Während es Debatten über Tierversuche gibt und die Anzahl an solchen Tests nach wie vor steigt, gibt es Gegenbewegungen von Forschern. Ein Überblick.
Tiere sind Freunde und Fleischlieferanten, Haustier und Versuchsobjekt – der Widerspruch könnte heute kaum größer sein. Und auch, wenn der tierexperimentellen Forschung Milliarden Euro pro Jahr zur Verfügung stehen, geht die Bundesregierung immerhin einen kleinen Schritt in die andere Richtung. Mehr als 190 Millionen Euro an Fördervolumen stellte das Bundesforschungsministerium nach eigenen Angaben seit 1980 für Projekte zur Verfügung, die Alternativen zu Tierversuchen darstellen. Damit wollte das Ministerium die Suche nach Ersatzmethoden vorantreiben, was tatsächlich gelungen ist. „Das ist ein lächerlicher Betrag verglichen mit den Milliarden, die in der tierexperimentellen Forschung zur Verfügung stehen. Aber trotz dieser minimalen Unterstützung hat die tierversuchsfreie Forschung beachtliche Erfolge aufzuweisen, und mehr und mehr Forscher erkennen ihr Potenzial", schreibt die Organisation Ärzte gegen Tierversuche. Das Bundesforschungsministerium hat inzwischen rund 600 Projekte gefördert, die alle auf dem 3R-Konzept fußen, also Replacement (Ersatz), Reduction (Verringerung) und Refinement (Verfeinerung).
Nicht nur die Bundesregierung, auch die Länder engagieren sich in Sachen Alternativen zu Tierversuchen. An der Berliner Charité eröffnete im vergangenen November das „Charité 3R-Zentrum", mit dem die Universitätsmediziner Berlin auch zur Hauptstadt der Alternativmethoden machen wollen.
Eröffnung eines neuen Zentrums
Bei der Eröffnung des Zentrums kündigte der Berliner Staatssekretär für Wissenschaft und Forschung, Steffen Krach, an, das Land Berlin werde in den kommenden Jahren rund 25 Millionen Euro für die Erforschung und Entwicklung von Alternativen zu Tierversuchen zur Verfügung stellen. „Wir wollen den Tierschutz stärken und Tierversuche in der medizinischen Forschung so schnell und so weit wie möglich verzichtbar machen", sagte Krach.
Zwar seien Tierversuche in der Forschung auf absehbare Zeit noch unvermeidbar, sagten die Experten im Rahmen der Eröffnung. „Aber genau darum sind wir verpflichtet, energisch nach Alternativen zu suchen", sagte Charité-Dekan Prof. Dr. Axel Radlach Pries. Durch alternative Methoden ließen sich nicht nur Tierversuche schrittweise ersetzen und reduzieren. Sie dienten auch dazu, die Forschung zu verbessern, also Ergebnisse übertragbarer auf den Menschen zu machen, etwa durch Computermodellierungen, Stammzellen, Organoide, Neurosphären oder neuen Bildgebungsverfahren. „Alternativmetoden sind High-tech und werden uns helfen, Forschungsergebnisse schneller vom Labor zum Patienten zu bringen", sagte der Charité-3R-Sprecher Prof. Dr. Stefan Hippenstiel. Und was heute noch nicht möglich sei, könne morgen funktionieren: „Die Restriktionen der Gegenwart bestimmen nicht unsere Zukunft."
Einen ersten Erfolg hatten Wissenschaftler an der Charité dann ein knappes halbes Jahr später. Im April gab die Klinik bekannt, dass die Wissenschaftler Ellen Na und Geert Michel gemeinsam mit dem Team der Core Facility Transgene Technologien der Charité aus drei unterschiedlichen Zelllinien erstmals Mäuse-Embryonen rekonstruiert hatten: aus embryonalen Stammzellen (ES-Zellen), aus denen der Embryo entsteht, aus trophoblasten Stammzellen (TS-Zellen), aus denen sich die Plazenta bildet, und aus extra-embryonalen Endodermzellen (XEN-Zellen), welche den Embryo abgrenzen und später den Dottersack bilden. Keinem anderen Wissenschaftler war es zuvor gelungen, einen so vollständigen Embryo aus reiner Zellkultur zu schaffen. „Wir waren die Ersten", freut sich Ellen Na, die als gelernte medizinisch-technische Assistentin schon seit mehr als 30 Jahren an der Charité mit tierischen und menschlichen Zellen forscht. Dass sie nun etwas schaffen konnte, das es noch nie zuvor gegeben hat, und dazu möglicherweise Tausende Versuchstiere einsparen könnte, das sei schon ein „verdammt gutes Gefühl."
Sollte die Forschung zum Erfolg führen und die Ergebnisse zuverlässig reproduzierbar sein, gäbe es viele Einsatzmöglichkeiten. Vorstellbar wäre in Zukunft, an den Embryonen aus der Petrischale zum Beispiel neue Substanzen für potenzielle Arzneimittel zu testen ohne, dass ein Tier dafür sterben müsste. „Wir sind voller Hoffnung, dass durch unseren Ansatz eines Tages auf die Embryonen-Spender verzichtet werden kann", sagt Geert Michel. „Die Zahl der Versuchstiere würde dadurch enorm reduziert." Schon einen Schritt weiter ist die Universität Potsdam, an der Forscher die Gefahr von Botox als Medikament gegen Krampfzustände, Schielen und Migräne erforschen. In Europa sterben dabei bis zu 400.000 Labormäuse pro Jahr. In Potsdam ist keine einzige zu sehen. Die Wissenschaftler nutzen sogenannte Mikrotiterplatten, auf denen Nervenzellen liegen, die Lichtblitze produzieren, wenn sie gesund sind. Das funktioniert ähnlich wie bei Glühwürmchen. Anhand dieser Blitze lässt sich erkennen, ob das Botox den Zellen geschadet hat.
Menschliche Haut wird simuliert
Auch im Saarland läuft die Forschung nach Alternativen zu Tierversuchen auf Hochtouren. Am Institut für Molekulare Zellbiologie der Universität des Saarlandes in Homburg betreut Professor Peter Lipp das Projekt „Cardio 3R". Darin erforscht und optimiert er alternative Methoden nach dem 3R-Konzept in der kardiovaskulären Grundlagenforschung. Diese Forschung setzt sich mit Erkrankungen des Herzens und der Blutgefäße auseinander. Ein Bereich, in dem bislang häufig Tiermodelle zum Einsatz kommen, die mit Genveränderungen speziell für die Forschung im Labor gezüchtet sind.
Auch bei unseren Nachbarn in der Schweiz wurde das Thema 3R in der Forschung großgeschrieben. Die Eidgenössische Technische Hochschule Zürich etwa setzt die 3R-Prinzipien dort, wo es geht, konsequent um und forscht selbst zu diesem Thema. Das Bioengineering Laboratory der Universität entwickelt etwa Mikrogewebechips, die Zellen aus mehreren Organen kombinieren und so die Bedingungen im menschlichen Körper simulieren können. Dieses „body on a chip", also „Körper auf einem Chip" genannte Modell ist eine große Zukunftshoffnung der Tierversuchskritiker.
Das Laboratory of Biosensors and Bioelectronics in Zürich hat wiederum eine raffinierte Methode entwickelt, um kontrollierte neuronale Netzwerke wachsen zu lassen. Gedächtnis und Lernprozesse lassen sich dabei anhand einzelner Zellen untersuchen. Und auch die menschliche Haut lässt sich inzwischen simulieren. Die Gruppe für Immunoengineering und regenerative Medizin hat ein neues zweischichtiges In-vitro-Hautmodell entwickelt, basierend auf einer Kombination von normalen Elektrospinnen und Kryoelektrospinnen. Daran wollen die Forscher Hauterkrankungen untersuchen.
Die Entwicklung ist noch lang nicht am Ende. Erkannt hat die Politik das längst. Nach und nach wächst das Engagement in der Suche nach Alternativen zu Tierversuchen. Das saarländische Umwelt- und Verbraucherschutzministerium will vom kommenden Jahr an einen Forschungspreis für Alternativen zu Tierversuchen verleihen. Minister Reinhold Jost kündigte an, damit Arbeiten auszuzeichnen, die einen Beitrag zu neuen Methoden leisten. Das Ziel: in Zukunft nach Möglichkeit ganz auf Tierversuche verzichten zu können.