Österreichs Wahlsieger Sebastian Kurz steht vor schwieriger Koalitionsbildung
Allen politischen Turbulenzen zum Trotz: Die konservative ÖVP von Österreichs Ex-Kanzler Sebastian Kurz hat bei der Parlamentswahl am vergangenen Sonntag einen erneuten Triumph eingefahren. Dahinter steckt in erster Linie ein Vertrauensbeweis für den früheren Regierungschef. Das Ibiza-Erdbeben hat die rechtspopulistische FPÖ – den ehemaligen Koalitionspartner – nach unten gezogen. Kurz hat davon profitiert.
Für viele Österreicher ist Kurz ein Stabilitätsanker in schwierigen Zeiten. Seine Erfolgsformel beruht auf zwei Stärken, die nur auf den ersten Blick im Widerspruch zueinander stehen. Mit 33 Jahren zehrt er immer noch vom Nimbus des jugendlichen Senkrechtstarters. Andererseits gibt er sich ruhig, wirkt gelegentlich fast altklug. Er strahlt die Routine eines erfahrenen Polit-Profis aus.
Dass die FPÖ abgewatscht wurde, hat sie ihrem früheren Chef Heinz-Christian Strache zu verdanken. Das im Mai veröffentlichte Ibiza-Video entlarvte ihn als korruptionsanfälligen Partei-Boss, der einer angeblichen russischen Oligarchen-Nichte Regierungsaufträge gegen Gefälligkeiten in Aussicht stellte. Zudem ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf Untreue: Strache soll private Rechnungen über das Spesenkonto der FPÖ beglichen haben.
Trotz dieser Affären und Skandale würde Kurz vermutlich am liebsten wieder mit der FPÖ regieren. Noch am Wahlabend hob er die „sehr gute Zusammenarbeit" in seiner rund 18-monatigen Amtszeit hervor. „Die Übereinstimmung von ÖVP und FPÖ in Themen ist über 80 Prozent", sagt der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier.
Dabei hatte die Koalition sozial- und arbeitspolitisch eine Reihe umstrittener Beschlüsse gefasst. Diese treffen vor allem jene, die nur ein geringes Einkommen haben. Neben einer Ausweitung der täglichen Höchstarbeitszeit auf zwölf Stunden hat die Allianz aus Konservativen und Rechtspopulisten auch Mittel für Arbeitssuchende gestrichen und die Mindestsicherung gekürzt. Geschadet hat ihr das nicht.
Im Wahlkampf hatte Kurz nicht ohne Grund die Migrationspolitik ganz oben auf die Agenda gesetzt. Den jüngsten Vorstoß von Deutschland und Frankreich, jeweils 25 Prozent der in Italien gelandeten Flüchtlinge aufzunehmen, bezeichnete er als das „falsche Signal". Der ÖVP-Chef fordert einen besseren Schutz der Außengrenzen und mehr Abschiebungen. Auch bei wichtigen innenpolitischen Vorgaben wie Steuererleichterungen liegt er nah bei der FPÖ. Doch die Freiheitlichen wurden derart abgestraft, dass die Partei für Kurz zur Belastung werden könnte.
Der alte und neue Kanzler ist allerdings taktisch zu versiert, um seine Karten früh auf den Tisch zu legen. Er rede mit allen, um die Chancen für ein neues Kabinett auszuloten, kündigte er an. Es geht ihm darum, aus einer Position der Stärke zu verhandeln. Selbst eine Minderheitsregierung ist für ihn kein Tabu. So will er den Preis für ein Bündnis mit der ÖVP so weit wie möglich nach oben treiben.
Rein rechnerisch wäre auch ein Tandem aus ÖVP und Grünen denkbar. Die Grünen, die 2017 noch an der Vier-Prozent-Hürde gescheitert waren, haben enorm zugelegt. Vor allem der große Zuspruch durch klimabesorgte Jungwähler hat der Partei einen kräftigen Schub verpasst; auch die Alpenrepublik hat nun ihren Greta-Thunberg-Effekt.
Die Grünen gehen daher mit Rückenwind in die anstehenden Sondierungsgespräche. Doch eine offenere Zuwanderungspolitik ist mit Kurz ebenso schwer zu machen wie die Einführung einer von den Grünen gewünschten Öko-Steuer. Wenig Chancen gibt es hingegen für die Neuauflage einer großen Koalition, bei der Kurz 2017 den Stecker gezogen hat.
In der Außenpolitik schwebt Kurz eine größere Rolle Österreichs vor. Sein Ziel ist klar: Er will versuchen, sein Land als dritte Kraft zwischen Ost- und Westeuropa zu profilieren. Er plädiert für eine auf Begrenzung setzende Flüchtlingspolitik und möchte damit die Bedenken Polens und Ungarns aufnehmen. Zudem wirbt er für stabile Haushalte und Steuererleichterungen für Bürger und Unternehmen. Für die Grünen – hinter der ÖVP der zweite große Sieger beim Urnengang – war dies bislang Teufelszeug. Kurz hat die Wahl mit Glanz und Gloria gewonnen. Doch die Bildung einer Koalition wird nun zu einer kniffeligen Aufgabe. Ihm muss die Quadratur des Kreises gelingen.