Nicht nur der Klimawandel bedroht unsere heimische Tier- und Pflanzenwelt. Auch diverse Arten, die eigentlich nicht in unserer Region zu finden sein sollten, fühlen sich mittlerweile bei uns so wohl, dass sie sich rasant ausbreiten und dafür andere Arten verdrängen.
Friedlich frisst eine Nilgans das Gras auf dem sanft abfallenden Ufer am Saaraltarm. Ein paar weitere Nilgänse putzen ihr Gefieder oder ruhen auf dem Rasen, andere wiederum laufen quer über den Kiesweg, der am Wasser entlangführt. Eine Idylle im Naherholungsgebiet der saarländischen Landeshauptstadt. Doch diese Idylle hat eine Kehrseite: Die Vogelart ist im Saarland auf dem Vormarsch, sie zählt zu den sogenannten invasiven Arten. Laut der Broschüre „Gebietsfremde Arten in der heimischen Tier- und Pflanzenwelt", die das Umweltministerium 2016 vorgelegt hat, erkennt man eine invasive Art daran, dass sie aus einem fremden Gebiet kommt und in „ihrem neuen Areal die Biodiversität gefährdet, indem sie in Konkurrenz um Lebensraum und Ressourcen einheimische Arten verdrängt".
Auch Auswirkungen auf die Wirtschaft
Den Fall des Neubürgers „Nilgans" in der Tierwelt beobachten die Biodiversitätsforscher im Saarland mit großer Sorge. „Die Nilgans hat sich in den vergangenen Jahren geradezu explosionsartig vermehrt", sagt der Leiter des Zen-trums für Biodokumentation (ZfB) in Landsweiler-Reden, Andreas Bettinger, der seit drei Jahren intensiv das Phänomen der invasiven Arten erforscht. Die Artenbiotop-Experten im Umweltministerium überlegen derzeit, wie sie die Verbreitung der Nilgans eindämmen können. Die Forschungseinrichtung, die dem saarländischen Umweltministerium unterstellt ist, pflegt und betreut die landeskundlichen Sammlungen, erstellt die Roten Listen und vernetzt ehrenamtliche Naturforscher miteinander. Nicht nur an der Saar hat sich der Vogel mit dem typischen braunen Augenfleck angesiedelt, auch an den zwei größten Badeseen im Land, am Bostalsee und am Losheimer Stausee sowie in der Moselaue. Für heimische Vogelarten stelle die Nilgans eine Konkurrenz dar, erklärt Bettinger. Das in den 1960er-Jahren nach Deutschland eingewanderte Tier zerstöre mancherorts die Nester einheimischer Brutvogelarten und verdränge sie mitunter sogar. Außerdem wirkt sich die rasante Vermehrung der Nilgans auch auf die hiesige Wirtschaft aus. In der jüngeren Vergangenheit haben Bettinger zufolge Nilgänse in der Lisdorfer Aue den dortigen Landwirten das Gemüse weggefressen.
Andere invasive Arten verursachen teils immense wirtschaftliche Schäden. In der Imkerei schädigt die Varroamilbe, die aus Ostasien kommt, immer wieder die Bienenvölker, sagt Bettinger. Früher habe der Kartoffelkäfer, der mit der Einführung der Erdäpfel nach Europa eingeschleppt wurde, in der Landwirtschaft erhebliche Schäden angerichtet. Dazu Bettinger: „Dieses Problem hat man heute aufgrund moderner Bekämpfungsmaßnahmen gut im Griff." Heute machen der Japanische Staudenknöterich, der Götterbaum sowie der Sommerflieder der Deutschen Bahn und ihren Anlagen und Gleisen zu schaffen, wie Bettinger erklärt. Der Japanische Knöterich kann demnach mit seinem kräftigen Wurzelwerk sogar Beton sprengen, wodurch der Bahn jedes Jahr Schäden im hohen fünfstelligen Bereich entstehen, führt Bettinger aus.
Dabei sind Nilgans, Varroamilbe und Co. bei Weitem nicht die einzigen prominenten Vertreter dieser Neubürger in Flora und Fauna. Der Waschbär als Säugetier ist bereits im ganzen Saarland verbreitet, sagt Bettinger. Er ist erkennbar auf dem Vormarsch, verursacht bei uns im Saarland allerdings noch lange nicht die Probleme wie in Nordhessen oder ganz konkret in der Stadt Kassel. Die Insekten Buchsbaumzünsler und Asiatischer Marienkäfer seien fast überall häufig zu beobachten. Ersterer fehle noch in wenigen Teilen des nordöstlichen Saarlandes, erläutert er. Dieses kleine Verbreitungsloch wird er nächstes Jahr bei einem weiteren trocken-heißen Sommer sicher auch erobern.
Während sich die Nilgans in der Welt der Wasservögel noch vergleichsweise harmlos verhält, bringt der aus Nordamerika stammende Signalkrebs die Ökosysteme der Fließgewässer aus dem Gleichgewicht. „Der Krebs bevölkert regelrecht die heimischen Gewässer", sagt Bettinger. Inzwischen habe sich der Krebs in vielen saarländischen Bächen und Flüssen, etwa in Saar, Prims, Blies und Oster, ausgebreitet. „Bei den Krebsen sind vor allem die amerikanischen Verwandten Signal-, Kamber- und Sumpfkrebs durch die Übertragung der Krebspest auf unsere heimischen Vertreter für das Verschwinden verantwortlich", warnt Bettinger. Daher könne man damit rechnen, dass die beiden einheimischen Flusskrebsarten, Steinkrebs und Europäischer Edelkrebs, langfristig komplett aussterben. Auch haben sich durch Schwarzmundgrund und Co. die Lebensgemeinschaften innerhalb der Flüsse stark verändert.
Unter den invasiven Arten finden sich auch Pflanzen und Pilze. Arten-Experte Bettinger nennt den Riesenbärenklau, der fast im ganzen Saarland verbreitet ist und vor allem für uns Menschen schädlich sein kann. Angaben der Broschüre über invasive Arten zufolge kann eine Berührung der Pflanze zu Verbrennungen durch das Gift Fucomarin führen. Auch Schadpilze gelangten durch Warentransport und durch den Wind verbreitete Sporen ins Saarland – mit weit reichenden Folgen. Das Eschenstengelbecherchen etwa habe in den vergangenen beiden Jahren der heimischen Esche stark zugesetzt, sagt Bettinger. Ein großer Teil des Bestandes sei bereits befallen. Fürs Erste gibt der Ministeriumsangestellte jedoch Entwarnung: Wegen der trockenen Witterung sei der Pilz zurückgegangen und konnte sich vorerst nicht weiter ausbreiten. Bisher sei keine Methode bekannt, den Schadpilz wirksam zu bekämpfen, heißt es im Artensteckbrief der 108-Seiten-Broschüre.
49 invasive Tier- und Pflanzenarten
Der Klimawandel spielt übrigens für die neuen invasiven Arten eine entscheidende Rolle. Die meisten der bisher eingewanderten invasiven Arten bevorzugten wärmeres Klima, sagt Bettinger. Allerdings handelt es sich bei Arten, die aus Süd-Europa im Zuge der Klima-erwärmung ohne Zutun des Menschen allmählich zu uns einwandern nicht um Neubürger im Sinne der Neobiota-Definition. Beispielhaft sei die Gottesanbeterin genannt. Für sie lässt sich laut Bettinger gut veranschaulichen, wie eine Art ihr Verbreitungsgebiet ausdehnen kann. War die Fangschrecke aus dem Mittelmeergebiet noch vor 30 Jahren bei Perl auf dem Hammelsberg verbreitet, so kann man sie nach Bettingers Ausführungen mittlerweile fast überall im Saarland nachweisen – sogar auf dem Schaumberg bei Tholey und am Hunnenring in Nonnweiler. „Auf diese ArealÂerweiterung der Gottesanbeterin hat der Mensch nur indirekten Einfluss", lautet das Fazit des Arten-Spezialisten.
Unlängst haben die Umweltbehörden auf EU- und Länderebene das Problem „invasive Arten" erkannt und versuchen, es einzudämmen. Die EU hat dafür zum Erhalt der biologischen Vielfalt eine Verordnung erlassen, in der sie aktuell 49 Tier- und Pflanzenarten auflistet, die sich in Europa auf Kosten heimischer Arten ausbreiten. Das Ziel dabei: Die invasiven Arten sollen so deutlich verringert und deren weitere Verbreitung eingeschränkt werden. Das Saarland hat spezielle Maßnahmenblätter für jene Arten, die auf der für alle Bundesländer bei der Bekämpfung der invasiven Arten maßgeblichen Unionsliste stehen, veröffentlicht. Konkret handelt es sich um dringliche Managementmaßnahmen im Sinne des Artikels 19 der EU-Verordnung. Die Maßnahmenblätter informieren über die Biologie der invasiven Arten, ihre Einführung und Verbreitung, ihre negativen Auswirkungen auf Ökosysteme, Managementziele und nicht dringliche Managementmaßnahmen.
Daneben informiert das saarländische Umweltministerium die Saarländer umfassend über invasive Arten. Treten spezielle Probleme vor Ort auf, beraten die Mitarbeiter des ZfB mit ihrer fachlichen Expertise. Das saarländische Umweltministerium hat gemäß der EU-Verordnung ein Portal zur Erfassung in Auftrag gegeben. Dadurch sollen einerseits alle relevanten Arten gemeldet werden und zum anderen eine Bestandsaufnahme möglich gemacht werden. Das Portal ist unter www.kartierung.delattinia.de verfügbar. Alle Arten werden in einem Steckbrief mit Bildern vorgestellt, um so auf mögliche Verwechslungen mit anderen Arten hinzuweisen. Das Umweltministerium werde, hieß es auf FORUM-Anfrage, „sehr problematische Vorkommen invasiver Arten in Natura-2000- und Naturschutzgebieten" beseitigen – vorausgesetzt sie beeinträchtigen den Schutzzweck dieser Gebiete. Außerhalb dieser Gebiete sind dem Ministerium zufolge die Kommunen und auf Privatgrundstücken der einzelne Eigentümer verantwortlich.