Überproduktion, Dumpingpreise, Handelskriege, Energiepreise, Umwelt- und Klimaschutzauflagen – der Druck auf die Stahlbranche wächst. Der angekündigte Stellenabbau in der saarländischen Stahlindustrie ist zum Politikum auf höchster Ebene geworden.
Die Stimmung ist gereizt. Die Ankündigung vom geplanten massiven Stellenabbau in der saarländischen Stahlbranche hat endgültig alle Alarmglocken schrillen lassen. Dabei sieht sich die Branche schon lange von den unterschiedlichsten Seiten unter Druck gesetzt. Überkapazitäten auf den Weltmärkten sind schon lange ein Thema, verbunden mit Dumping-Preisen, mit denen insbesondere China seine Produkte auf den Markt drückt. Seitdem US-Präsident Trump seinen Handelsfeldzug über Zölle vorantreibt, suchen sich die Hersteller neue Märkte. Im Visier: Europa. Die Konsequenz des Umlenkungsprozesses: Stahlimporte in die USA sind im vergangenen Jahr um 13 Prozent gesunken, in die EU dagegen um elf Prozent gestiegen. Der Anstieg hätte noch deutlicher ausfallen können, hätte sich die EU nicht mit sogenannten Safeguard-Maßnahmen zur Wehr gesetzt, um die Folgen einer unfairen Handelspolitik zu begrenzen. Demnach werden im Kern Importe, die über das bislang übliche Maß hinausgehen, mit Zöllen belegt. Vor genau drei Jahren hatte der damalige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) (beim zweiten „Stahlgipfel" im Saarland) EU-Maßnahmen gegen Dumping-Importe als „Durchsetzung eines fairen Wettbewerbs" bezeichnet.
Staatshilfe für Überlebenskampf
Damals waren auch die Belastungen der Stahlindustrie aus dem EEG (Erneuerbare Energiegesetz) sowie dem Emissionshandel Thema. Es bringe nichts, wenn harte Auflagen dazu führten, dass Arbeitsplätze in Länder abwanderten, wo Umweltauflagen nicht so streng sind, wurde in der Politik bereits damals unisono betont.
Heute, drei Jahre später, hat sich an dieser Argumentation nichts geändert, im Gegensatz zu den Rahmenbedingungen, sowohl auf EU- wie auch auf nationaler Ebene. Saar-Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger kritisiert in der aktuellen Krise, man habe es in Brüssel „nicht mit einer in sich stimmigen Politik" zu tun, und spricht damit das Auseinanderlaufen von Klimaschutz- und Industriepolitik an. Das ist aber auch in Deutschland auszumachen, wie die Reaktion auf Forderungen nach massiver Bundeshilfe für den Weg zu einer CO2-neutralen Stahlproduktion deutlich gemacht hat. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier warf Rehlinger vor, „pauschale Forderungen nach Geld" seien „in keiner politischen Debatte mehrheitsfähig". Im Übrigen, so führende CDU-Politiker, sei fürs Geld Finanzminister Olaf Scholz (SPD) zuständig. Kurz darauf fordert Ministerpräsident Tobias Hans in einem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (beide CDU) Milliardenhilfen für sauberen und innovativen Stahl Made in Germany. Wer 40 Milliarden für den Ausstieg aus der Kohleverstromung habe, der müsse auch Geld dafür haben, die Stahlindustrie „in eine klimaneutrale Zukunft zu führen", sagte Hans im Saarländischen Rundfunk.
Innerhalb weniger Tage war aus der Hiobsbotschaft um einen massiven Verlust von Stahlarbeitsplätzen an der Saar ein brisantes Politikum auf Bundesebene geworden. Außenminister Heiko Maas besuchte die Stahlarbeiter, auch Altmaier selbst traf sich mit Betriebsräten und Gewerkschaften. Die Dillinger Hütte liegt schließlich im Wahlkreis der beiden Spitzenpolitiker. Man sei sich einig gewesen, dass Stahl „systemrelevant" sei, hieß es auf Gewerkschaftsseite. Das Schlüsselwort führte seinerzeit zu milliardenschweren Rettungsaktionen im Bankensystem. Was „systemrelevant" ist, muss mit aller Kraftanstrengung vor dem Untergang gerettet werden.
Die Stahlindustrie „fit zu machen", wie es der Bundeswirtschaftsminister vorhat, wird allerdings einige Anstrengungen erfordern, politische, finanzielle und technologische. Eine CO2-neutrale Stahlproduktion ist offenbar technologisch möglich, aber nicht zum Nulltarif zu haben. Für eine nachhaltige Stahlproduktion setzen Dillinger Hütte und Saarstahl in zwei Hochöfen in Dillingen erstmals auf Wasserstoff, um eine deutliche CO2-Minderung zu erreichen, teilte Saarstahl im Mai mit und kündigte Millioneninvestitionen an. Die Hochöfen der gemeinsamen Tochtergesellschaft Rogesa gehörten nach erheblichen Investitionen in den vergangenen Jahren ohnehin „zu den modernsten und leistungsfähigsten Hochöfen in Europa", betonte Martin Baues, technischer Vorstand.
Über die Höhe notwendiger Investitionen in der gesamten Stahlindustrie, um ehrgeizige Klimaziele zu erreichen, schwanken die Angaben. Thyssen-Krupp, die derzeit in einem von vier Hochöfen in Duisburg Kohle durch Wasserstoff ersetzen, rechnet beispielsweise mit Investitionen von zehn Milliarden Euro, um das Ziel einer nahezu CO2-freien Stahlproduktion bis 2050 zu erreichen. Premal Desai, Finanzvorstand, spricht von einer „Operation am offenen Herzen".
Transformation braucht saubere Energie
Die Bundesvereinigung Stahl rechnet bei der Transformation mit Investitionen „im zweistelligen Milliardenbereich" und nennt eine Hausnummer von 30 Milliarden Euro. Für Forschung, Innovationen und großtechnische Umsetzungen sowie Markteinführung bedürfe es „erheblicher staatlicher Unterstützung".
Hinter einer solchen Transformation stellt sich aber auch eine erhebliche Anforderung für den Energiebereich. Thyssen-Krupp, der ein „grüner" Konzern werden will, hält wenig von einer CO2-Steuer oder ähnlichen Belastungen, fordert vielmehr für den Umbau sinkende Energiepreise. „Für die Herstellung von Wasserstoff, der fossile Gase ersetzt, brauchen wir Strom aus erneuerbaren Quellen, viel Strom", sagt Reinhold Achatz in der Wirtschaftswoche. Er ist zuständig für Innovations- und Nachhaltigkeitsthemen im Konzern.
Die Wirtschaftsvereinigung Stahl schreibt in einem Positionspapier im Mai dieses Jahres: „Die Stahlindustrie in Deutschland steht zum Pariser Klimaschutzabkommen". Derzeit liegt der Anteil der Stahlindustrie bei etwa vier Prozent der Emissionen in Deutschland. Eine CO2-neutrale Produktion könne „bis 2050 technisch erreicht werden", allerdings müssten dazu einige Voraussetzungen geschaffen werden. Dazu zählt der Verband in einem „Beitrag der Stahlindustrie zu einer klimaneutralen Wirtschaft in 2050" unter anderem den enormen erhöhten Strombedarf (samt notwendiger Infrastruktur), der – wenn das alles Sinn machen soll – aus erneuerbaren Quellen gedeckt werde soll. Wollte man den errechneten zusätzlichen Bedarf von etwa 130 Terawattstunden/Jahr mit Windkraft erzeugen, würde das einen deutlichen Zubau von Anlagen (etwa 40 Prozent) erfordern. Arcelor-Mittal plant ein Wasserstoffprojekt in Hamburg und rechnet für die Produktion von einer Million Tonnen Rohstahl mit einem Stromverbrauch von 3.100 Gigawattstunden. Das entspricht einer Leistung von 175 Windrädern. Im Übrigen müssten für eine CO2-arme Stahlerzeugung Erd- und Kuppelgase durch 3,5 Mrd. Kubikmeter Biogas ersetzt werden.
Dass die Zukunftssorgen von Stahlbeschäftigten und den Klimaaktivisten von „Fridays for Future" keineswegs Gegensätze sein müssen und eines gegen das andere ausgespielt werden muss, zeigten Beteiligte auf beiden Seiten. Beim großen Klimastreik (20. September) beteiligten sich nicht wenige aus der saarländischen Stahlindustrie an der unerwartet großen Demonstration in der saarländischen Landeshauptstadt. Quasi zum „Gegenbesuch" rief die Fridays for Future-Hochschulgruppe gut zwei Wochen später zur Teilnahme an der Demo der Stahlarbeiter vor dem saarländischen Landtag auf. Es könne nicht sein, „dass das Fehlen einer akzeptablen Industrie- und Umweltpolitik in den letzten Jahren nun auf Kosten der Arbeitnehmer*innen ausgetragen wird", hieß es in einem Facebook-Aufruf zur Unterstützung einer „sozial-ökologischen Wende". Der Rohstoff Stahl nehme schließlich „in der Energie- und Verkehrswende eine Schlüsselrolle ein".