In Deutschland ist die Position des Nationaltorwarts heilig. Konkurrenzkämpfe gab es auf dieser Position schon immer, der von Manuel Neuer und Marc-André ter Stegen ist gegen ältere Grabenkämpfe eher harmlos.
In den Siebziger Jahren schon, als Rekord-Nationaltorhüter Sepp Maier das Tor der deutschen Nationalmannschaft wie ein König regierte, versauerten auf der Bank hinter ihm sowohl im Verein als auch in der Nationalelf Dutzende Rivalen. Vor allem in der Nationalmannschaft wurde dies durch die Bayern-Lobby innerhalb des Teams niemals wirklich infrage gestellt, weil eben damals ein gewisser Franz Beckenbauer innerhalb der Mannschaft das Sagen hatte. Am nächsten kam Maier der Gladbacher Wolfgang Kleff, bei der WM 1974 sein Vertreter. 1973 absolvierte er schließlich vier Einsätze in Folge. Seine dann folgenden schlechten Leistungen begründete Maier anschließend damit, dass die Presse Kleff so hochgelobt habe und ihn dieser Umstand durchaus beschäftigte. Bundestrainer Helmut Schön ließ ihn dann bei zwei Spielen zu Hause, da er „so ein schlechter Reservist" sei. Kleff kam auf lange Sicht aber dennoch nicht an Maier vorbei, trug das Ganze aber immer mit Humor. Gern erzählte er diesen Witz: „Sepp Maier hat seinen Dackel erschlagen. Der machte dauernd ‚Kleff, Kleff‘." Ein wenig selbstbewusster ging der Schalker Norbert Nigbur an die Sache ran. „Er wird mir nicht verdenken, dass ich, zumal ich bedeutend jünger bin als er, Nationaltorwart werden will". Irrtum! Maiers Antwort: „An mich kommt natürlich keiner heran, es gibt halt nur einen Sepp Maier." Sticheleien, die in der heutigen Zeit für ganz andere Wellen sorgen würden, als sie es damals taten. Da wirkt der kleine Disput zwischen Neuer und ter Stegen noch kleiner. Wesentlich größer wurde dann die Fehde zwischen Toni Schumacher und Uli Stein. Schumacher wurde auf Anhieb Europameister und hütete das deutsche Tor bis 1986 unumstritten. Vor der WM 1986 erwuchs ihm jedoch im Hamburger Uli Stein ein echter Rivale, der so gut hielt, dass Teamchef Franz Beckenbauer ihm angeblich versprach, bei der WM in Mexiko zu spielen.
Davon gingen vor dem Abflug beide Keeper aus, es musste also einen verbitterten Verlierer geben. Es traf Uli Stein, und um seinen Unmut über diese Entscheidung kundzutun, sonnte er sich gegen Uruguay mit freiem Oberkörper auf der Bank. Dies führte zum Eklat, später auch zum Rauswurf Steins. Im folgenden Zweikampf zwischen Eike Immel und Bodo Illgner ging es ruhiger zu, außer dass Immel sofort zurücktrat, als Beckenbauer auf den jüngeren setzte. Illgner wurde also mit 21 Jahren zur Nummer eins, Oliver Kahn hingegen musste warten, bis er 29 war. Er verbrachte bis dahin drei Turniere auf der Bank, ehe Andreas Köpke dann von Bord ging. Dabei sagte er schon 1996: „Berti Vogts weiß genau, dass ich nicht zur ewigen Nummer zwei tauge. Bei der WM 1998 will ich spielen." Mit freundlichen Grüßen an Köpke, der trotzdem spielte. Aneinander gerieten sie nur einmal: Als Kahn auf ein Testspiel gegen Saudi-Arabien verzichtete – er sollte nur eine Halbzeit ran –, äußerte Köpke sein Unverständnis.
Stein flog bei der WM 1986 vorzeitig nach Hause
Die wohl noch präsenteste Fehde ist die zwischen Jens Lehmann und Oliver Kahn. Bei dieser gab es ganz andere Wortgefechte. Lehmann schob Frust, bis zur WM 2006 war er die „ärmste Sau" der deutschen Torwartgeschichte, musste er doch bei vier Turnieren in Folge die Bank drücken. Vor der EM 2004 hielt er es nicht mehr aus. „Ich hätte es verdient, wieder mal zu spielen, weil ich sechs Jahre gewartet und auch die Leistung gebracht habe. Meine Leistung ist konstanter. Ich kann jetzt wirklich nicht sagen, dass einer besser ist als ich." Auf die Frage, warum er mit Kahn nicht rede, stichelte der damalige Meistertorwart des FC Arsenal: „Ich wüsste nicht, was wir reden sollten. Ich habe keine 24-jährige Freundin, ich habe ein anderes Leben." Für Kahn hatten Lehmanns Aussagen „Kindergartenniveau", und solange Rudi Völler ihn aufstellte, war alles gut. Dann kam Jürgen Klinsmann, und Lehmann witterte Morgenluft. „Bei der WM stehe ich im Tor", prophezeite er schon im Oktober 2004 und schien mehr zu wissen als alle anderen. Denn es kam so. Der Rest ist bereits mehrfach durchgekaut worden. Kahn bewies Größe und wünschte Lehmann vor dem Elfmeterschießen gegen Argentinien viel Glück. Weltmeister wurden die Deutschen trotzdem nicht. „Mit mir wären wir Weltmeister geworden", sagte Kahn. Torhüterwunden heilen scheinbar langsamer.
Damals war auch schon ein gewisser Uli Hoeneß für die Abteilung Attacke der Münchner zuständig, musste miterleben, wie der große Torhüter Kahn, der beim FC Bayern stets die Nummer eins und mehrfacher Welttorhüter war, aufs Abstellgleis gestellt wurde. Diese Wunden sitzen immer noch tief, anders machen seine verbalen Ausraster in Bezug auf Marc-André ter Stegen gar keinen Sinn. Uli Hoeneß will ein ähnliches Szenario wie damals, als das Denkmal des Torwarts Oliver Kahn beschädigt wurde, vermeiden. Auch wenn er es öffentlich abstreitet, zumindest verdeckt. „Nein. Aber wir werden das nie akzeptieren, dass hier ein Wechsel stattfindet", zumindest nicht so wie damals. Aber von vorne.
Auch zwischen Kahn und Köpke rappelte es
Ter Stegen hatte zuletzt seine Enttäuschung über seine dauerhafte Reservistenrolle zum Ausdruck gebracht und sich daraufhin einen kleinen Wortwechsel über die Medien mit seinem Konkurrenten Neuer geliefert. Dabei ging es nie unter die Gürtellinie. Bis Uli Hoeneß auftrat. Ter Stegen hätte „überhaupt keinen Anspruch", in der Nationalmannschaft zu spielen. Das Urgestein des FC Bayern drohte Joachim Löw sogar damit, keine Nationalspieler mehr abstellen zu wollen, sollte Löw einen Wechsel im Tor vornehmen. Ter Stegen hatte in der Vergangenheit zwar klargestellt, „Druck machen" zu wollen, „bis sich Jogi Löw irgendwann für mich entscheidet, und ich die Nummer eins im Tor werde". Allerdings betonte ter Stegen dabei stets, nicht dadurch auffallen zu wollen, „dass ich den Mund weit aufmache". Auf Nachfrage der „Bild" bei Oliver Bierhoff, dem DFB-Manager, wie er denn die Aussagen des Boykotts von Hoeneß sehen würde, zeigte er sich unbeeindruckt und fürchtet keine Schwierigkeiten bei der Spielerabstellung: „Nein. Zumal ein Verein laut Fifa-Statuten zur Abstellung verpflichtet ist." Kurz darauf, mutmaßlich ohne Kenntnis der Aussagen Bierhoffs, erneuerte Hoeneß seine Kritik an ter Stegen: „Von den handelnden Personen hätte ich schon erwartet, dass man den Herrn ter Stegen mal in die Ecke stellt und ihm mal klar sagt, dass es so nicht geht", sagte er beim Medientreffen der Basketball-Bundesliga. Ort und Zeit sind mittlerweile egal. Der Anlass ebenso. Es scheint, als wäre Hoeneß der einzige, dem dieses Thema keine Ruhe lassen könnte. Dabei ist es, bei genauem Blick auf die Fakten, nichts als ein Konkurrenzkampf zwischen zwei Spielern, die gern spielen würden, aber nur einer darf. Kein Sonnen oben ohne, keine Scharmützel wie zwischen Lehmann und Kahn. Joshua Kimmich hat seinem Präsidenten dabei vorgemacht, wie mit so einer Situation auch umgegangen werden kann. Natürlich verteidigte er Manuel Neuer: „So wie Manu derzeit hält, gibt es keine Frage, wer im Tor steht." Fügte dann aber an: „Was der Marc gesagt hat, war aber auch nichts Schlimmes. Er hat nur gesagt, dass er enttäuscht ist. Natürlich kann ich das verstehen." Die Außendarstellung der Führungsetage der Bayern war erneut bodenlos, Kimmich konnte diese Wogen zumindest ein wenig glätten. Die Unverhältnismäßigkeit des Angriffs der Bayern-Oberen auf ter Stegen, der mit seinem geäußerten Unmut über seine Situation angeblich Neuer „als tadellosen Sportsmann beschädigt", ist dabei aber kaum noch in Worte zu fassen.
Ter Stegens Wortwahl war gemäßigt
Die Fakten sind nämlich folgende: Beide Keeper sind so gut, dass es eigentlich keinen Unterschied macht, wer von den beiden im Tor steht. Konkurrenz belebt das Geschäft, das ist ein Gesetz. Bei der Nationalmannschaft ist es mit dieser Torwartdiskussion so, dass sich über die einzige Position, über die sich keine Gedanken gemacht werden muss, jetzt der Kopf zerbrochen wird und eine Baustelle geschaffen wurde. Denn eins war schon immer klar. Auf der Torwartposition muss sich Deutschland keine Gedanken machen. Weder heute, noch morgen.