Alle reden von E-Mobilität. An der Küste denkt man weiter. Hier ist Wasserstoff der große Trumpf. Ein Elektrolyse-Kraftwerk soll in einem ehrgeizigen Projekt Wohnungen und Kühlanlagen mit Strom versorgen.
Dass man in den deutschen Küstenländern windaffin ist, versteht sich wegen der geografischen Lage von selbst. Seit 2004 pustet der kräftige Meereswind in der Nordsee teils gigantische Offshore-Mühlen für die Stromerzeugung an. Die Zahl der sich drehenden Kraftwerke geht in die Hunderte.
Nun will Norddeutschland zum Spitzenreiter bei der Nutzung einer weiteren fossilfreien Energiequelle werden: Wasserstoff. Darauf haben sich die Regierungschefs von Hamburg, Niedersachsen, Bremen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern kürzlich parteiübergreifend in einem Eckpunkte-Papier verpflichtet. Bis zum Jahresende soll die Strategie endgültig stehen und spätestens 2025 sollen erste Projekte laufen.
Ehrgeiziges Ziel der neuen Fokussierung ist es, den Norden beim Ausbau einer „grünen Wasserstoffwirtschaft" zum Vorreiter zu machen. Schließlich besäßen die fünf deutschen Seeanrainer alle Voraussetzungen dafür, sagen die Politiker: Windstrom, Industrieabnehmer und Produktionsstätten. Deshalb könne und müsse entschieden gehandelt werden.
„Der Aufbau einer grünen Wasserstoffwirtschaft ist eine wirtschafts- und strukturpolitische Chance", schwärmt Hamburgs Wirtschaftssenator Michael Westhagemann, „die werden wir zügig ergreifen und mit Nachdruck vorantreiben." Der parteilose Politiker ist die treibende Kraft hinter dem Wasserstoff. Er koordiniert die dementsprechende Politik der Küstenländer.
Das derzeit größte Manko von Wasserstoff spornt die Nordlichter erst richtig an: die fehlende Marktfähigkeit. Genau das soll sich ändern. Denn Wasserstoff kann mit der sogenannten Power-to-Gas-Technologie mit Strom aus der Windkraft erzeugt werden. Davon hat der Norden überreichlich: Die Windparks produzieren mehr Elektrizität, als abgesetzt werden kann. Dieser Überschuss soll in die Herstellung von Wasserstoff fließen, der gespeichert oder sofort ausgeliefert werden könnte.
Wasserstoffpreis enthält EEG-Umlage
Hamburg zeigt am praktischen Beispiel, wie es mit dem Energieträger der Zukunft laufen könnte. Im Hafen der Hansestadt plant der Senat den Bau der weltweit größten Fabrik für Wasserstoff-Elektrolyse. Leistung: 100 Megawatt jährlich. Davon könnten fast 60.000 Haushalte mit Fernwärme versorgt werden – womit der „Leuchtturm", wie Westhagemann das Projekt nennt, zehnmal größer als vergleichbare Anlagen rund um den Globus ist.
Die Hamburger Wasserstoff-Fabrik ist Teil des sogenannten „Norddeutschen Reallabors". Dahinter verbirgt sich eine Energiewendeallianz, die große Mengen CO2 einsparen will. Mitfinanzier ist das Bundeswirtschaftsministerium in Kooperation mit einem Netzwerk aus rund 50 Partnern. Dazu gehören Firmen, Universitäten, Labors und Verwaltungen.
Wohin mit all dem Wasserstoff? Die Hamburger haben davon klare Vorstellungen. Außer für die Hausversorgung tauge das 1766 vom englischen Forscher Henry Cavendish entdeckte Element für die Kühlmittelversorgung energieintensiver Produktionsstätten im Hamburger Hafengebiet. Dazu zählen laut Plan Stahl-, Aluminium- oder Kupferwerke. Zugleich sei der Einsatz in Lkw und öffentlichen Bussen sowie als Treibstoff für Schiffe möglich.
Dass gerade in Hamburg das bislang weltweit ehrgeizigste Projekt entsteht ist kein Zufall. Seit genau 30 Jahren hat an der Elbe der Verein Wasserstoff-Gesellschaft Hamburg seinen Sitz. Dem Verein, der sich laut Satzung die „Einführung der umweltfreundlichen Wasserstoff-Energie in die Energiewirtschaft" zum Ziel gesetzt hat, gehören prominente Namen an, etwa der Ökonomie-Professor Hans-Werner Sinn, der Reeder Nikolaus W. Schües und der Hamburger Flughafen-Chef Michael Eggenschwiler. Ihr Plan sind konkrete Projekte und Einsatzmöglichkeiten bei Tankstellen, Fahrzeugen und anderen technischen Lösungen.
Bei der Nord-Wirtschaft stößt die Pro-Wasserstoff-Front von Politik und Wissenschaft auf große Gegenliebe. Die IHK Nord, das Netzwerk der zwölf norddeutschen Industrie- und Handelskammern, verlangt, Wasserstoff insbesondere im Verkehr zu nutzen und rasch die nötige Infrastruktur zu schaffen. Es gelte, eine „Alternative zur E-Mobilität" zu schaffen.
Wie die aussehen kann, ist auf dem Hamburg Airport zu besichtigen. Dort ist ein wasserstoffgetriebener Gepäckschlepper im Einsatz, der den Treibstoff aus einer mobilen Wasserstofftankstelle bezieht. Es ist eine Maßnahme, um den selbstgesteckten Vorsatz zu erreichen, den Eigenbetrieb im Flughafen ab 2021 klimaneutral zu machen.
Trotz des norddeutschen Enthusiasmus: eine flächendeckende Wasserstoffversorgung dürfte noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Das liegt auch daran, dass die politischen Rahmenbedingungen nicht stimmen. So ist die Erzeugung von Wasserstoff unter anderem auch deshalb teuer, weil sein Preis die EEG-Umlage zum Ausbau erneuerbarer Energien enthält. Aber die Denke im Norden ist: Was jetzt nicht angepackt wird, das kann auch morgen nicht gedeihen. Und natürlich bietet Wasserstoff den deutschen Küstenländern eine Chance, die Position als Leitregion für effizienten Klimaschutz über die Windkraft hinaus zu verstärken. Friederike Kühn, Vorsitzende der Industrie- und Handelskammer Nord: „Der Erfolg der Energiewende entscheidet sich zweifellos in Norddeutschland und wird ohne Wasserstoff nicht möglich sein – er ist der technologische Game-Changer."