In Ballungszentren explodieren die Mieten. Trotzdem tun sich viele Städte schwer damit, bestehende Viertel nachzuverdichten. Ein Pilotprojekt in Frankfurt zeigt, wie es funktionieren kann.
Kräne, Bagger, Baugerüste: In der Platensiedlung in Frankfurt am Main bleibt in diesen Tagen kein Stein auf dem anderen. Überall sind Bohrmaschinen und Hämmer zu hören, Fertigteile schweben durch die Luft, Schutthaufen stapeln sich am Straßenrand. Das Viertel, das in den 50er-Jahren für Angehörige der amerikanischen Streitkräfte errichtet wurde, durchlebt derzeit den größten Umbau seiner Geschichte. Fast 700 neue Wohnungen entstehen in der Platensiedlung – Wohnraum, der in der wachsenden Metropole dringend benötigt wird.
Was nach einem normalen Bauvorhaben klingt, zeichnet sich gleich durch mehrere Besonderheiten aus. So wird knapp die Hälfte der neuen Wohnungen auf bestehende Häuser aufgestockt. Dafür kommen die Schrägdächer der dreigeschossigen Wohnblöcke weg und werden durch zwei neue Etagen ersetzt. Damit die Statik mitspielt, bestehen die neuen Wohnungen aus vorgefertigten Holzmodulen. Diese werden ganz in der Nähe, in einer sogenannten Feldfabrik, zusammengebaut und direkt zur Baustelle geliefert. Am Ende werden die aufgestockten Häuser wieder verputzt, sodass man die neuen Etagen kaum wahrnimmt.
„Wir wollten die Aufstockungen von außen so wenig wie möglich zeigen", erklärt Stefan Forster, der zuständige Architekt. „Die Häuser sollten am Ende nicht aussehen, als hätten sie Hüte auf." Solche Zusicherungen sind wichtig, denn Projekte wie die Platensiedlung sehen sich fast immer mit Widerständen konfrontiert. Selbst in Städten mit größter Wohnungsnot löst der Begriff „Nachverdichtung" vielerorts Ängste aus. „Alles, was den Status quo verändert, stößt auf Widerstand", meint Forster. „Alle lieben Kinder, aber bitte keinen Kindergarten in der Nähe meiner Wohnung."
Trotz Wohnungsnot: Nachverdichtung sorgt für Ängste
Auch in Frankfurt gab es Diskussionen, als es um die Aufstockung der Platensiedlung ging – immerhin das größte Nachverdichtungsprojekt Deutschlands. Die SPD, die den Oberbürgermeister stellt, war lange dagegen. Auch unter den Anwohnern rumorte es merklich, was dem Architekten bis heute missfällt. „Die immer gleichen Einwände gegen Nachverdichtung kann ich langsam nicht mehr hören", so Forster. „Die gleichen Menschen, die sich hier über unsere vermeintlich hohe Dichte aufregen, fahren nach Paris und sind dort beseelt von der dichten Atmosphäre." Und überhaupt: „Es kann nicht sein, dass dieselben Leute, die fünf Euro pro Quadratmeter zahlen, anderen verbieten wollen, genauso zu wohnen. Das ist elitär."
Es sind Argumente, die man alle schon mal gehört hat. Die einen fürchten Lärm, Mieterhöhungen und Profitgier; die anderen suchen dringend eine neue Wohnung. In vielen Städten spitzt sich der Streit um Baugebiete zu, Bürgerinitiativen werden gegründet, Bürgerentscheide angestrebt. Am Ende scheitern Nachverdichtungen oft am Widerstand der Anwohner. Alain Thierstein, Professor für Raumentwicklung an der TU München, bringt die Sache auf den Punkt: „Wenn Sie 15 Monate nach einer Wohnung gesucht haben, sind Sie nicht geneigt, den Wohnraum mit noch mal Neuzugezogenen zu teilen." Es gebe nur eine Möglichkeit, die Bevölkerung für neue Projekte zu gewinnen: frühzeitig informieren, immer und immer wieder.
Genau diesen Schritt versucht man in Frankfurt. Der Bauträger, die städtische Wohnungsbaugesellschaft ABG Frankfurt Holding, entschloss sich zu weitreichenden Zugeständnissen gegenüber den Bestandsmietern. Diese sollen nicht nur fortlaufend über den Projektstand informiert werden, sondern die Bauzeit – etwa ein halbes Jahr pro Haus – möglichst gut überstehen. Dazu erhielten alle Wohnungen zunächst neue Fenster. Wer möchte, kann während der heißen Bauphase in eine Ersatzwohnung ausweichen. Alle anderen dürfen in ihren Wohnungen bleiben, denn die Leitungen der neuen Etagen werden bewusst außen verlegt. Auch zahlen die Bewohner während der Bauarbeiten deutlich weniger Miete. Das Wichtigste aber: Wenn alles vorbei ist, soll niemand mehr zahlen als zuvor.
„Natürlich ist eine solche Baustelle mit Lärm und Schmutz verbunden", räumt ABG-Geschäftsführer Frank Junker ein. „Das sagen wir auf Veranstaltungen auch offen und ehrlich." Allein schon die Einbeziehung der Mieterinnen und Mieter habe viel bewirkt, beteuert Junker. Und sicherlich auch die Mietgarantie. Aktuell liegen in der Platensiedlung die Bestandsmieten zwischen 4,60 Euro und 7,80 Euro pro Quadratmeter. In den neuen Etagen werden sich die Mieten zwischen 5,50 Euro und 10,50 Euro bewegen, je nach öffentlicher Förderung. „Dabei würde der Markt heute locker 15 bis 20 Euro hergeben", sagt Junker. „Aber wir haben eben auch eine soziale Verantwortung."
Bewohner frühzeitig eingebunden
Solche Aussagen hört Mike Josef gerne. Der Frankfurter Planungsdezernent und SPD-Vorsitzende räumt offen ein, dass es in seiner Partei viele Vorbehalte gegen die Nachverdichtung gab. „Der Klärungsprozess hat sich lange hingezogen", sagt Josef, „aber er war wichtig." Dass die Mieten nicht erhöht werden, habe ihn letztlich überzeugt. Kann die Platensiedlung also als Vorbild für andere Nachverdichtungsprojekte dienen, womöglich bundesweit? Der Planungsdezernent zögert. Zwischen 20.000 und 30.000 Wohnungen fehlten derzeit allein in Frankfurt. „Trotzdem können wir nicht jeden Hinterhof zubauen." Immerhin: Zwischen 7.000 und 10.000 Wohnungen kämen für die Innenraum-Entwicklung infrage.
160 Millionen Euro soll die Nachverdichtung der Platensiedlung inklusive der ebenfalls geplanten Neubauten nach aktuellem Stand kosten. Bis Ende 2020 ziehen sich die Arbeiten voraussichtlich noch hin. Danach soll die Siedlung, so zumindest verspricht es der Bauherr, nicht nur größer, sondern deutlich lebenswerter sein als bisher. Auch neue Gebäude sind vorgesehen: Sie entstehen auf den Grasflächen zwischen den Häusern, die bislang hauptsächlich zum Wäschetrocknen genutzt wurden. Ein Teil des Grüns soll trotzdem bleiben und sich in „gemeinschaftlich nutzbare Höfe" verwandeln. Die Holzmodule, die in der „Feldfabrik" entstehen, kommen allerdings nur bei den Aufstockungen zum Einsatz. Auch mit der typisch amerikanischen Siedlungsidylle – reines Wohnen, keine Einkaufsmöglichkeiten – soll demnächst Schluss sein: Die Häuser, die am Rand der Siedlung liegen, erhalten Geschäfte und Kindergärten, um den erwarteten Mehrbedarf zu decken.
Viel Grund zur Vorfreude also, könnte man meinen. Tatsächlich sind einige Bestandsmieter aber weit weniger euphorisch, als es sich die Bauplaner erhoffen. Zwei zufällig auf der Straße getroffene Einwohner zeigen sich jedenfalls ernüchtert. Diana Glekler findet die Baustelle „anstrengend, laut und stickig". Die 27-Jährige, die mit ihrer zweijährigen Tochter in der Siedlung wohnt, wünscht sich mehr Rücksicht gegenüber den Anwohnern. „Ich finde es gut, dass gebaut wird. Aber der Teergeruch ist so stark, dass ich nicht mal mehr die Fenster öffnen kann. Außerdem brennt auf der Baustelle nachts immer Licht."
Die Mieten sind auch nach dem Ausbau garantiert
Mohammed Boushaba, ein 47-jähriger Familienvater, ist ebenfalls unzufrieden. „Ich war sechs Jahre auf der Warteliste, bevor ich hier eine Wohnung bekommen habe", sagt der Mieter. „Jetzt ist es laut und dreckig. Ständig fallen Steine vom Gerüst, sogar auf die Windschutzscheibe meines Autos." Boushaba bezweifelt, dass die Infrastruktur mit den neuen Wohnungen mitwächst. Schon jetzt gebe es nicht genug Kindergartenplätze; auch die Kinderärzte seien überlastet. Für ihn und seine Familie bedeuteten die Bauarbeiten vor allem Stress, sagt der Mieter. Dann schaut er zur Straße hinüber, wo ein Betonmischer gerade einbiegt. „Aber wer weiß, vielleicht sehe ich das in zwei Jahren ganz anders."