Nach dem Scheitern von Hertha BSC bei der Umsetzung des Stadionneubaus im Olympiapark finden Verein und Politik immer noch kein gemeinsames Konzept für die zukünftige sportliche Heimat des Bundesligisten.
Einen alten Baum verpflanzt man bekanntlich nicht mehr – und so ergriff ein Berliner Urgestein gerade erst Partei für das Olympiastadion als Heimspielstandort für Hertha BSC. „Man kann ja nicht Weihnachten auf den 19. packen, nur weil die Kaufhäuser zu voll sind", zog Frank Zander einen plakativen Vergleich in einem Beitrag der „B.Z.", um seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Hertha nicht mehr im Olympiastadion – so, wie das frohe Fest zu verlegen? Es hilft sicher, wenn man weiß, dass der Sänger („Hier kommt Kurt") selten um einen lockeren Spruch verlegen ist – und sein Hit „Nur nach Hause geh’n wir nicht" ist schließlich die Stadionhymne von Hertha BSC. Gern singt der mittlerweile 77-Jährige sie noch höchstpersönlich mit seiner markanten Reibeisenstimme vor der Ostkurve der Arena. Als die Vereinsführung im vergangenen Sommer kurzerhand Zanders Lied aus dem Vorprogramm strich und durch den auch nicht mehr taufrischen, aber eben doch moderner anmutenden Song „Dickes B" der Berliner Band „Seeed" ersetzte, entfachte das im Fanblock einen Sturm der Entrüstung. So viel zum Thema Gewohnheit beziehungsweise Tradition im Fußball – was seine Meinung zum Olympiastadion betrifft, dürfte Zander jedoch vom Großteil des blau-weißen Anhangs keine Unterstützung erfahren. Wer einmal die Ostkurve gemeinsam ihre Lieder singen erlebt hat und sich vorstellt, das Ganze würde in einem geschlossenen Stadion ohne Laufbahn geschehen, kann sich da wohl nur allzu gut in die Gefühlswelt der Hertha-Fans hineindenken. Bei aller Tradition scheint die Anhängerschaft jedenfalls inzwischen einen Neubau zu bevorzugen. Allerdings ist nach jahrelangen Verhandlungen und Vorschlägen um die zukünftige Spielstätte des Bundesligisten die Situation bekanntermaßen (wieder) am Nullpunkt angelangt. Aktuell stellt sie sich sogar zwischen den Koordinaten „Olympiastadion wie bisher", „Olympiastadion umgebaut", „Stadionneubau im Olympiaparkgelände" sowie „Neubau an einem anderen Standort in Berlin oder Umgebung" mehr oder weniger als Quadratur des Kreises dar.
„Brauchen bis 2025 eine eigene Heimat"
Gegenüber der in Sachen Neubau nicht sonderlich beweglichen Berliner Politik hatte sich der Verein seit 2017 recht eindeutig positioniert. „Auf dem Olympiaparkgelände – oder außerhalb von Berlin", so lautete die Devise der Vereinsführung – wobei die Alternative im Umland eher als Drohkulisse gegenüber dem Senat zu verstehen war. Mit dieser Haltung hatte es Hertha BSC auch beinahe geschafft, seine Vorstellungen durchzusetzen. Aber eben nur beinahe – am Ende scheiterte das Ganze an den Verhandlungen mit einer Genossenschaft, der 24 Wohnungseinheiten auf dem Gelände des Olympiaparks gehören.
Und so hieß es Anfang April: Aus der Traum vom neuen Heim. Die Endgültigkeit des Scheiterns führte wohl erst der Senator für Inneres und Sport der blau-weißen Führungsetage vor Augen. Im Mai brachte Andreas Geisel (SPD) nämlich das Gelände des Flughafens Tegel als neuen Standort ins Spiel – und unterstrich damit das Ende aller Pläne für den Olympiapark. Tegel ist wegen der Dauerbaustelle am BER aber noch bis auf Weiteres im Vollbetrieb. Die von Hertha BSC geplante Fertigstellung des neuen Zuhauses bis Juli 2025 wäre auf dem Areal dort so nicht zu bewerkstelligen – laut Senator Geisel sei dies nicht vor 2027 realisierbar.
Diese Terminierung jedoch ist ganz und gar nicht nach dem Geschmack der Vereinsspitze. „Wir stehen für alle sinnvollen Lösungen zur Verfügung – aber wir brauchen bis 2025 eine eigene blau-weiße-Heimat, in einem reinen Fußballstadion", formulierte es Finanzgeschäftsführer Ingo Schiller unzweideutig. Die scheinbare Unverhandelbarkeit des Umzugs- beziehungsweise Einzugstermins hat allerdings auch eine strategische Note: Sie schließt Tegel aus – und bringt so wieder den Standort Olympiapark ins Spiel. Dort wären die Voraussetzungen inklusive einer (bereits bestehenden) angemessenen Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr am schnellsten erfüllbar, lautet weiterhin ein Argument von Hertha BSC. Auf diese Weise rückt der eigentlich schon geplatzte Traum eines Neubaus neben dem Olympiastadion bei den Verantwortlichen wieder auf der Agenda ganz nach vorne – wenn er in deren Sicht diese Position überhaupt jemals verloren hatte.
„Dritte Kraft" auf Privatinitiative
Der Berliner Senat hat es wiederum in den Verhandlungen tatsächlich nicht sonderlich eilig, da die aktuelle Lösung – Hertha BSC als Mieter im Olympiastadion bis zum Jahr 2025 mit der Option auf Verlängerung seitens des Fußballclubs – eine Einnahme von rund fünf Millionen Euro pro Saison für das ansonsten nur im Sommer bei Konzerten und anderen Sportveranstaltungen wie dem Istaf genutzte Baudenkmal garantiert. Vor diesem Hintergrund ist wohl auch der jüngste Gedanke von Geisel zu verstehen, als er öffentlich sogar wieder über einen Umbau der bestehenden Sportstätte im Westend als Lösung nachdachte. Eigentlich ein alter Hut, dem der Senator des rot-rot-grünen Senats vor einem Jahr noch selbst eine Absage aus Wirtschaftlichkeitsgründen erteilt hatte. Bizarr? Nun: Die inzwischen in der Opposition befindliche CDU hat gerade erst die „Errichtung eines neuen, für Hertha BSC angemessenen Stadions" als Antrag an den Senat formuliert. Vor drei Jahren hatte ihr damaliger Innensenator Frank Henkel beim Abschluss des neuen Mietvertrags jedoch noch verkündet: „Hertha BSC und das Olympiastadion – das gehört einfach zusammen." In diesem scheinbar vollständigen Patt zwischen den Interessengruppen zur künftigen sportlichen Heimat von Hertha BSC versucht nun die Faninitiative „Blau-Weißes Stadion", die verhärteten Fronten aufzuweichen. Bewusst bezeichnet sie sich dabei als „vereins- und parteiunabhängig", propagiert allerdings eindeutig einen Neubau im Olympiapark. Nach anderthalb Monaten ihrer Existenz hatte die Onlinepetition die 11.000 Unterschriften gesammelt, die man mindestens zur Vorlage im Senat zusammenhaben wollte. Dass eine „dritte Kraft" auf Privatinitiative den gordischen Verhandlungsknoten zu lösen vermag, erscheint dabei zwar charmant, aber wenig vorstellbar. In der momentanen, verfahrenen Situation ist es andererseits aber auch den Versuch wert. Und Frank Zander, der Hertha-Fan und Bauchmensch, würde sich sicher am Ende auch nicht lange zieren, zur Eröffnung eines neuen Stadions seine Hymne vorzutragen. Dann aber auf dem grünen Rasen – eine (blaue) Laufbahn gäbe es dann ja nicht mehr.