Eine Woche versuchten Aktivisten der Gruppe Extinction Rebellion Berlin lahmzulegen. Die Bilanz ist mittelprächtig: Die erhoffte Unterstützung blieb weitgehend aus. Extinction Rebellion macht mit friedlichem Ungehorsam auf den drohenden Klimakollaps und das massive Artensterben (Extinction) aufmerksam.
Mit Mühe und Not schafft die 24-jährige Tabea Hansen dann doch noch ihren Zug am Samstag nach der Aktionswoche, 11.28 Uhr, ICE 599 über Mannheim wieder heim nach Heidelberg. Nach sechs Tagen hat die junge Frau endlich mal wieder einen weichen Sitz in einem warmen Raum für sich. Die Klimaaktivistin hat eine Woche auf den Berliner Straßen gehaust, hat drei Tage dem Regen getrotzt, morgens bei drei Grad Außentemperatur. „Aber das war die Sache wert, wir haben zumindest die Berliner Innenstadt vier Tage total blockiert", gibt sich Tabea mit ihrem Werk zufrieden.
Doch jetzt hat sie erstmal die Nase voll vom Klimaprotest. Denn eines muss sich die Heidelbergerin dann doch eingestehen: Von breiter Solidarität durch andere Umweltgruppen war wenig zu spüren, ganz zu schweigen von medialer Unterstützung. Die Umweltaktivisten hatten ursprünglich fest damit gerechnet, dass ihnen vor allem von den öffentlich-rechtlichen Radio- und Fernsehstationen großes Interesse zuteil werde – wie bei den Auftritten von Fridays for Future. Doch diese positive Aufmerksamkeit blieb hier weitestgehend aus. Ganz im Gegenteil, da wurde viel über Staus und Verkehrschaos berichtet und weniger über den Sinn und den Hintergrund der einzelnen Aktionen der Klima-Rebellen.
Das muss auch Thomas Nier einräumen. Der 37-jährige Videoproduzent aus München hat die Tage über per Videostream die nötige Öffentlichkeit von Extinction Rebellion im Internet hergestellt, war rund um die Uhr mit seinem Smartphone im Einsatz, vor allem an der Siegessäule. Den Höhepunkt der „Anti-Berichterstattung", so Nier, schaffte dann das Berliner Inforadio des RBB am Dienstag, dem zweiten Tag der Sperrung des Großen Sterns im Berliner Tiergarten. Dort wird morgens zur besten Sendezeit der Berliner AfD-Parteichef Georg Pazderski zu den Klimaprotesten befragt. „Das wäre genau so, als wenn du einen Henker zur Abschaffung der Todesstrafe interviewst", ereifert sich Videofilmer Nier. Auch im Plenum des Klimacamps, direkt neben dem Kanzleramt, ist man über das Pazderski-Interview beim Inforadio entsetzt. „Das ist uns gegenüber einfach nur unfair, der AfD-Rechtsaußen durfte da losledern, frei nach dem Motto: Freie Fahrt für freie Bürger", so ein Plenummitglied aus dem Münsterland.
Grüne gehen auf Distanz
Doch es waren nicht nur diese medialen Tiefschläge, die man eigentlich eher von der „Bild"-Zeitung und nicht vom öffentlichen Rundfunk erwartet hätte. Eine Woche lang standen die Zelte des Klimacamps direkt gegenüber dem Bundestag, Fußweg keine zehn Minuten. Doch in der ganzen Woche ließ sich nicht ein Politiker aus dem Bundestag bei den Klimaaktivisten blicken. Was für die Mitglieder der Fraktionen von Union, FDP oder AfD ja nachvollziehbar ist. Doch zumindest von Bündnis 90/Die Grünen oder der Linkspartei hatte man einen Anstandsbesuch erwartet. Doch niemand ließ sich blicken. Gerade die Grünen scheinen mit den Klimarebellen extrem zu fremdeln, unter anderem wurde den XR-Aktivisten eine „sektenähnliche Struktur" unterstellt. Aber dass sich kein Politiker hat blicken lassen, mag auch daran gelegen haben, dass die Organisatoren von Extinction Rebellion den Zeitpunkt ihrer Aktionswoche sehr unglücklich gewählt haben. Zum einen waren Herbstferien und obendrein noch sitzungsfreie Woche im Bundestag.
Nicht einmal die Berliner Bundestagsabgeordnete Canan Bayram, die Direktkandidatin der Grünen aus Kreuzberg-Friedrichhain, schaute vorbei. Die 53-Jährige sei verhindert gewesen, hieß es aus ihrem Büro. Doch gerade für Bayram wäre es fast eine Pflichtveranstaltung gewesen, sich zumindest für eine Stunde mal blicken zu lassen. Immerhin gilt sie bei den Grünen als die Vorzeige-Linke und hat in ihrem Wahlkreis das politische Erbe von Urgestein Christian Ströbele angetreten. Dieser wäre zu seinen aktiven Zeiten wohl bestimmt in die Debatte mit den Aktivistin von Extinction Rebellion eingestiegen.
Einzig Berlins Innensenator Andreas Geisel musste sich als Chef der Polizei sozusagen hauptberuflich mit den Klimarebellen auseinandersetzen. Dabei verfolgte der SPD-Innensenator einen taktisch klugen Plan, sowohl in Hinsicht auf den rot-rot-grünen Koalitionsfrieden im Berliner Rathaus, als auch mit Blick auf die eigene politische Karriere. Geisel ließ zunächst die Klimaaktivisten gewähren und dehnte das Demonstrationsrecht ein wenig über Gebühr aus, wie Kritiker monierten. Denn der Innensenator wollte auf keinen Fall Gewaltbilder aus der Hauptstadt produzieren, schon gar nicht im Zusammenhang mit Klimaschutz. Dabei hatte Geisel obendrein den „Kameraden Wetter" als Verbündeten. Bei Regen und Temperaturen weit unter zehn Grad macht die schönste Klima-Blockade keinen Spaß. Ganz abgesehen davon, dass sich bei Schmuddelwetter der Zustrom von weiteren Besetzern in Grenzen hält. Und wenn man sich die Gesichter der Aktivisten bei der Räumung genauer anschaute, konnte man bei nicht wenigen so etwas wie Erleichterung erkennen, jetzt vielleicht doch noch irgendwo ins Trockene zu kommen. Für Innensenator Geisel hing offenbar das Tempo der Räumung blockierter Straßen und Plätze auch mit dem Medien-Echo zusammen. Hätte es einen großen Solidarisierungseffekt gegeben, wäre nicht so zügig geräumt worden, doch der „Fridays for Future"-Effekt blieb aus. Im Gegenteil, es ging nur noch um Stau und Verkehrschaos. Offenbar hatte man bei den Organisatoren völlig unterschätzt, welche Auswirkungen es hat, wenn man mit dem Klimaschutz tatsächlich ernst macht und massiv in das Alltagsleben der Menschen eingreift. Denn nicht nur massenweise Pkw standen im Stau, sondern auch viele Busse und Straßenbahnen. Das ging vielen Berlinern dann doch zu weit.