Den Saisonstart hatten sich die Eisbären Berlin ganz anders vorgestellt. Da kam das Testspiel gegen die NHL-Stars aus Chicago zur Ablenkung gerade recht.
Die Lust am Kräftemessen mit den Besten der Welt war den Eisbären Berlin auch durch den misslungenen Saisonstart in der Deutschen Eishockey Liga (DEL) nicht vergangen. Beim 1:3 im Testspiel gegen die NHL-Stars des sechsmaligen Stanley-Cup-Gewinners Chicago Blackhawks stand der Spaß im Vordergrund, außerdem sollten sich die Berliner von den jüngsten Rückschlägen in der Liga ablenken. Diese Vorhaben wurden vor 14.200 Zuschauern in der ausverkauften Arena am Ostbahnhof glänzend umgesetzt. Die Eisbären hielten die Partie gegen den haushohen Favoriten, dessen Mannschaftswert etwa zehn Mal so hoch ist, erstaunlich lange offen. Sean Backman ließ die Berliner mit seinem zwischenzeitlichen Ausgleichstreffer zum 1:1 sogar kurz von der Sensation träumen. Doch auch die knappe Niederlage gab ihnen Hoffnung auf bessere Zeiten im Liga-Alltag. „Eine NHL-Mannschaft in der Heimatstadt zu haben, ist eine Riesensache", sagte Nationalspieler Marcel Noebels, „nicht nur für uns Spieler, sondern auch für den ganzen Verein und die Fans, die sich so ein Highlight in Berlin verdient haben."
Die Rückkehr in den Alltag dürfte für die Eisbären aber gerade deshalb umso schmerzvoller sein. Die beiden Niederlagen gegen München (2:4) und Titelverteidiger Adler Mannheim (1:4) haben dem Club klar die Grenzen aufgezeigt. Nach diesem richtungsweisenden Liga-Doppelpack scheint klar: Mit den beiden Top-Favoriten auf den Meistertitel ist Berlin nach dem Umbruch im Sommer noch längst nicht auf Augenhöhe. Die schwache Punkteausbeute von nur fünf Zählern aus den ersten fünf Spielen sorgte für Frust, genau wie der Absturz auf den vorletzten Tabellenplatz. Das Spiel in Mannheim „war echt gar nichts", gab Verteidiger Kai Wissmann zu. Das Versprechen des neuen Trainer Serge Aubin an die im Vorjahr arg gebeutelten Fans („Wir werden hart und schnell spielen und als Mannschaft zusammenhalten") wurde in den ersten Spielen nicht gehalten. „Wir waren einfach nicht da, das ist die Grunderkenntnis", sagte Aubin nach der Pleite bei den Adlern. „Wir haben überhaupt keine Zweikämpfe gewonnen. So ist es unmöglich, ein Eishockeyspiel zu gewinnen."
Eisbären hielten Partie lange offen
Aubin, der von sich selbst sagt, er sei „ein Trainer mit Herz", wird nun die Zügel noch mehr anziehen müssen. Das Selbstverständnis des siebenmaligen DEL-Champions ist es nicht, der Musik derart hinterherzulaufen. Doch der missratene Saisonstart hat Gründe. „Wir müssen mehr Disziplin haben", sagte Torhüter Sebastian Dahm. „Wir müssen aber auch besser in Unterzahl spielen. Es ist zu einfach, gegen uns Tore zu schießen." Die 16 Gegentreffer nach fünf Spielen werden zum Teil aber auch dem dänischen Nationaltorhüter angelastet, der sich bislang noch nicht als gleichwertiger Ersatz für Publikumsliebling Kevin Poulin entpuppt hat. Gegen Chicago war Dahm aber der beste Eisbären-Profi. Gegen Mannheim hatte sich sein Ersatzmann Maximilian Franzreb beweisen dürfen, doch auch er zeigte deutliche Schwächen. Marvin Cüpper, Berlins Torhüter Nummer drei, der nach Weißwasser zum Kooperationspartner in die Zweite Liga ausgeliehen war, verletzte sich am Sprunggelenk und fällt auf unbestimmte Zeit aus. Es scheint also klar, dass die Verantwortlichen auf dieser Position auf der Suche nach Verstärkung sind. Ein heißer Kandidat soll der Kanadier Danny Taylor sein, der seit 2018 in der russischen KHL in Nowosibirsk unter Vertrag steht. Auch der Finne Joni Ortio wird in den Medien gehandelt.
Doch die Eisbären haben unter Coach Aubin noch andere Probleme. Die Spezial-Teams in Über- und Unterzahl wussten nicht zu überzeugen, die Torausbeute war bis auf den Heimsieg gegen Wolfsburg (4:1) schwach. Aubins Maxime, die Eisbären mit Leidenschaft und höchstem Tempo spielen zu lassen, ist zwar in Ansätzen zu sehen. Doch noch greifen die Automatismen nicht. Vom Hauptrundenziel, einem Platz unter den ersten Vier, wollten sich die Eisbären angesichts des frühen Zeitpunkts natürlich noch nicht verabschieden. Doch zunächst heißt es: stabilisieren statt angreifen.
Vielleicht hilft ja der Vergleich gegen die NHL-Stars um Patrick Kane aus Chicago, dass die verunsicherten Eisbären zurück in die Erfolgsspur finden. „Sie können sehen, wie die Spieler sich auf dem Eis verhalten, wie das ganze Drumherum ist", so Eisbären-Trainer Aubin vor dem Spiel. „Ich denke, sie werden uns eine Menge Zeit in unserer Defensive geben. Es ist eine gute Chance, uns zu messen."
Reichel konnte sich präsentieren
Die Blackhawks traten in der Arena am Ostbahnhof an, weil die NHL aus Vermarktungsgründen in Europa wieder präsenter werden will. Als Gastgeber mussten die Berliner eine 20-seitige Vereinbarung mit dem NHL-Club unterschreiben, die nicht nur das Wohnen in einem Fünf-Sterne-Hotel vorschreibt. Auch wurden den Superstars viele Dinge bereitgestellt, die zuvor penibel aufgelistet waren: 120 Rollen Isolierband, 600 Pucks, zwei Massagebänke, zwei Kühlschränke, 72 Flaschen Wasser, 50 Kleiderbügel, zwei Kleiderständer, 40 Rasierer, 30 Bananen, 30 Orangen, drei Föne, drei Puderdosen. Und vieles mehr.
Die meisten Augen waren auf Superstar Kane gerichtet. Der 30 Jahre alte US-Amerikaner, der alleine knapp zehn Millionen Euro Jahresgage erhält, hat es in 1.030 NHL-Spielen auf sagenhafte 1.061 Scorerpunkte geschafft. Er ist auch deswegen der Lieblingsspieler von Eisbären-Toptalent Lukas Reichel. Dessen Lieblingsmannschaft ist ohnehin Chicago, auch deswegen freute sich der 17-Jährige diebisch auf das ungleiche Duell. „Es ist schön, die NHL-Spieler mal nicht im Fernsehen, sondern live zu sehen und sogar gegen die ganzen Superstars zu spielen", sagte Reichel. Er selbst konnte sich zudem den NHL-Spähern präsentieren, schließlich gehen alle Experten davon aus, dass sein Weg früher oder später in die beste Eishockey-Liga der Welt führt. „Unser Ziel ist es, dass er gedraftet wird", sagte Eisbären-Sportdirektor Stephane Richer. „Unser Traum ist die erste Runde, aber wir wollen nicht zu viel Druck auf ihn machen." Bei der Niederlage in Mannheim erzielte der Sohn von Ex-Nationalspieler Martin Reichel und Neffe von Tschechiens Olympiasieger Robert Reichel seinen ersten DEL-Treffer. Auch in den Spielen zuvor hatte der Teenager mit seiner Schnelligkeit und seiner Technik überzeugt. Viel mehr Positives hatte der Saisonstart für die Eisbären aber nicht parat.