Viele heimische Tierarten verschwinden, während neue Arten aus wärmeren Breitengraden zu uns gelangen. Dieser Trend ist auch im Saarland zu beobachten. Umweltminister Reinhold Jost über Erkenntnisse, Gründe und Maßnahmen.
Die Verschiebung bestimmter Tier- und Pflanzenarten ist ein nahezu weltweites Problem – auch das Saarland ist dort keine Ausnahme. „Es gibt mittlerweile einige Arten, die eigentlich im Saarland nicht heimisch sind und früher bestenfalls vereinzelt anzutreffen waren – zum Beispiel die Gottesanbeterin. Sie ist nun saarlandweit verbreitet", berichtet Saar-Umweltminister Reinhold Jost. „Andere Arten leiden unter den sich ändernden klimatischen Verhältnissen und verschwinden, weil es ihnen zu heiß oder zu trocken ist. Das gilt nicht nur für Insekten und Tiere, sondern auch für Pflanzen, Pilze, Moose und Flechten."
Insbesondere der Klimawandel setze den heimischen Arten zu. „Das Saarland hat im Sommer und im Winter eine immer wärmere Struktur, und es regnet weniger als in den Jahren und Jahrzehnten vorher. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf Fauna und Flora", erklärt der Minister. Klarer Verlierer des Klimawandels: die Fichte. 1980 verfügte der saarländische Wald noch über 10.600 Hektar Fichtenbestand – heute sind es gerade noch 3.500 Hektar. Das Glück des kleinen Bundeslandes ist, dass es einen großen Reichtum an Wald hat. Mit 75 Prozent verfügt das Land über den bundesweit größten Waldanteil – der Bundesdurchschnitt liegt bei gerade einmal 40 Prozent. „Wir haben schon heute die Wälder, die sich andere in Deutschland wünschen", sagt Reinhold Jost. „Dafür haben wir vor 30 Jahren mit der naturnahen Waldbewirtschaftung angefangen. Unser Wald ist der biologische Hotspot im Saarland – nicht zuletzt für Insekten." Insbesondere auch die Insekten und das Insektensterben der vergangenen Jahre haben einen großen Anteil am Rückgang anderer Arten. „Gibt es weniger Insekten, gibt es auch weniger Vögel, die sich von diesen ernähren können", gibt der Minister zu bedenken. Nicht nur Vögel, auch Reptilien und Kleinsäugetiere nutzen Insekten als Nahrungsquelle.
Fichte ist klarer Verlierer des Klimawandels
Die Natur wirkt sehr stark aufeinander ein. „Oft sehen wir Wechselwirkungen", sagt Reinhold Jost. Daher bringt der Rückgang oder gar das Sterben einer Art weitere Veränderungen mit sich. Doch auch das Zuwandern neuer, gebietsfremder Arten kann die natürliche Symbiose zwischen Arten verändern: „Dazu kommt das Einwandern sogenannter invasiver, also gebietsfremder Arten, die über verschiedene Wege nun auch bei uns auftauchen und zum Teil große Probleme bereiten. Manche dieser Arten sind durch Konkurrenzkampf gekennzeichnet, sind gefräßig, übertragen Krankheiten, mischen sich mit heimischen Arten und bilden sogenannte Hybride. Sie können Lebensräume verändern und zum lokalen Verlust der biologischen Vielfalt führen." Beispiele hierfür gibt es einige. Unter anderem sorgt der eigentlich aus dem Kaukasus stammende Riesen-Bärenklau, der sich mittlerweile im gesamten Saarland ausgebreitet hat, für Probleme. Dieser birgt auch Gefahren für den Menschen: „Der unmittelbare Kontakt mit der Pflanze kann in Verbindung mit UV-Strahlen zu Verbrennungen ersten und zweiten Grades führen", warnt Reinhold Jost.
„Im Vergleich zu anderen Bundesländern haben wir zwar noch eine große Artenvielfalt, aber der Schwund ist feststellbar. Wir müssen kontinuierlich die richtigen Ableitungen suchen und umsetzen", sagt der Umweltminister teils selbstbewusst, teils selbstkritisch. „Es gibt Bereiche, in denen können wir nachsteuern, um positive Wechselwirkungen wiederherzustellen." Hierzu hat das Umweltministerium konkrete Maßnahmen vorbereitet – einige davon sogar bereits in der Durchführung.
„Wir haben in den vergangenen Jahren mehr als zehn Prozent der Staatswaldfläche komplett aus der Bewirtschaftung genommen – das ist bundesweit einmalig. Und wir wollen den Holz-Einschlag in den kommenden Jahren noch weiter reduzieren und auch den Privat- und Kommunalwaldbesitzern dabei helfen, dem Artenreichtum auf die Sprünge zu helfen", erzählt der Minister. Nicht zuletzt durch die naturnahe Waldbewirtschaftung und den enorm hohen Anteil an Laubbäumen steht der Saarforst noch in vergleichsweise gutem Zustand da. Die Anzahl der dort gefährdeten Arten ist noch am geringsten. Positiv sieht es auch mit der Fließgewässerqualität aus: Diese hat sich sogar verbessert, was unter anderem die Zunahme von Libellen mit sich bringt.
Aber nicht nur im Wald, sondern auch im Offenland und auf landwirtschaftlich genutzten Flächen wird vorgesorgt: „Zum einen ist das der sehr hohe Anteil an Ökolandbau, der dem Insektensterben durch den Verzicht auf chemische oder synthetische Pflanzenschutzmittel entgegenwirkt. Das Saarland ist mit rund 20 Prozent das Bundesland mit dem bisher höchsten Anteil an Biolandbau-Fläche. Der Bundesdurchschnitt liegt bei knapp neun Prozent. Wir wollen bis 2025 ein Viertel der landwirtschaftlichen Flächen biologisch bewirtschaften lassen. Das ist angewandter Insektenschutz, aber auch aktiver Boden- und Gewässerschutz", erzählt Jost. „Darüber hinaus läuft schon seit 2017 im Kreis Saarlouis das ganz tolle Projekt „Artenreiche Kulturlandschaft", das mein Ministerium fördert und begleitet. Ziel ist es, Offenlandstrukturen bewusst zu unterbrechen, indem Hecken und Grünstreifen angepflanzt werden, die für Insekten und sogenanntes Niederwild gedacht sind. Zusammen mit der Vereinigung der Jäger des Saarlandes, den Imkern, dem Nabu und örtlichen Landwirten setzen wir dieses Projekt um."
Naturnahe Habitatsstrukturen gehen immer mehr verloren
Ein eindeutig negativer Trend ist insbesondere in den Siedlungen zu erkennen. Naturnahe Habitatstrukturen gehen immer mehr verloren – deswegen legt das Ministerium den Schwerpunkt der saarländischen Biodiversitätsstrategie insbesondere auch auf die besiedelten Bereiche. „Dr. Bettinger ist gerade dabei, den ‚Siedlungsnaturschutz‘ voranzubringen. Hier wollen wir ganz bewusst in den Dörfern und Städten Flächen entsiegeln oder Wiesen und öffentliche Grünflächen tatsächlich als Blühfläche zur Geltung kommen lassen. Im Moment sind für diese Idee drei Modellkommunen am Start: St. Ingbert, Kleinblittersdorf und Rehlingen-Siersburg. Diese unterstützen wir mit ausgewählten Maßnahmen und Projekten, damit sie zu Vorbildern für andere Kommunen werden können", lobt Jost. Dr. Andreas Bettinger ist Leiter des Referats für Arten- und Biotopschutz und des Zentrums für Biodokumentation im Ministerium für Umwelt und Verbraucherschutz. Wichtig ist es dem Minister aber auch, dass jeder etwas zum Umwelt- und Naturschutz beitragen kann: „Jeder kann vor der eigenen Haustür anfangen, etwa durch den Verzicht auf Steinvorgärten. Wir brauchen mehr Blühflächen und gleichzeitig weniger Pestizide. Wir haben aktuell eine Broschüre aufgelegt, in der beschrieben wird, was Privatpersonen, Vereine, Städte und Gemeinden oder auch Gewerbetreibende tun können." Unterstützung finden diese Akteure auch in Projekten des Ministeriums: „Es fehlt oft an Brutmöglichkeiten für Vögel. Seit einigen Jahren verfolgen wir gemeinsam mit dem Nabu das Projekt ‚Schwalben willkommen‘. Dabei helfen wir Menschen, an ihren Häusern Brut- und Nistkästen anzubringen – das gilt auch für Kirchen." Auch Gewerbe ziehen mit: „In Bexbach gibt es seit einiger Zeit einen Gewerbepark auf dem früheren Kasernengelände, den wir mit Zuschüssen aus unserem Haus aufgewertet haben. Dort werden die Grünflächen ganz bewusst auch als Blühflächen genutzt. Das wird auch an anderen Stellen immer stärker wahrgenommen."
Welche Wirkung diese Blühflächen haben, ergänzt Dr. Andreas Bettinger: „Nachdem man diese Flächen einmal liegen gelassen und nicht gemäht hat, sind dort Pflanzen gewachsen, von denen wir nicht mehr wussten, dass es sie dort noch gibt. Man muss die Natur also einfach mal lassen! Das muss den Bürgern aber auch gesagt werden."