Die Eisbären Berlin haben in Lukas Reichel eines der größten Talente in ihren Reihen. Die NHL ist der große Traum für den Angreifer.
Lukas Reichel auf dem Eis zu erkennen, ist nicht besonders schwierig. Der 17-Jährige muss als Einziger bei den Eisbären Berlin aus Altersgründen noch eine Gittermaske tragen. Doch nicht nur deswegen fällt er auf. Seine Schlittschuhtechnik ist eine Augenweide, seine Stocktechnik hervorragend. Und sein Abschluss ist für einen Teenager richtig stark.
Nach acht Spieltagen führt der Jung-Stürmer mit drei Treffern die teaminterne Torschützenliste gemeinsam mit dem 14 Jahre älteren James Sheppard an. Das sagt viel über den schwachen Saisonstart des Rekordmeisters in der Deutschen Eishockey Liga (DEL) aus, aber eben auch über Reichels Riesentalent. Der Youngster spielt schon in seiner Premierensaison eine tragende Rolle bei den Eisbären. Doch ewig wird er beim Hauptstadtclub nicht bleiben, da sind sich alle Experten einig.
„Lukas besitzt unglaublich viel Talent. Er hat noch sehr viel Eishockey vor sich", sagt Nationalspieler Marcel Noebels über seinen blutjungen Teamkollegen: „Ich hoffe, dass er den großen Sprung schafft." Damit meint Noebels den Sprung über den Teich. Die NHL ist natürlich auch Reichels Ziel, und kaum jemand zweifelt daran, dass dieser Traum schon sehr bald Wirklichkeit wird. Die Unterstützung der Eisbären hat Reichel sicher. „Unser Ziel mit Lukas ist es, dass er gedraftet wird. Unser Traum wäre die erste Runde, aber wir wollen nicht zu viel Druck auf ihn machen", sagte Sportdirektor Stéphane Richer. Was zunächst etwas abgehoben klingt, ist auf den zweiten Blick gar nicht so unrealistisch. Reichel gilt unter den NHL-Spähern tatsächlich als ein Ausnahmetalent, das beim nächsten NHL-Draft im Sommer ganz vorne gezogen werden könnte.
Darauf hoffen auch andere „Millennium-Talente", die derzeit in der DEL und in den Nachwuchs-Auswahlteams für Aufsehen sorgen: Tim Stützle (17/Adler Mannheim), Justin Schütz (19/Red Bull München), John-Jason Peterka (17/Red Bull München). „Man sieht", sagt Reichel, „dass Deutschland ein guter Ort ist, um sich zu entwickeln." Die Talentscouts haben Reichel nicht erst seit dieser Saison auf dem Zettel, schon seine Auftritte im Juniorenbereich haben die NHL-Klubs auf ihn aufmerksam gemacht. Dass er nun im Profibereich fast nahtlos an diese Leistungen anknüpfen kann, macht ihn nur umso begehrter. Maxim Lapierre, der für Montreal, Anaheim, Vancouver, St. Louis und Pittsburgh knapp 700 NHL-Spiele bestritt und jetzt in Berlin an der Seite von Reichel stürmt, glaubt an eine rosige Zukunft des Toptalents. „Er ist vielleicht ein junger Spieler, aber in seinem Kopf ist er schon sehr reif", sagt der 34 Jahre alte Kanadier.
An Lapierre orientiert sich Reichel, er hört auf den erfahrenen Recken und nimmt sich dessen Ratschläge zu Herzen. „Er lernt schnell, du musst nichts zweimal sagen, er versteht alles sofort", verrät Lapierre. Das Ganze habe nur einen Haken, so Lapierre: Je besser Reichel in der DEL in Fahrt komme, desto schlechter komme er weg. „Es lässt mich ein bisschen alt aussehen, an seiner Seite zu spielen", sagt Lapierre: „Aber es macht Spaß."
„Er duckt sich nicht weg, er will vorankommen"
Reichels Bewegungen und Aktionen auf dem Eis sehen meist spielerisch einfach aus. „Dahinter steckt immer viel Arbeit", sagt er, aber: „Ich versuche, in jedem Training mein Bestes zu geben." Dahinter steckt aber auch viel Selbstvertrauen, das Trainer Serge Aubin ihm und anderen jungen Eisbären-Spielern schenkt. „Der Trainer vermittelt, dass er wirklich an uns glaubt", sagt Reichel.
Sein Ausnahmetalent hat sich Reichel aber nicht nur erarbeitet, es wurde ihm auch in die Wiege gelegt. Vater Martin spielte einst für die deutsche Nationalmannschaft, Onkel Robert gewann gar Olympiagold und drei WM-Titel mit Tschechien und war ein gefeierter NHL-Star. Dessen Sohn Kristian (21) spielt zurzeit in der AHL und ist nur noch einen Schritt von der NHL entfernt. „Ich war natürlich von klein auf mit Eis in Kontakt", sagt Lukas Reichel: „Ich wollte immer Eishockeyprofi werden."
Martin Reichel war es auch, der seinen Sohn zum Schritt weg von den Starbulls Rosenheim und seinem Zuhause hin zu den Eisbären und der Metropole Berlin geraten hat. „Er hat zu mir gesagt, dass die Eisbären ein guter Platz für junge Spieler sind und ich mich dort zeigen kann", verrät Reichel junior. Bei den Eisbären sammelt er nun reichlich Erfahrung auf höchstem nationalen Niveau. Vor allem beim Torabschluss war bei ihm zuletzt eine sichtbare Steigerung zu erkennen. Anfangs war Reichel noch nervös vor dem Tor, manchmal auch zu verspielt. Dieses Manko hat er weitestgehend abgelegt.
„Er wird seine Tore machen", ist sich Ex-Profi Stefan Ustorf, der jetzt bei den Eisbären für die Spielerentwicklung zuständig ist, sicher. Dabei sei der Rohdiamant „vom Typ her mehr ein Spielmacher als ein Torjäger". In der Tat beeindrucken die Technik und die Übersicht, über die Reichel mit gerade einmal 17 Jahren bereits verfügt. Doch allein auf sein Talent verlässt sich der gebürtige Nürnberger nicht. Reichel wird zwar vermutlich nie ein Kämpfer auf dem Eis, dafür sind seine läuferischen und technischen Fähigkeiten auch zu stark, aber er weiß sich mit seinen 1,83 Metern und 77 Kilogramm gegen die „Schränke" in der DEL durchaus zu wehren.
„Er geht in die Ecken gegen 30-Jährige, die ganz schön gemein sein können", sagt Trainer Aubin: „Aber er duckt sich nicht weg, er kämpft, will vorankommen. Er fokussiert sich darauf, dass er gut spielt." Und damit verdient er sich mehr und mehr Eiszeit bei den Eisbären. „Er wird von Woche zu Woche besser", sagt Ustorf, der aber auch nichts anderes erwartet hat: „Das ist es, was man sehen will." Die gestiegene Erwartungshaltung ist (noch) kein Problem für den Hochgelobten. „Ich bekomme schon mit, was gesagt wird und was in den sozialen Medien los ist", sagt er. Aber er versuche, den Trubel um seine Person nicht an sich herankommen zu lassen. „Ich versuche einfach, Ruhe zu bewahren und nicht schon an nächstes Jahr zu denken", sagt er.
Der Gedanke an die NHL ist aber natürlich immer im Hinterkopf. Als kürzlich die Chicago Blackhawks zu einem Testspiel gegen die Eisbären in Berlin antraten, war Reichel der größte Fan. Er sympathisiert mit Chicago, dessen Topstar Patrick Kane auch einer seiner Lieblingsspieler ist. Es sei „cool" gewesen, gegen die Stars, „die man sonst nur aus dem Fernseher kennt, zu spielen", sagt Reichel. Und auch gegen die NHL-Profis wusste der Youngster zu gefallen, zur Belohnung gab es hinterher eine Umarmung und viel Lob von Idol Kane. Es ist wahrscheinlich, dass sich beide bald in der NHL wiedersehen.