Union Berlin bekommt in der Bundesliga viel Lob, aber keine Punkte. Vor allem die Abschlussschwäche gefährdet das Ziel Klassenerhalt.
Trainer Urs Fischer gilt als akribischer Arbeiter. Aber natürlich weiß auch der Schweizer, dass im Fußball nicht alles planbar ist. Und in einer Situation, in der Union Berlin momentan steckt, erst recht nicht. „Ich hoffe dann auch auf ein bisschen Spielglück, dass mal einer reingeht", sagt Fischer vor dem wichtigen Heimspiel am Samstag gegen den SC Freiburg: „Das ist gerade für uns in unserer Situation auch mal wichtig."
Vier Niederlagen in Folge mit einem Torverhältnis von 2:7 sind zunächst nichts Ungewöhnliches für einen Bundesliga-Neuling. Auch gegen den Relegations-Rang 16, den Union derzeit belegt, hätten manche Fans am Saisonende sicher viel einzuwenden. Doch wenn man bedenkt, dass in den vergangenen Partien deutlich mehr möglich gewesen wäre, ist die Mini-Krise des Aufsteigers dann doch ärgerlich. Union hat derzeit die Torschusspanik.
Gegen Eintracht Frankfurt (1:2) und vor allem beim VfL Wolfsburg (0:1) gingen die Union-Profis reichlich verschwenderisch mit ihren Möglichkeiten um. „Den einzigen Vorwurf, den ich meinen Jungs machen kann: Die letzte Konsequenz, die letzte Entschlossenheit vor dem Tor hat gefehlt", sagte Fischer nach dem „A2-Derby" im 236 Kilometer entfernten Wolfsburg.
In der Statistik der Torschüsse (14:13) lag Union sogar vor dem Europa-League-Starter, doch davon konnten sich die Gäste am Ende wenig kaufen. Genauso wenig wie vom Lob des Gegners. „Union hat es uns sehr schwer gemacht, unser System praktisch gespiegelt und uns über den ganzen Platz gejagt", sagte VfL-Coach Oliver Glasner: „Sie haben unser Spiel zu ihrem Spiel gemacht."
Christian Genter sieht Parallelen zu Stuttgart
Christian Genter will die gut gemeinten Worte nicht hören, wenn es dafür keine Punkte gibt. Denn der frühere Stuttgarter kennt die Situation aus der Vorsaison, als er mit dem VfB den bitteren Gang in die Zweite Liga antreten musste. „Das habe ich auch immer in Stuttgart gehört. Du wirst gelobt: ‚So wie ihr spielt, könnt ihr nicht absteigen.‘ Das dürfen wir uns nicht einreden lassen", forderte Gentner.
Damit am Ende nicht ein Abstieg in Ehren auf die Köpenicker wartet, muss schnellstmöglich mehr Kaltschnäuzigkeit im Angriff her. Am besten schon im Heimspiel gegen den glänzend gestarteten SC Freiburg. „Wenn du keine Tore schießt, wird es schwierig", sagte Fischer: „Hinten eine Null zu halten – so weit sind wir noch nicht."
Fischer kündigte an, seinen Spielern in Videos die Offensivschwäche schonungslos aufzeigen zu wollen. Seine Forderung an Sebastian Andersson und Co: „Es braucht eine andere Konsequenz, eine andere Entschlossenheit. Den Ball musst du schlussendlich über die Linie drücken!"
Vom Panikmodus ist Union aber weit entfernt, dafür besteht auch kein Grund. Selbst wenn sich Berlin gegen Freiburg die fünfte Niederlage in Serie abholen sollte, würden die Verantwortlichen nicht die Nerven verlieren. Das Signal mit der Vertragsverlängerung für Fischer (bis 2021) ist klar: Union plant langfristig und will sich nicht von kurzfristigen Ergebnissen treiben lassen.
„Es macht großen Spaß, hier zu arbeiten und gemeinsam ambitionierte Ziele zu verfolgen", sagte Fischer zu seinem neuen Vertrag, den er sich nicht nur wegen seiner fachlichen Arbeit verdient hat, wie Club-Boss Dirk Zingler andeutete: „Urs Fischer hat sich auf Union eingelassen, und Unioner spüren so etwas sehr genau."
Ganz losgelöst von Ergebnissen kann aber auch der Aufstiegstrainer nicht arbeiten. Deswegen stärkt der Schweizer demonstrativ das Selbstvertrauen seiner Spieler. „Du musst die positiven Dinge mitnehmen", sagt er: „Die größte Schwierigkeit ist, dass die Jungs weiter einen klaren Kopf behalten. Sie machen es gut, aber am Ende hast du nichts."
Defensiv steht Union größtenteils sicher, was vor allem am Innenverteidiger-Duo Marvin Friedrich/Neven Subotic liegt. Doch auch hier lügt die Statistik nicht: In keinem der bisherigen sieben Saisonspiele stand hinten die Null. Im Aufstiegsjahr war die Hintermannschaft 14-mal ohne Gegentreffer geblieben. „Darüber ärgere ich mich auf jeden Fall", sagt Friedrich. Ihm sei zwar bewusst, „dass in der Bundesliga eine ganz andere offensive Qualität vorherrscht", dennoch müsse man „hinten stabiler stehen".
Alles in allem trösten sich die Berliner mit der Tatsache, dass die Bundesliga für sie keine unlösbare Aufgabe ist. „Wir gehen nicht mit gesenktem Haupt durch Berlin", betont Friedrich. Die Leistungen in den vergangenen Spielen sei „in Ordnung" gewesen. Auch Gentner hat nicht das Gefühl, „als wäre da eine riesige Lücke" zu anderen Teams. „Das stimmt mich nach wie vor positiv." Außerdem könne man der Mannschaft „in puncto Einsatz und Leidenschaft keinen Vorwurf machen". Auch Offensivspieler Sheraldo Becker ist optimistisch: „Wir wissen, dass wir gut genug sind, um drinzubleiben." Verteidiger Keven Schlotterbeck richtete seinen Blick auch auf die ebenfalls schwächelnde Konkurrenz aus Paderborn, Köln, Augsburg und Düsseldorf: „Andere Mannschaften punkten auch nicht."
Teamgeist ist erstligareif
Dass zumindest der Teamgeist erstligareif ist, bewies die Solidarisierung mit dem schwer verletzten Akaki Gogia. Beim Aufwärmen in Wolfsburg liefen die Profis in Shirts mit Gogias Rückennummer 7 sowie der Aufschrift „Come back stronger" (Komm’ stärker zurück) auf. Der Offensivspieler hatte sich gegen Frankfurt einen Kreuzbandriss zugezogen und musste operiert werden. Gogia wird mindestens ein halbes Jahr ausfallen. Nach dem Spiel gegen Freiburg wartet auf Union ein Hammer-Programm: Zuerst reist der Aufsteiger als Außenseiter zu Rekordmeister Bayern München (26. Oktober/15.30 Uhr), eine Woche später steigt in der Alten Försterei das ersehnte erste Stadtderby gegen Hertha BSC in der Bundesliga (2. November/18.30 Uhr).
Wegen der Terminierung des Spiels hatte es im Vorfeld Streit gegeben. Hertha hatte den Jahrestag des 30. Mauerfalls am 3. November vorgeschlagen, als Symbol der Wiedervereinigung. Union-Boss Dirk Zingler lehnte das komplett ab: „Für mich ist das ein Derby, das steht für Rivalität, für Abgrenzung. Und für Fußball-Klassenkampf in der Stadt."
Für viele Fans fühlt sich das Duell aber noch nicht wie ein Derby an, aufgrund der Vergangenheit in der DDR hat der Club noch andere „Feindbilder", allen voran BFC Dynamo Berlin.
Auch die Rivalität zu Dynamo Dresden ist nach wie vor stark ausgeprägt, trotzdem testete Union in der Länderspielpause gegen den Zweitligisten. Nicht mit dabei war Christopher Trimmel. Er wurde für die Nationaelf Österreichs nachnominiert, mehr als neun Jahre nach seinem letzten Länderspiel.