Wer müde ist, wird leicht reizbar, hat Probleme sich zu konzentrieren und macht mehr Fehler. Helfen kann der bekannte Powernap. Warum er wirkt, wie er besonders effektiv ist und was auch Chefs und Kollegen überzeugen könnte.
Es ist 14 Uhr am Nachmittag. Zuvor hat schon eine Konferenz die nächste gejagt. Eigentlich ist man müde, aber der Aktenstapel häuft sich. Jetzt so ein kurzes Nickerchen, das wär’s. Solche Powernaps gelten als Geheimwaffe gegen das Leistungstief am Nachmittag. Der Powernap, auch Turboschlaf oder Tagschlaf genannt, ist ein kurzer Schlaf zwischen fünf und 20 Minuten, der – wie der Name verrät – neue Kraft verleiht. Dieser Kurzschlaf verspricht eine erstaunliche Leistungssteigerung für müde Arbeitnehmer: „Studien haben zeigen können, dass ein Nickerchen die Leistungsfähigkeit um bis zu 35 Prozent steigern kann", so der Schlafexperte Jürgen Zulley, Professor für Biologische Psychologie an der Universität Regensburg. Für die meisten Menschen sieht der Arbeitsalltag anders aus, doch erste Unternehmen reagieren bereits auf die Forschungsergebnisse. Der Chemiekonzern BASF etwa bietet seinen Arbeitnehmern Kurse im Powernapping an. In denen lernen sie, wie Kurzschlaf am Arbeitsplatz funktioniert. Auch in der Hamburger Niederlassung des Konzerns Unilever gibt es einen abgedunkelten Ruheraum. Dort finden sich Liegen und Sessel, auf denen sich Mitarbeiter durchkneten lassen oder via Kopfhörer Entspannungsprogramme abspielen können. Der Internetkonzern Google bietet seinen Mitarbeitern gar regelrechte Entspannungslandschaften an: Hängesessel, Farbtherapiekabinen und einen abgedunkelten Ruhesaal mit Aquarien.
Solche Unternehmen sind Vorreiter in puncto Mittagsschlaf. Doch sie sind weit in der Unterzahl. Ingo Fietze ist Professor an der Berliner Charité und Leiter des interdisziplinären Schlafzentrums. Er stellt immer wieder fest, wie viele Vorurteile Unternehmer gegenüber schlafenden Mitarbeitern haben. Schnell gelten sie als Partylöwe, schwächlich oder faul. „Mir geht nicht in den Kopf, warum Schlafen bei der Arbeit so verpönt ist", sagt der 53-Jährige. Wenn jemand die Arbeit unterbricht, um eine rauchen zu gehen, sei das in Ordnung. „Aber wer für ein paar Minuten die Augen zumacht, muss Angst haben, erwischt zu werden. Das kann doch nicht angehen." Um mit Vorurteilen aufzuräumen, hält Fietze Vorträge in Firmen über die positiven Effekte des Mittagsschlafes. Mancher Chef höre sich nur die Einleitung an und verlasse dann den Raum. „Wenn der Vorgesetzte es nicht gern sieht, dass Mitarbeiter am Arbeitsplatz schlafen, wird sich im Unternehmen nichts ändern", sagt Fietze. Dabei konnte eine länderübergreifende Analyse der Rand Corporation, der einflussreichsten Denkfabrik der USA, zeigen, dass der deutschen Wirtschaft durch müde Mitarbeiter jedes Jahr etwa 60 Milliarden Euro durch die Lappen gehen.
Ein kurzes Nickerchen ist gesund
Warum steigert ein simpler Powernap die Leistungsfähigkeit so sehr? Die Schlafforschung zeigt, dass der Leistungsabfall um die Mittagszeit auf einem körpereigenen Rhythmus beruht. Durchschnittlich sind wir vormittags produktiver als nachmittags. Zwischen 12 Uhr und 14 Uhr rutschen wir in das eingangs erwähnte Mittagstief, das von zwei Hochphasen eingerahmt ist. Auch bei genügend Nachtschlaf erfolgt um die Mittagszeit eine Leistungsminderung. Ein kurzes Nickerchen kann also nicht nur Schlafmangel kompensieren, sondern auch Normalschläfern dabei helfen, das natürliche Mittagstief zu überstehen. Das Tief tritt nach einem sehr reichhaltigen Mittagessen verstärkt auf, lässt sich aber nicht nur mit dem Mittagessen begründen. Denn wir haben es auch dann, wenn wir nichts zu Mittag essen. Wer dem körpereignen Bedürfnis nach Schlaf nachgibt, stärkt seine Gesundheit.
Catherine Milner und Kimberly Cote von der Brock University in Kanada konnten in einer Übersichtsstudie zeigen, dass ein kurzes Schläfchen nicht nur gesund ist, sondern auch die Konzentrationsfähigkeit wiederherstellt, die Lernkapazität erhöht, die Motivation steigert und die Laune hebt. So senkt der Mittagsschlaf beispielsweise den Blutdruck und zwar um in etwa so viel wie blutdrucksenkende Medikamente. In Deutschland hat fast jeder Dritte einen zu hohen Blutdruck – der größte Risikofaktor für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Der Kurzschlaf steigert aber auch die Produktivität. Wissenschaftler der Harvard-Universität konnten nachweisen, dass sich die Fähigkeit, visuelle Erkennungsaufgaben durchzuführen, im Verlauf des Tages verschlechtert. Bereits ein 30-minütiger Powernap schützt jedoch vor dem Nachlassen besagter Fähigkeit. Ein weiterer Effekt der Müdigkeit, den viele kennen dürfen, ist die sinkende Laune. Wer müde ist, wird schnell mal mürrisch und reizbar. Auch hier kann der Mittagsschlaf Abhilfe schaffen. Nach einem Schläfchen erhöhte sich die Selbsteinschätzung von Probanden in den Kategorien Zufriedenheit, Entspanntheit und Wohlbefinden stärker als nach einer Pause ohne Nap.
Zudem senkt der Powernap das Stresslevel messbar ab. Ein französisches Forscherteam der Universität Descartes-Sorbonne Paris Cité setze männliche Studienteilnehmer zwischen 25 und 32 zwei unterschiedlichen Schlafsituationen aus. Beide Male durften sie nur zwei Stunden pro Nacht schlafen. In einer Situation durften die Männer am Folgetag zweimal 30 Minuten Powernapping machen. Das andere Mal mussten sie den Tag so überstehen. Jedes Mal ermittelten die Forscher bestimmte Werte von Biomarkern im Urin und Speichel. Dazu gehörten Botenstoffe und Stresshormone wie Interleukin-6, Katecholamine, Norepinephrin, Noradrenalin und Dopamin. Das Ergebnis: Nach der kurzen Nacht war bei den Teilnehmern die Konzentration des Stresshormons Noradrenalin jeweils um das 2,5-fache angestiegen. Durch Powernapping sanken die Werte aber wieder. Der Stoff gehört zu den Stresshormonen und spielt eine große Rolle bei der Stressreaktion: Es erhöht die Herzfrequenz, den Blutdruck und den Blutzucker. Zweites messbares Ergebnis: Auch das Immunsystem profitierte vom Nickerchen. Es normalisierte die Interleukin-6-Werte. Dieser Botenstoff unterstützt das Immunsystem.
Damit sich diese positiven Effekte einstellen können, gilt es, ein paar Regeln zu beachten. Denn wer falsch schläft, fühlt sich nachher oft müder als zuvor. Gut ist, sich gleich zu Beginn eine bequeme Position zu suchen. Das heißt, möglichst waagerecht schlafen und nicht im Sitzen. Wer nur auf dem Schreibtischstuhl bleibt und den Kopf auf dem Tisch ablegt, hat das Risiko, sich zu verspannen und erschwert sich möglicherweise das Einschlafen. Hilfreich kann auch Musikhören über Kopfhörer sein, da so die Außengeräusche unterdrückt und die Gedanken von der Arbeit weggeleitet werden. Am wichtigsten ist es jedoch, sich eine Art persönliches Ritual zu basteln, da der Mensch auch beim Schlafen ein Gewohnheitstier ist.
Entspannungsverfahren sollen beim Abschalten am Arbeitsplatz helfen
Ein entscheidender Faktor für einen gelingenden Powernap ist die Dauer. Werden wir aus dem Tiefschlaf oder dem REM-Schlaf gerissen, ist Schlaftrunkenheit die Folge. In extremen Fällen kann sie über Stunden anhalten. Erwachen wir hingegen aus einem leichten Schlafstadium, fällt dieser Effekt weg oder verschwindet spätestens nach wenigen Minuten. Dafür ist es sinnvoll, den Wecker nach 20 bis 30 Minuten klingeln zu lassen, denn danach geht der Körper in tiefere Schlafstadien über. Australische Forscher der School of Psychology an der Flinders University empfehlen gar, nur zehn Minuten zu schlafen. Sie haben den Effekt unterschiedlich langer Powernaps untersucht und festgestellt, dass das zehnminütige Nickerchen zu allen untersuchten Erfolgen führte. Die Müdigkeit nahm sofort ab und die Leistungsfähigkeit wurde gesteigert. Das Beste: Dieser Effekt hielt mehr als zwei Stunden an.
Ein Trend unter Mittagsschläfern ist der sogenannte Coffee Nap. Die Idee dahinter: Wer kurz vor seinem Powernap eine Tasse Kaffee trinkt, hat durch die Kombination mit Koffein eine verstärkte Wirkung. Da der Kaffee eine Weile braucht, bis er wirkt, kommt er dem Kurzschlaf auch nicht in die Quere. Tatsächlich konnten Wissenschaftler zeigen, dass die Kombination aus Kaffee und Kurzschlaf die Leistung in Reaktionszeittests steigerte und die Müdigkeit noch stärker verringerte. Auch hilfreich für die Wachheit sollen Licht und das Waschen des Gesichts sein.
Die Schlafforschung hat aber nicht nur Tipps für den perfekten Powernap parat, sondern auch für all jene, die mittags gar nicht erst einschlafen können. Schlafmasken helfen, das Tageslicht abzuschirmen und Ohrstöpsel halten Geräusche von außen ab. Wer auf Knopfdruck entspannen und einschlafen möchte, kann auch verschiedene Entspannungsverfahren ausprobieren. Helfen kann beispielsweise die sogenannte Progressive Muskelentspannung nach Jacobson. Das ist ein Training zur Tiefenentspannung, das sich einfach in den Alltag integrieren lässt. Auch autogenes Training und Meditation können das Einschlafen fördern. Wer damit nichts anfangen kann, der kann sich auch einfach nur auf seinen Atem fokussieren und ruhig durch die Nase ein und den Mund wieder ausatmen. Einmal gelernt, lässt sich der Powernap nicht nur zur Mittagspause, sondern jederzeit einsetzen.
Der Schlafforscher Günther Weiß fordert in seinem Buch „Die schlaflose Gesellschaft", dass die gesundheitsfördernden Effekte des Mittagsschlafs nicht weiter ignoriert werden. Er glaubt, Deutschland bräuchte eine neue Schlafkultur. Tatsächlich ist der Powernap in manchen Kulturen ganz normal. Im Mittelmeerraum und Lateinamerika verschwinden die Mitarbeiter in die Siesta, in Japan heißt das Nickerchen im Park „Inemuri" und in den USA gibt es mittlerweile immer mehr „Metronap"-Räume, in denen man sich beispielsweise an Flughäfen oder in öffentlichen Gebäuden Schlafsessel mit Entspannungsmusik mieten kann. „Wer in Asien ein Nickerchen hält, belegt, dass er viel und intensiv gearbeitet hat. In den westlich geprägten Industrienationen Nordeuropas hingegen ist der Mittagsschlaf Ausdruck von Faulheit und fehlender Dynamik", so der Wissenschaftler. Um den Mittagsschlaf salonfähig zu machen, brauche es Schlafrebellen, die Powernapping als gesundheitsfördernde Selbstfürsorge vorlebten und Unternehmen, die mit gutem Beispiel vorangingen.