entertainment ist es dann eben, in Saarbrücken zu erzählen, warum ich mich vor
18 Jahren in Lebach in eine Buchhändlerin verliebt habe. Und wenn dann alle lachen und darin eine Schönheit erkennen, dann ist es das, was ich mag.
In den vergangenen Jahren ist unfassbar viel passiert (Trump, Brexit et cetera). Sie gestehen im Titelstück Ihr „ungebrochenes Unverständnis gegenüber der Welt", äußern aber auch Hoffnung: „Aber die Zukunft ist ungeschrieben / Die Zukunft ist so schön vakant." Sind Sie am Ende dann doch Optimist?
Ich sag’ es jetzt mal simpel: Meine Tochter ist zwölf und voller Freude. Wenn ich ihr zu Hause irgendetwas vorleben würde, was mit Pessimismus zu tun hätte, dann wäre das unverantwortlich. Es ist ja so schon unverantwortlich, weil ich St.-Pauli-Fan bin und die die meiste Zeit verlieren. Wie sie mal zu mir meinte: „Warum hast du kein Hobby, das dich glücklich macht?" Da muss man erst mal drüber nachdenken. Nein, der Glaube ist ja einfach, dass ich mit Moses vom AK-47 in Homburg irgendwann mal mit St. Pauli international fahre. Ich glaube, dass es mit Ausbuchtungen nach unten immer weiter voran ins Licht, zur Freiheit und zur Schönheit geht. Deswegen muss ich Optimist sein. Wie mein Freund Emil Elektrohler mal so schön gesagt hat: „Es ist ja egal, ob die Kinder im Bundeskanzleramt oder in Stammheim sind. Wir kommen sie auf jeden Fall besuchen. Nur die Stadt ist eine andere." Wenn ich Pessimist gewesen wäre, hätte ich mit 29 mit der Kunst aufgehört.