Sie waren die Lieblingsband von David Bowie und Kurt Cobain: die Pixies. Mit einer originellen Verbindung aus sperrigem Rock und zuckrigem Pop inspirieren die US-Amerikaner seit über 30 Jahren unzählige Alternative- und Grunge-Rocker. Im Interview sprechen Black Francis und Joey Santiago unter anderem über ihr neues Album „Beneath The Eyrie“.
Während einer Aufnahmepause fiel Pixies-Drummer David Lowering außerhalb des Studios über sich ein Adlerhorst, englisch „Eyrie“, auf: Der Impulsgeber zum Albumtitel „Beneath The Eyrie“. Hat dieses stolze Tier Ihre Kreativität beflügelt?
Black Francis: Wenn man wie wir an die Macht großartiger Tiere glaubt, dann vermute ich, dass dieser Adler uns tatsächlich beflügelt hat. Das ist aber nicht bewusst passiert.
Das Album ist in den Dreamland Recording Studios nahe Woodstock entstanden. Wie war es, in einer ehemaligen Kirche aufzunehmen?
Joey Santiago: Die Atmosphäre im Studio und die Jahreszeit haben uns sicher inspiriert. Es war Winter. Ich glaube, diese Platte hätten wir nicht an einem anderen Ort und nicht zu einer anderen Zeit machen können.
Kann auch die Ausstrahlung eines Raumes und was er erzählen kann, dazu beitragen, dass sich darin etwas Besonderes ereignen kann?
Black Francis: Das kann durchaus sein. Wenn die Atmo in einem Raum zum Beispiel schrecklich ist, muss man vielleicht härter arbeiten. Am Ende hat man in einem Scheißladen möglicherweise sogar ein besseres Ergebnis erzielt als in einem Wohlfühlstudio. Diesen Prozess kann man mit dem Verstand nicht erfassen, weil er etwas mit Zen zu tun hat. Er zielt immer auf das Handeln im gegenwärtigen Augenblick. Generell möchten wir aber schon in einem schönen Ambiente Musik aufnehmen.
„Wir verstehen, was Rockmusik ist“
Ihr Album erschien an einem Freitag, den 13. Sind Sie abergläubisch?
Black Francis: Wir entscheiden in der Regel nicht, wann eine Platte erscheinen soll. Diese Platte ist fertig. Wir sind eigentlich schon einen Schritt weiter.
Haben Sie das Gefühl, dass Sie in einer inspirierenden Zeit leben?
Black Francis: In dem Moment, wo ich einen Song schreibe, habe ich die Inspiration ja schon bekommen. Zum Beispiel durch „Mellow Yellow“ von Donovan. Man kann 20 Alben schreiben, die durch diesen einen Song inspiriert wurden.
In welcher Welt spielen Ihre fantastischen Song-Geschichten?
Black Francis: Im Allgemeinen nicht in der realen Welt. Viele Filme versuchen, die Zweifel des Zuschauers an der Geschichte zu beseitigen. Sie wollen dich ins Geschehen mit hineinziehen, unabhängig davon, was in dem Film passiert. Etwas Ähnliches möchte ich mit einem Album wie „Beneath The Eyrie“ erreichen. Der Hörer soll sich magisch angezogen fühlen und seine Zweifel an den Geschichten zeitweilig vergessen. Ich möchte, dass er von der alternativen Realität gebannt ist. Es ist ja auch keine Realität, sondern Musik. Eine Ansammlung von rhythmischen Sounds.
Welche Wahrnehmung von der Welt haben Sie, und wo kommt Ihre blühende Fantasie her?
Black Francis: Aus meinem Kopf. Als Kind habe ich „Alice im Wunderland“ und die Romane von Ray Bradbury, Kurt Vonnegut und George Orwell gelesen.
Wie haben Sie sich auf das Album vorbereitet?
Joey Santiago: Wir haben uns in Massachusetts getroffen und von jedem Song ein Demo aufgenommen. Wir brauchen uns unsere alten Platten nicht mehr anzuhören, die haben wir alle im Kopf.
Können Sie die Vergangenheit ausblenden, wenn Sie neue Musik machen?
Black Francis: Man versucht es zumindest. Ich möchte immer vermeiden, mich beim Schreiben zu sehr auf etwas zu beziehen, was es von uns oder von anderen schon gab. Wir verstehen, was Rockmusik ist, um neue Rockmusik schreiben zu können. Aber wir möchten nicht zu sehr über andere Rockmusik diskutieren.
Was fasziniert Sie am kreativen Prozess?
Black Francis: Am meisten fasziniert mich wahrscheinlich der Moment, wenn eine Platte fertig ist und man sich das Ergebnis noch einmal anhört. Und natürlich die Fehler, die man bewusst drin lässt. Wir nennen sie „glückliche Fehler“.
Können Sie mal einen „glücklichen Fehler“ auf dem neuen Album beschreiben?
Black Francis: Oh, das sind einfach zu viele. Man macht ja ständig Fehler. Immer, wenn etwas Unerwartetes passiert. Man spielt etwas Falsches, aber das Falsche wird zu etwas Richtigem, weil es so toll klingt. Manchmal passiert das bei Proben, manchmal bei Plattenaufnahmen oder beim Mixen eines Songs.
Wie viele Takes machen Sie in der Regel von einem Titel?
Black Francis: Wenn es ein neuer Song ist, bei dem das Arrangement noch nicht feststeht, nehmen wir davon rund 20 Takes auf. Hängt immer davon ab, wie müde unser Drummer gerade ist. Ein guter Produzent spürt, wann ein Musiker hellwach ist. Dann macht er eine Pause. Es ist nämlich sehr schwierig, das Schlagzeug nachträglich zu verändern, weil es das Fundament des Gebäudes ist. Würde man es später verändern, würde das Ganze in sich zusammenfallen.
„Beneath The Eyrie“ wurde von dem preisgekrönten Studio-As Tom Dalgety (Ghost, Royal Blood, Pixies) produziert. Warum brauchen Sie mit Ihrer langen Erfahrung jemand von außen?
Joey Santiago: Ein Produzent ist wie eine Fliege an der Wand. Ein professioneller Zuhörer. Es ist bereits unsere zweite Platte mit Tom Dalgety. Wir wussten nach fünf Minuten, dass er der richtige ist. Uns gefiel, was er bisher gemacht hat.
Wurde im Studio viel über Sounds diskutiert?
Black Francis: Ja, das war durchaus ein Thema. Aber kein großes. Normalerweise kann man beurteilen, ob ein Sound gut oder schlecht ist. Wenn man sich darüber nicht sicher ist, vertraut man auf den Produzenten. Er hat eine frischere Perspektive als du und weiß, was du brauchst. Normalerweise brauchen wir solche Diskussionen aber nicht. Wir machen einfach unsere Arbeit.
Passieren die besten Sachen in hoch emotionalen Momenten?
Black Francis: Nein. Woher soll man wissen, wann der beste Moment gekommen ist? Er kann passieren, wenn alle in bester Stimmung oder übelster Laune sind. Es gibt dafür keine Regel. Wenn es eine gäbe, dann hätte sie zahlreiche Ausnahmen. Regeln bedeuten beim Musikmachen gar nichts.
Wie würden Sie die Chemie in Ihrer Band im Jahr 2019 beschreiben?
Joey Santiago: Als entspannt.
Die Beziehung zwischen Ihnen beiden war in der Vergangenheit von Spannungen geprägt. Warum kommen Sie heute besser miteinander aus?
Joey Santiago: Wir sind milder geworden.
Black Francis: Joey, David und ich sind Männer. Und es gibt eine Frau in der Band. Es ist nicht so, dass Paz Lenchantin bei uns komplett den Ton angibt, aber ein bisschen schon. Sie ist die Hausherrin, alle richten sich nach ihrer Stimmung. Nicht immer, aber immer öfter. Wenn Paz entspannt ist, sind wir anderen es auch. Wenn nicht, dann fliegen die Fetzen.
„Ich nehme Spannungen nicht mehr persönlich“
Sind musikalische oder persönliche Spannungen innerhalb der Band nötig, um gute Musik machen zu können?
Black Francis: Das ist eine romantische Vorstellung. Sie ist nicht ganz falsch, aber man kann daraus keine Regel ablesen. Es gibt einfach zu viele Ausnahmen. Bei uns ist die Ausnahme die aktuelle Regel für einen Leistungsfluss. Es geht immer hin und her.
Joey Santiago: Ich glaube, Spannung ist etwas sehr Individuelles. Jeder von uns hat seine eigene Spannung. Diese kann auf andere sehr inspirierend wirken.
Black Francis: Ich nehme Spannungen nicht mehr persönlich. Wenn einer von uns mal einen schlechten Tag hat, weiß ich, dass er nicht böse auf mich ist, sondern auf jemand anderen. Wir gehen nicht mehr auf Konfrontation. Wenn man älter wird, fängt man an, diese Dinge besser zu verstehen. Das ist ein weiterer Grund für unsere Entspanntheit.
Mit Klassikern wie „Come On Pilgrim“ und „Surfer Rosa“ haben Sie Hörgewohnheiten verändert. In einem Interview mit dem Rolling Stone sagte Kurt Cobain von Nirvana einst, „Smells Like Teen Spirit“ sei der Versuch gewesen, einen Pixies-Song zu schreiben. Welchen Anspruch haben Sie an sich selbst?
Black Francis: Denselben Anspruch wie immer: Wir wollen gute Platten machen. Das ist das einzige, wofür wir verantwortlich sind. Ich habe keine Ahnung, ob wir etwas verändert oder erneuert haben, ich habe darüber keine Kontrolle. Alles, was ich kontrollieren kann, ist unsere Musik.
Ist Indierock tot?
Joey Santiago: Indierock ist nicht tot. Es gibt da draußen immer noch viele Indie-Kids, die diese Art von Musik sehr gern hören.
Was heißt es, ein Indierocker zu sein?
Joey Santiago: Man fühlt anders als ein Mainstreamrocker. Ich liebe es, anders zu sein.
Ist es Ihr erklärtes Ziel, Hits zu schreiben?
Black Francis: Nein. Das Ziel ist, den Schwingungen der Musik zu folgen. Dem Gefühl, das die Band mit ihrer Performance kreiert. Das Ziel ist, das Beste abzuliefern und alles dafür zu tun, unser Publikum zu begeistern. Wenn ein Song einen Popsound erfordert, dann verfolgen wir das weiter. Und wenn er eine Avantgarde-Richtung einschlägt, bleiben wir auch dran. Es gibt Leute, die wollen unbedingt Hits schreiben, damit haben wir kein Problem. Aber solche Musik hören wir uns nicht an.
Joey Santiago: Wir hören kein Hit-Radio. Ich muss gar nicht immer Musik hören, denn sie spielt in meinem Kopf. Erstaunlicherweise kann ich viel mehr Songs zitieren als Gedichte.
Haben Sie schon mal einen Song geträumt?
Black Francis: Nicht bewusst. Ich bin mir aber sicher, dass sowas vorkommt. Leider bin ich keine organisierte Persönlichkeit, die sich an ihre Träume erinnern kann. Wenn du müde bist, vergisst du alles Geträumte sofort wieder.
Sehen Sie sich vor allem als Songschreiber und dann erst als Entertainer?
Black Francis: Das kann ich nicht sagen, weil ich ständig beides tue. Es gibt niemanden, der mich bittet, mehr das eine als das andere zu sein.
Warum wollten Sie unbedingt Rockmusiker werden?
Joey Santiago: Ich wollte nicht mehr in einem Warenhaus arbeiten. Ich habe in meiner Jugend die verschiedensten Sachen ausprobiert, aber am liebsten habe ich Musik gehört. Irgendwann wollte ich das auch machen. Aber eigentlich haben wir uns nicht für die Musik entschieden, sondern sie hat sich uns ausgesucht.
„Mit Politik habe ich nichts am Hut“
Gab es in Ihrem Leben einen entscheidenden Moment?
Black Francis: Alles, was uns irgendwie geprägt hat, passierte, als wir noch Kids waren. Alles, was später passierte, hat sich organisch entwickelt. Es fühlt sich vielleicht bedeutend an, wenn du dich dazu entscheidest, eine Band zu gründen, aber ich habe mir zu der Zeit keine anderen Bands angesehen. Ich saß in meiner Universität herum und hatte eigentlich ganz andere Pläne, die nichts mit Musik zu tun hatten. Aber dann stellte ich mir die Frage, was ich wirklich tun wollte.
Und wie lautete die Antwort?
Black Francis: Ich möchte in einer Band spielen! Das war für mich ein Schlüsselmoment. Hätte ich damals mehr Glück bei Frauen gehabt, wäre ich wahrscheinlich von der Musik abgelenkt worden. Aber das hatte ich nicht. Und eine akademische Laufbahn wollte sich auch nicht einsschlagen. Ich war damals überhaupt ziemlich unglücklich mit meinem sozialen Leben. Ich wollte eigentlich nur Musik hören und spielen. Das ist bis heute das Beste an meinem Dasein. Wenn alles andere scheiße läuft, spiele ich einfach eine Show und fühle mich wieder gut.
„On Graveyard Hill“ ist ein Märchen von dunklen Mächten und bevorstehendem Untergang. Schreiben Sie solche Songs, weil Sie die chaotische Realität nicht mehr ertragen können?
Black Francis: Nein, ich schreibe solche Geschichten, weil ich das einfach gerne tue. Das hat nichts mit Typen wie Trump zu tun. Mit Politik habe ich nichts am Hut. Es ist eine romantische Vorstellung, dass ein Künstler auf ein bestimmtes gesellschaftliches oder politisches Klima reagiert. Natürlich habe ich auf den eingangs erwähnten Adler im Nest reagiert, aber nicht bewusst. Meine Kunst entsteht im Widerstreit mit meinem Ego. Bei mir kommt alles von innen. Die interessanteste Kunst kommt von Leuten, die sich tief in ihre Psyche blicken lassen. Damit will ich aber nicht sagen, dass man als Künstler nicht auch externe Dinge kommentieren kann. Joe Strummer konnte das zum Beispiel sehr gut. Aber wenn ich das auch tun würde, wäre ich nicht mehr authentisch.