Derzeit ist die Ausstellung „Rodin / Nauman" in der Modernen Galerie in Saarbrücken zu sehen. Dr. Roland Mönig, Kurator und Direktor des Saarlandmuseums, im Gespräch.
Herr Dr. Mönig, wie kamen Sie auf den Einfall Rodin und Nauman zusammenzubringen?
Der Gedanke an ein solches Projekt hat mich, seit ich im Saarland bin, umgetrieben. Auf der einen Seite gehört Rodin zu den frühen Erwerbungen des Hauses – 1958/59 sind die ersten Werke angekauft worden – für mich eine programmatische Setzung. Auf der anderen Seite hat mich beschäftigt, wie geht es weiter, wenn der Erweiterungsbau fertiggestellt ist: Was können die Themen für die Zukunft sein? Wenn Rodin für die Tradition steht, steht Nauman für mich für neue Impulse, für die neue Welt, die sich uns jetzt öffnet mit dem vergrößerten Museum. Beide Künstler haben die Regeln gebrochen und neu definiert, was Kunst ausmacht und uns sagen kann. Sie haben es getan mit Blick auf die Existenz des Menschen, den Körper, die Psyche, den Raum.
Diesen Themen nach haben Sie die Ausstellung – Der Künstler/Das Atelier, Der Körper, Der Raum, Das Fragment, Emotion und Konflikt – arrangiert …
… und damit Versuchsanordnungen geschaffen. Was passiert im Atelier? Wie geht man mit Emotionen um? Das Denken nach diesen Spielfeldern schien mir interessanter und zielführender als eine chronologische Durchführung.
Die Kulturstiftung des Bundes und die Kulturstiftung der Länder beteiligen sich finanziell an der Schau. Wissen Sie, was den Ausschlag für die Förderung gab?
Das innovative Konzept.
Mit Rodin, heißt es, begann das „Zeitalter der modernen Plastik und Skulptur". Was ist damit gemeint?
Bei Rodin haben viele Strategien ihren Anfang, die wir bis heute bei Künstlern kennen, die wichtigste: das Lösen vom klassischen Themenkanon. Rodin hatte viele große Aufträge im öffentlichen Raum – „Die Bürger von Calais", „Das Höllentor" – bei allen diesen Themen hat er dagegen verstoßen, was man von dem Thema erwartete. Bei den Bürgern von Calais kommt die Skulptur vom Sockel und wird ebenerdig, damit wird der Betrachter zum Mitspieler der Skulptur.
„Die wahre Kunst pfeift auf die Kunst" lautet ein Zitat von Rodin. Betrachtet man das Zitat nicht unter anderem Licht, wenn man weiß, dass Rodin dreimal von der Kunsthochschule abgewiesen wurde?
Ich weiß nicht, ob das Zitat nicht unter anderem Licht erscheint, weil Rodin dreimal abgewiesen wurde, oder ob die dreimalige Abweisung von der Akademie nicht eher ein Zeichen für eine sehr verkrustete Kunstauffassung ist. Gegen diese Auffassung hat er ja rebelliert. Dieses Zitat ist für mich das Wunderbarste, was es von Rodin gibt, weil es auch die Verbindung zu Nauman zeigt. In der Loslösung von den klassischen Themen und Strategien wendet sich Rodin auch einer Werkpraxis zu, die sorglos ist, sorglos was Perfektion, Schönheit, …
… Harmonie
… ja, auch was die klassische Vorstellung von Harmonie und Ganzheit betrifft.
Rodin hat sein Werk 1916 dem französischen Staat geschenkt mit der Bedingung das „Hotel Biron" zum Museum umzuwandeln. Welche
der Leihgaben aus dem Musée Rodin Paris – darunter viele Hauptwerke – macht Sie besonders stolz?
Ich bin überhaupt stolz auf die Tatsache, dass sich das Musée Rodin so stark engagiert hat – ein Dialog über mehrere Jahre. Wir haben an die 70 Leihgaben aus dem Musée Rodin, darunter „Der Kuss", „Der Denker", „Die drei Schatten aus dem Höllentor" – fantastische, bedeutende Dinge, die man sofort mit Rodin assoziiert. Aber auch Werke, die man selten oder noch nie gesehen hat, beispielsweise eine Gruppe von Aquarellen und auch Fotos aus seinem Atelier. Zudem haben wir bedeutende Leihgaben aus Sammlungen in ganz Deutschland bekommen, sodass wir die einmalige Konstellation haben, fast alle Meisterwerke zeigen zu können. Die Eva beispielsweise kommt aus dem Städel Museum Frankfurt. Ich bin aber auch stolz, dass wir die Chance hatten, 50 Arbeiten von Bruce Nauman herzuholen, und wiederum die wichtigen Schlüsselwerke, ob dass das Karussell mit den sich drehenden Stühlen ist oder die Neon-Spirale mit der Schrift „The True Artist Helps the World by Revealing Mystic Truths", und dazu Dinge, die über Jahre in Privatsammlungen geschlummert haben. Das ist für mich immer noch ein großer Glücksfall, denn Nauman ist einer der am stärksten nachgefragten Künstler unserer Zeit.
Office Edit I ist eine Videoarbeit mittels der Nauman seine Schaffenskrise zum Thema erhebt. Er filmte mit einer Infrarotkamera nachts sein einsames Atelier von feststehender Position aus. Mäuse und eine Katze sollen auch mal durchs Bild huschen. Hätte ich diese Erläuterung auf dem Täfelchen nicht gelesen, hätte ich gar nicht gewusst, was das soll und aus der Kategorie „Ist das Kunst oder kann das weg" Zweiteres gewählt. Mit zeitgenössischer Kunst kann man sich schwertun. Wie gehen Sie in der Kunstvermittlung damit um?
Die grundlegende Frage ist: Was passiert zwischen Ihnen und dem Werk? Und die stellt sich bei jedem Kunstwerk. Diese Ausstellung konfrontiert zwei Künstler miteinander, die noch nie miteinander konfrontiert worden sind, sie zeigt ungewöhnliche Werke und Themen und braucht natürlich eine tiefere und breitere Vermittlung. Wir arbeiten auf verschiedenen Vermittlungswegen: Es gibt die Wandtexte, ein Handout, einen Audioguide, Führungen und Workshops, eine Filmreihe mit dem Kino Achteinhalb und eine Vortragsreihe mit der Universität. Im Übrigen glaube ich, dass man als Museum auch Angebote machen muss, nach denen man sich strecken soll.
Die herausfordernd sind.
Ja.
„Ten Heads in Circle" – Wachsköpfe baumeln an Drähten hängend – ist für mich ein herausforderndes Werk, weil das Thema der Grausamkeit und Brutalität emotional angreift – ohne Täfelchen lesen. Packt Sie diese Arbeit auch so?
Ja. Die Arbeit ist mir deshalb so wichtig, weil sie diese emotionale Wucht verkörpert, die Nauman hat, und zugleich diese Einfachheit und Unverstelltheit, die Weigerung, das Werk handwerklich zur Perfektion zu bringen, das spürt man bei diesem Werk besonders deutlich.
Nauman spricht von „Arbeiten, die Optionen offenlassen". Heißt das, er fordert den Betrachter dazu auf sein Werk als unvollendet oder unvollständig stehen zu lassen oder es aus eigener Fantasie zu vollenden?
Eher letzteres. Und das gehört zu seiner Modernität. Mit dieser Offenheit ist er auch wieder sehr nah bei Rodin: Beide machen den Betrachter zum Mitspieler, locken ihn mit seiner Fantasie und Emotionalität. Es kann ein Ertrag dieser Ausstellung sein, das auch wieder bei Rodin wahrnehmen zu können. Rodin ist ja überdeterminiert, man glaubt alles zu wissen über den Kuss, den Denker …
Der Denker ist ein Symbol für das Individuum, einen Grübler, der in sich gefangen ist …
… für den grüblerischen Kreativen auch. Bei aller Hünenhaftigkeit der Figur ist das ein Selbstbildnis des Künstlers, der sitzt und denkt.
Ist das nicht eben durch die Körperhaltung einer, der in sich gekehrt, abgeschlossen von der Welt, ist?
Ja, natürlich, das steckt alles drin. Das ist auch wieder diese Offenheit, Sie können in die Figuren enorm viel projizieren. Und ich glaube, dass man das kann, ist bei Rodin ein bisschen verloren gegangen, weil man immer schon alles weiß. Man macht sich keinen Begriff davon, dass das zeitgenössische Publikum damals ähnlich auf Rodin reagiert hat, wie Sie heute auf Nauman reagieren.
Beim Neon-Männchen „Marching Man", mit Zunge raus-rein, Pimmel auf-nieder, und wechselnd aufleuchtenden Armen und Beinen, hat mich beruhigt, dass das Gehirn kontinuierlich leuchtet.
Ich frage mich immer, ob es das Gehirn oder Haare sind. Das ist auch wieder etwas, das Nauman offenlässt. Für mich ist diese Figur eine Stellungnahme dazu, wie Menschen sich verrennen. Das ist Bewegung im Stillstand, noch dazu im triebgesteuerten Stillstand. Zugleich ist für mich faszinierend, wie die Fragmentierung des Körpers auf die Fragmentierung der Körper und die Darstellung von Bewegung bei Rodin trifft.
Nauman sagt, sein Werk komme aus der Enttäuschung über die conditio humana. Leidet Nauman an sich selbst?
Das ist eine psychologische Frage, die ich gar nicht beantworten kann.
Es gibt diese These, dass gute Kunst nur aus dem Leiden entstehen könne.
Zu dieser These neige ich nicht.
In einigen Videos fügt er sich Leid zu und macht das zur Kunst.
Ich glaube nicht, dass er das als Leid empfindet.
Aber der Betrachter empfindet es so.
Vor allem in seinen frühen Werken benutzt Nauman seinen Körper als Material, aber nicht, um zu leiden, sondern, weil er den Körper als etwas versteht, was man modellieren kann. Er versteht sich selber wie eine Skulptur. Ich glaube er leidet nicht, er leidet nicht an sich selber, das Ziel seiner Arbeit ist auch nicht sein Leiden auszustellen, sondern er leidet eher daran, wie Menschen miteinander umgehen, und was das für den Status des Menschseins heute bedeutet. Dass es nach Tausenden von Jahren immer noch so ist, dass uns bestimmte Triebe und Emotionen, positive oder negative Gefühle, treiben oder auch blockieren. Dass es diese Ausbrüche von Gewalt und Irrationalität gibt, obwohl der Mensch zur Vernunft begabt ist.