Als „Joker" begibt sich Darsteller Joaquin Phoenix auf einen Schauspiel-Pfad voller Tradition und schafft es, seine Vorgänger noch zu toppen. Abgrundtief düster hingegen ist die Story um einen Clown, der selbst so gar nichts zu lachen hat und sich seinem Wahn hingibt.
Ist der Clown wirklich nur unterhaltsame Gesellschaft, bis er auf dem Thron sitzt?", wie es der tschechische Aphoristiker Pavel Kosorin bitterlich beklagte? Hier leider ja. Vom ersten Bild an wird der Zuschauer im großen Kinosaal mit bedrückender Filmatmosphäre konfrontiert: Wir sehen die Welt, den Moloch Gotham City im Jahr 1981 aus der Perspektive des psychotischen Arthur Fleck (Joaquin Phoenix), dessen große Träume von einer Stand-up-Komiker-Karriere frühzeitig begraben werden und wie die meisten muss er sich irgendwie, irgendwo anders über Wasser halten. Arthur arbeitet beispielsweise als Werbeclown, um mit seiner pflegebedürftigen Mutter Penny (Frances Conroy) im düsteren Appartement zu überleben.
Das Leben als einzige Tragödie
Glücksaugenblicke empfindet er nur, wenn er andere zum Lachen bringen kann, insbesondere Krankenhaus-Kids. Sein Schicksal ist in dieser Welt besiegelt – ohne Würde und Mitleid lebt er vor sich hin, wird immer unberechenbarer: Arthur werden wichtige Medikamente verwehrt, sein pathologisches Lachen provoziert eine Gang Jugendlicher, den sonderbaren „Loser" zu verprügeln. Seine Geisteskrankheit wird durch die ständigen Demütigungen immer schlimmer. Der vom Kollegen gespendete Revolver fällt ihm ausgerechnet im Hospital aus der Jacke. Arthur verliert deshalb den Job, der ihm noch am meisten Freude gespendet hat. Die Hiobsbotschaften erreichen den eruptiven Siedepunkt, als er erfährt, dass er als Adoptivkind gar nicht der eheliche Sohn seiner geliebten Mutter ist. Doch damit nicht genug: Seine kleine, schäbige Welt wird zur tiefschwarzen Dauerdepression, zum Teufelskreislauf. Schauplatz ist wieder die U-Bahn: Hier wird er von drei Wallstreet-Yuppies aus Gotham angegriffen, als er einer wehrlosen Frau, die übel belästigt wird, helfen will.
Arthur zückt seinen Revolver und erschießt das von Empathie befreite Idiotentrio. Damit ist seine eigene gewaltbereite Abwärtsspirale, sein unentrinnbarer Eintritt in die Liga der Liquidatoren prädestiniert …
Wer war oder ist der beste unheimliche Clown im Comic-Universum, der sich „Joker" nennt? Urgestein Jack Nicholson im Jahr 1989? Der 2009 posthum mit dem Oscar als bester Nebendarsteller belohnte Australier Heath Ledger? Nein, Joaquin Phoenix steigt auf das schön-schreckliche Siegerpodest der nachhaltigen psychotischen Angsttraumata auf. Es ist unglaublich, wie dieses oscarreife Method-Acting-As einer Comic-Figur derart polarisierende Perfektion und abgründige Angst-Ambivalenzen verleihen kann. Nicht ohne reale Schmerzen. Knappe 25 Kilo hungerte sich der 44-jährige Golden-Globe-Preisträger aus Puerto Rico runter, um diesem schimärischen Schocker abgründige Authentizität zu verleihen. Clownfans werden sicherlich Nächte durchleiden oder gefährlich-geschmacklose Scherze mit anderen zum baldigen Halloweenauftakt treiben. Die europäisierte US-amerikanische Sitte ist von subtiler Angst, Unberechenbarkeiten und Heimtücke geprägt. Diese Attribute finden sich auch in diesem heiß ersehnten Kinospektakel wieder. „Auch, wenn Filme immer ein Abbild und Spiegelbild der gewaltbereiteren und grausameren Gesellschaft" geworden sind, wie Komödien-Spezialist Todd Phillips („Hangover", 2009, „War Dogs", 2006) beweist und eben dies nach über acht Minuten langen Standing Ovations im vergangenen August bei Publikum und Fachpresse nach der Verleihung des Goldenen Löwen in Venedig erklärte.
Im Nachtclub erntet er Spott
Ein besonderes Bonbon ist die nostalgische Besinnung auf das 70mm-Kinoformat, das ein Comeback feiert. So gut wie begraben, hatte dieses nostalgische Format von 1896 rein musealen Wert, bis wenige Filmemacher wie Christopher Nolan („Interstellar", 2014), Quentin Tarantino mit seiner Western-Ballerballade „The Hateful 8" (2015), Kenneth Branaghs mit seiner Agatha Christie-Adaption „Mord im Orient Express" (2017) und Werke wie das Normandie-Drama „Dunkirk" (2017) es aus der Versenkung holten. Nun erfreut Todd Phillips mit seiner „Joker"-Version die Fangemeinde und lässt den begnadeten Joaquin Phoenix brillieren. Dennoch sollte das Fazit lauten: „Wenn Lachen wirklich eine sehr gute Medizin ist, dann bleibt ein kindgerechter Clown der beste Arzt."