Seeed gelten als eine der einflussreichsten Bands aus Deutschland. Mit einer entspannten Mixtur aus Pop, Reggae, Dancehall, Rap und Afrobeats hat die Berliner Multikulti-Formation die Bundesrepublik lockerer gemacht. „Bam Bam" heißt das aktuelle Album. Vokalist und Songschreiber Pierre Baigorry alias Peter Fox (48) im Interview.
Peter, „Bam Bam" ist das erste rein deutschsprachige Seeed-Album. War das eine bewusste Entscheidung?
Ja, das war eine bewusste Entscheidung. Wir sind eine Berliner Band, Deutsch ist von fast allen Seeed-Mitgliedern die Muttersprache. Vor allem sollte es ein kompaktes Album sein und auf den Punkt kommen. In mehreren Sprachen ist das schwierig hinzukriegen.
Sind Sie mit einer bestimmten Vision ins Studio gegangen?
Eigentlich nicht. Wir wollten nur möglichst bei dem bleiben, was wir am besten können: urbane, tendenziell mit Reggae und Dancehall infizierte Musik. Wir wollten eher keine Balladen- oder Jazz-Ausreißer oder Stücke mit Rockgitarre dabei haben und uns auf unsere Kernkompetenz konzentrieren.
Die Songs sind teilweise mit befreundeten Musikern wie Trettmann, Sway Clarke, Deichkind und Daniel Stoyanov von der Band Malky entstanden. Wie sehr brauchen Sie frisches Blut?
Frisches Blut ist immer gut. Jeder, der eine gute Idee hat und sie gern bei Seeed mit reinbringen möchte, ist herzlich willkommen. Wichtig ist, dass wir am Ende gute Songs zustande kriegen. Dafür ist uns jedes Mittel recht.
Was verbindet Seeed zum Beispiel mit Deichkind?
Wir waren früher bei derselben Plattenfirma, haben dadurch eine lange gemeinsame Geschichte und schätzen einander. Unsere Proberäume befinden sich außerdem im selben Haus, weshalb wir uns eh häufiger über’n Weg laufen. Auf unserem Album gibt es ein Feature von Deichkinds Porky.
Seeed wurden dafür abgefeiert, dass sie Deutschland ein bisschen lockerer und entspannter machen. Wie entspannt ist Deutschland im Jahr 2019?
Früher wurden wir dafür abgefeiert, dass wir deutsche Musik lockerer gemacht haben. Dann kam irgendwo mal der Vorwurf auf, warum wir nicht mehr politische Songs schreiben. Beides zusammen ist aber sehr schwierig. Ich würde schon sagen, dass Deutschland etwas lockerer geworden ist. Aber das kann man eigentlich nicht verallgemeinern. Berlin-Kreuzberg ist zum Beispiel eine eigene Blase und nicht vergleichbar mit den Rändern von Sachsen-Anhalt. Und im Alpenvorland ist es auch ganz anders als in Hamburg oder im Ruhrpott. Aber früher durch MTV und noch mehr, seit in den letzten zehn Jahren US-Hip-Hop einfach die Weltmusik der Jugend geworden ist, hat sich eine gewisse amerikanische Lässigkeit verbreitet.
Woran machen Sie das fest?
Die deutschen Kids können heute oft besser tanzen oder singen als in den 80er- oder 90er-Jahren. Außer Pogo und ein bisschen Rumhampeln war da nicht viel. Ob das Deutschland gleich lockerer oder besser gemacht hat, darüber kann man streiten. Deutschland ist heute allgemein sicher nicht mehr so deutsch wie in den 60ern. Doch auch die Gegentendenzen werden stärker. Ich würde sagen, Deutschland ist einerseits lockerer und andererseits unlockerer geworden. Wobei ich glaube, dass viele, die die AfD wählen, nicht unbedingt etwas gegen deutsche Kinder haben, deren Vater aus Guinea kommt, sondern eher gegen Einwanderer aus dem Libanon oder Syrien.
In „Love Courvoisier" heißt es „So much Love für Angela". Eine versteckte Hommage an die Kanzlerin, die 2015 gesagt hat: „Wir schaffen das!"?
Nein, das ist keine Hommage, dann hätten wir den Namen deutsch ausgesprochen, Angela hat einfach die richtige Silbenanzahl. Daniel Stoyanov, der diesen Vers singt, kommt mit uns auf Tour. Wir haben ja durch Dembas Tod nicht nur einen Freund, sondern auch einen herben Verlust am Mikrofon erlitten. Wir wollten und können Demba aber nicht eins zu eins ersetzen. Deshalb machen Frank und ich die Leadvocals jetzt hauptsächlich zu zweit. Aber mit Daniel Stoyanov und Eric Alain Wilson haben wir zusätzlich zwei tolle Gastsänger dabei, die uns mit Chor und teilweise auch solo unterstützen.
Sie sind inzwischen alle über 40 und haben immer noch sehr viele, sehr junge Fans. Haben Sie das Gefühl, sich soundmäßig verjüngen zu müssen?
Nein, wir müssen gar nichts. Aber wir hatten immer die Bestrebung, uns nicht ständig zu wiederholen. Natürlich greifen wir auf bewährte Stilistiken zurück, die uns gut stehen, aber ich finde es wichtig, neue Einflüsse zu suchen. Deshalb mache ich auch außerhalb der Band Sachen, die wiederum bei Seeed mit einfließen. Man sollte dem Zeitgeist nicht hinterherrennen, ihm gegenüber aber auch nicht blind sein.
Gemeinsam mit dem aus Toronto stammenden R’n’B-Sänger Sway Clarke haben Sie das Duo Ricky Dietz gegründet und bislang zwei Songs veröffentlicht. Sie waren nicht nur in Berlin, sondern auch in der nigerianischen Hauptstadt Lagos im Studio. Hat sich das auch auf Seeed niedergeschlagen?
Ich habe aus Lagos Beats mitgebracht, zum Beispiel für den Song „Ticket" auf unserem Album. Der nigerianische Pop ist ja in den letzten Jahren sehr groß geworden. Ich kenne auch den Afro-Jazz aus den 70ern und 80ern. Eines der allerersten Konzerte, die ich als Teenager gesehen habe, war von Manu Dibango. Aber jetzt höre ich eher moderne afrikanische Musik.
In dem animierten Musikvideo „Lass sie gehen" reitet die Band auf Riesenratten und verlässt in Raumschiffen einen unwirtlichen Planeten. Welches Lebensgefühl kommt in dem Clip zum Ausdruck?
Ein sehr melancholisches, würde ich sagen. Das Video hat aber mit dem Text nicht viel zu tun, der von einer Trennung handelt. Es verleiht dem Lied eine zweite Ebene. Ich hoffe, der Clip spricht für sich.
Sind Sie noch optimistisch, was die Zukunft angeht?
Ich bin immer optimistisch, aber auch realistisch. Ich registriere, dass die Turbulenzen zunehmen. Wir haben uns an den Wohlstand und an ein Deutschland mit starker Mittelklasse gewöhnt. Das wird aber immer mehr erschüttert werden durch globale Entwicklungen und den Leidensdruck, den andere Völker in anderen Ländern haben. Die wollen auch in Freiheit und Wohlstand leben. Alles hängt mit allem zusammen, und die Politik muss sich jetzt überlegen, ob es so schlau ist, immer zuerst die eigenen, kurzfristigen Interessen zu betrachten oder ob sie noch viel globaler denkt und vor allem handeln sollte. Auch in den Politiksendungen im Fernsehen wird nur wenig über globale Zusammenhänge gesprochen. Wenn, dann nur, wenn es unmittelbare Bedrohungen für Deutschland gibt. Das ist zwar menschlich, aber nicht zukunftsorientiert.
Künstler nutzen die Öffentlichkeit zunehmend, um auf politische Themen aufmerksam zu machen oder für den Klimawandel einzutreten. Ist das auch eine Option für Ihre Texte?
Das mache ich ja hin und wieder. Aber in erster Linie hat Musik mit Emotionen zu tun und soll den Hörern ein gutes Gefühl geben. Realpolitik in Songtexten sorgt aber meistens für kein gutes Gefühl (lacht). Deshalb trenne ich das meist lieber und mache, so wie letztes Jahr, einen politischen Podcast.
In „Komm in mein Haus" heißt es: „Der König ist tot / lang lebe der Clown / und bauen einen Zaun". Ein Seitenhieb auf Donald Trump und andere Autokraten?
Es ist ein allgemeines Phänomen, das solche Figuren eine Show machen und sich dabei nicht mit Fakten und realistischen Konzepten herumschlagen wollen. „Komm in mein Haus" ist zu einer Zeit entstanden, als das Flüchtlingsthema ganz groß war. Aber der Song geht darüber hinaus und meint, dass man immer eine offene Tür und Ohren haben sollte, um mit anderen in Kontakt zu kommen. Er richtet sich genauso an AfD-Wähler wie an syrische Asylanten.
Leben Sie als Band diese Idee von Gastfreundschaft?
Ja klar. Dieser Austausch ist wichtig und nur so kann Kultur, gerade Musik, sich weiterentwickeln.
Auf dem Albumcover sind zehn Dynamitstangen abgebildet. Die Lunte brennt bereits. Leben wir in einer explosiven Zeit?
Das sollen eigentlich keine Dynamitstangen sein, sondern Pfennigschwärmer! Sie stehen für die zehn Bandmitglieder. Weiter will ich das nicht erklären. Es ist jedenfalls kein politisches Statement.
„What A Day" ist ein Song, den Demba Nabé lange vor seinem Tod im Mai 2018 aufgenommen hat. Wo haben Sie die Aufnahme gefunden?
Wir haben ein paar seiner unveröffentlichten Songs noch einmal durchgehört. Demba hat den Song zusammen mit einem Freund aus dem Bandumfeld gemacht, Robert Phillip. Es war ein rohes Demo, aber wir fanden es sehr gut und haben nicht mehr viel dran gemacht. Wir wollten, dass er auf dem Album noch einmal vertreten ist.
Wie fühlen sich die neuen Songs live an?
Es wird fett!
Seeed besteht aus zehn Leuten. Wer trifft in musikalischen Fragen eine Entscheidung, wenn sich keine klare Mehrheit in der Band herauskristallisiert?
Es bildet sich meistens eine klare Mehrheit heraus. Das ist der Vorteil bei so vielen Leuten. Es kommt auch immer drauf an, zu welchem Zeitpunkt solch eine Diskussion aufkommt. Es läuft bei uns jedenfalls nicht immer gleich ab.
Was unterscheidet eine sehr gute von einer guten Band?
Oh Mann, das weiß ich nicht. Es gibt Bands, die leben ganz stark von der Spannung, die intern herrscht. Sehr unterschiedliche Charaktere, die in verschiedene Richtungen zerren, können eine große Energie freisetzen. Genauso kann auch ein starker Zusammenhalt eine große Kraft sein. Bei uns gibt es Anteile von beidem. Demba fehlt jetzt ganz klar, weil er seinen eigenen Kopf hatte und nur er bestimmte Aspekte einbringen konnte. Dadurch klingen wir nun einen Tick homogener und hoffentlich nicht langweiliger.
Voriges Jahr schrieben Sie vier Instrumentalstücke für Detlev Bucks Film „Asphaltgorillas" sowie zwei Songs mit dem Duo Ricky Dietz. Werden Sie weiter Nebenprojekte verfolgen?
Ja. Ich muss aber nicht ständig singen, weil irgendwann auch mal gut ist. Ich finde auch das Produzieren, Videos drehen und noch mehr Dinge spannend. Irgendwann muss man auch Platz machen für jüngere Leute. Oder man wird einfach knallhart verdrängt (lacht).
Wird es je wieder ein Peter-Fox-Album geben?
Nein. Das war schon damals klar und daran hat sich bis heute nichts geändert. Aber auf der Seeed-Tour werden bestimmt zwei Peter-Fox-Songs vorkommen.
Worauf legen Sie Wert beim Schreiben? Was soll besonders gelingen?
Die Songs müssen ehrlich sein. Das hat beim Schreiben im Lauf der Zeit immer mehr zugenommen. Es muss nicht immer eine große Wahrheit sein, aber ich muss dahinterstehen können.
Welches Thema hat Sie in letzter Zeit besonders berührt?
Mit dieser Platte habe ich so langsam alles gesagt. Deshalb ist es gut, dass andere Leute singen. Ich habe nicht das Bedürfnis, zu allem etwas zu sagen. Musikmachen und das Live-Spielen machen mir Spaß. Dafür brauchen wir neue Songs. Ich will nicht mit angestaubten Hits durch die Gegend fahren. Allein deswegen war es wichtig, ein neues Album zu produzieren. Die Themen entstehen eigentlich erst beim Songmachen und beginnen meist mit einer bestimmten Zeile. Es sind eigentlich immer dieselben Sachen, aber es kommt drauf an, wie man sie verpackt. Und sie müssen einen Vibe haben.
Im Pressetext wird „Bam Bam" als Popmusik mit Berliner Attitüde beschrieben. Was verstehen Sie darunter?
Ich weiß nicht genau, wie der Schreiber das gemeint hat, aber es klingt doch gut. Man sagt, Berliner seien geradeheraus. Vielleicht ruppig und unfreundlich. Dieses Klischee stimmt auch ein bisschen. Bei Berlinern gibt es nicht viel Schönrederei. Obwohl: Ist damit eine Kreuzberger Hipster-Attitüde gemeint oder die leicht motzige Berliner Schnauze?
Wie hat sich Ihr Leben in Berlin in den letzten sieben Jahren verändert?
Man wird älter und macht sich mehr Gedanken über alles. Ich bin niemand, der sich gradlinig weiterentwickelt. Jetzt erlebe ich gerade eine totale Musikphase und kümmere mich gleichzeitig um Seeed und Ricky Dietz. Mit ganz viel Gequatsche über Konzepte und Videos. Davor habe ich mich drei Jahre lang eher mit Podcasts oder Möbelbau beschäftigt.
Wie viel arbeiten Sie?
In letzter Zeit habe ich irre viel gearbeitet, um alles zu bewältigen. Man muss ja Deadlines einhalten, weshalb die Arbeitstage automatisch länger werden. Davor hatte ich eine Phase, in der ich weniger oder auch mal ein paar Tage gar nicht gearbeitet habe. Ich glaube, ich führe ein relativ typisches Künstlerleben.
Kommt nach der Seeed-Tour das erste Album von Ricky Dietz?
Mal sehen. Mit Ricky Dietz bringen wir eher Songs Stück für Stück heraus. Wir werden sicher merken, wenn es Zeit wird für ein Album. Ich vermute, es wird dann auch eine eigene Tour geben.