US-Präsident Donald Trump handelt unter starkem innenpolitischen Druck
Egozentrischer Herrschaftsstil, heftige Verbalattacken gegen Freund und Feind: US-Präsident Donald Trump und sein türkischer Amtskollege Recep Tayyip Erdogan sind sich in vielen Dingen ähnlich. Das Parlament ist ihnen ebenso lästig wie die Opposition oder die freie Presse. Es gibt aber einen gravierenden Unterschied. Der US-Präsident will die Rolle seines Landes als Weltpolizist ausknipsen. Das Ende der Beteiligung an Kriegen war eines seiner zentralen Wahlversprechen.
Diese Ankündigung will er mit Blick auf die Präsidentschaftswahl im November 2020 umsetzen. Künftig sollte es nur noch um „America First" gehen. Deshalb hat Trump in einem Telefonat mit Erdogan am 6. Oktober den Rückzug der US-Truppen aus Nordsyrien avisiert. Für den türkischen Präsidenten war dies ein Blankoscheck zum Einmarsch in das südliche Nachbarland.
Erdogan nahm die Einladung dankbar an. Seine Armee bekämpft die kurdischen YPG-Einheiten, die er als Terroristen bezeichnet. Dass diese bis vor Kurzem die wichtigste Speerspitze der USA im Feldzug gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat" (IS) waren, bringt ihnen heute keine strategischen Vorteile mehr. Trump sucht die militärische Defensive, Erdogan die Offensive: Das ist der große Unterschied zwischen beiden.
Beide Ansätze sind vor allem für das heimische Publikum gedacht. Trump steht innenpolitisch stark unter Druck. Das zwingt ihn, aus taktischen Gründen einen schizophrenen Kurs zu fahren. Eigentlich will er die US-Soldaten aus Nordsyrien abziehen, um die eigene Wählerbasis zufriedenzustellen.
Doch seine Parteifreunde machen Trump einen Strich durch die Rechnung. Das Repräsentantenhaus, eine der beiden Parlamentskammern des Kongresses, verurteilte Trumps Syrienpolitik mit 354 zu 60 Stimmen. 129 Republikaner votierten gegen die eigene Regierung.
Aber auch im Senat wächst der Widerstand. Der Mehrheitsführer in der zweiten Kammer, der mächtige Republikaner Mitch McConnell, rügte den Abzug der US-Soldaten aus Nordsyrien als „schweren strategischen Fehler". Dies mache Amerika unsicherer, stärke die Feinde der USA und schwäche wichtige Partner. Lautstärker und spektakulärer kann man den eigenen Präsidenten kaum abwatschen. Bislang galt McConnell als Trumps wichtigste innenpolitische Bank.
Für Trump ist das gefährlich. Die oppositionellen Demokraten haben Ermittlungen zu einem Amtsenthebungsverfahren gestartet. Der Präsident soll in einem Telefonat seinen ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj angestiftet haben, belastendes Material gegen seinen möglichen demokratischen Herausforderer Joe Biden zu beschaffen. Laut US-Verfassung ist eine Amtsenthebung bei „Verrat, Bestechung oder andere schwere Verbrechen und Vergehen" möglich.
Kommt es zum Verfahren und laufen im Senat genug Republikaner ins Lager der Demokraten über, steht Trumps politisches Überleben auf dem Spiel. Deshalb darf McConnells verbale Breitseite gegen die Politik des Präsidenten nicht unterschätzt werden.
Dies bedeutet aber auch, dass Trumps Linie gegenüber Erdogan noch unberechenbarer wird. Einerseits will er die US-Kräfte aus Syrien zurückholen, andererseits muss er einen muskulösen Auftritt hinlegen, um die Republikaner – auf die er angewiesen ist – nicht zu enttäuschen. Die fünftägige Waffenruhe, die US-Vizepräsident Mike Pence mit Erdogan vereinbarte, ist eine Kostprobe der rumpeligen Türkeipolitik Trumps: Appeasement, Sanktionsdrohungen und Pseudo-Befriedung wechseln sich ab. Eine wirkliche Entspannung des Konflikts dürfte aber so nicht erreicht werden.
Das liegt auch an Erdogan, der in Nordsyrien die nationalistische und bellizistische Karte spielt. Der Staatschef war vor wenigen Monaten politisch stark angeschlagen. Bei den Kommunalwahlen im Frühjahr verlor seine islamisch-konservative AKP wichtige Städte wie Ankara und Istanbul. Ehemalige Weggefährten kündigten die Neugründung einer Partei an. Die Wirtschaft lahmte, die Preise explodierten. Mit der Kampagne gegen die Kurden-Milizen in Nordsyrien versucht Erdogan, seinen lädierten Nimbus aufzupolieren. Die Offensive ist in großen Teilen der Bevölkerung populär. Der Präsident profitiert davon. Trumps Passivität ist Erdogans Stärke. So wie es aussieht, sitzt der türkische Staatschef derzeit am längeren Hebel.