Bis zu einer Million Arten könnten in den kommenden Jahren und Jahrzehnten aussterben. Dieser zum großen Teil durch den Menschen verursachte Rückgang ist medial präsent. Doch es gibt auch Tierarten, deren Population wieder gestiegen ist, wie der Naturschutzbund Nabu berichtet.
Die Biber fühlen sich pudelwohl", sagt Karl Rudi Reiter und seine Augen strahlen. Der stellvertretende Vorsitzende des Nabu-Landesverbandes freut sich, die Erfolgsgeschichte der putzigen Nager zu erzählen. Denn entgegen dem Trend so vieler anderer Arten ist es dem Biber gelungen, seine Population in den zurückliegenden etwa 30 Jahren deutlich zu steigern. Wie viele es im Bundesgebiet sind, kann er nicht genau sagen, doch im Saarland leben derzeit zwischen 500 und 600 der scheuen Tiere, die bis zu 30 Kilo auf die Waage bringen.
Bis Anfang der 90er-Jahre galt der Biber als fast ausgestorben, respektive ausgerottet. Denn, so Reiter, ob seines Fells war das zweitgrößte Nagetier der Welt einst vielfach Opfer von Jägern. Diese handelten mit dem Fell, das als Besatz von Kleidung, Hüten oder Schuhen herhalten musste. Zudem war man hinter dem Sekret Bibergeil her, dem man eine besondere Heilwirkung zusprach. Auch ein weiterer Grund – aus heutiger Sicht kurios – spielte mit bei der heftigen Dezimierung der Biber: „Die katholische Kirche erlaubte den Verzehr des Fleisches an Freitagen." Das Konstanzer Konzil hatte den Nager 1418 quasi zum „Fisch ehrenhalber" ernannt. Schließlich lebt das Säugetier zum großen Teil im Wasser, und sein prägnanter Schwanz ist zudem noch schuppig.
Die Biber fühlen sich wieder heimisch
Aber zurück zu den 1990ern: Da gab es nur noch Biber-Restbestände in der näheren Umgebung. In Deutschland hatten sich die Tiere an der Elbe behauptet, in Frankreich an der Rhone, auch in Polen und Litauen waren noch einige heimisch. Zudem wird vermutet, dass an der Donau in Bayern ebenfalls Exemplare überlebt hatten. Im Zuge des „Gewässerrandstreifenprojektes Ill" kam die Überlegung auf, den Biber im Saarland wieder anzusiedeln. 1994 setzte der damalige Umweltminister Willy Leonhardt mit seiner Unterschrift die Erfolgsgeschichte in Gang.
Natürlich habe man anfangs gezweifelt, ob das alles funktioniert, erinnert sich Karl Rudi Reiter, der sein Ehrenamt seit rund 20 Jahren innehat und seit 1976 Nabu-Mitglied ist. Schon bald nach der Wiederansiedlung konnte man die Neu-Saarländer nicht nur an der Ill begrüßen, sondern auch an der Bist, der Prims, der Blies und später in Teichen oder Seitentälern in der Nähe der Saar. Dass man das so genau weiß und auch alles gut dokumentiert ist, dafür sorgen übrigens Biberbetreuer im ganzen Land. Diese zeichnen die Verbreitung nach und sorgen vor Ort für Akzeptanz und Minimierung der Konfliktpotenziale.
Denn auf der einen Seite gelte: „Der Biber ist ein Sympathieträger, der dynamische Lebensräume schafft", wie Reiter sagt. Doch auf der anderen Seite ist er natürlich auch ein Landschaftsgestalter – die einzige Tierart der Welt übrigens. So bewundern die einen das Tier dafür, dass es Bäume fällt, um damit Dämme zu errichten oder ganze künstliche Teiche anzulegen. Saarberg etwa (heute RAG) half bei der Ansiedlung, indem das Unternehmen Holzkisten für den Transport von der Elbe an die Saar zur Wiederansiedlung fertigen ließ.
Die anderen, etwa Forstarbeiter oder private Waldbesitzer, finden es weniger lustig, dass die Biber Pflanzen annagen oder an jungen Apfelbäumen knabbern. Hier könne man aber ganz einfach Abhilfe durch einen nicht sehr hohen Maschendrahtzaun schaffen und auch auf Beratung durch den Nabu bauen. „Man muss es halt wissen", sagt der stellvertretende Vorsitzende. Im Saarland sei dies jedoch eher selten ein Problem, eher in Bayern. Dort beläuft sich die Population auf etwa 22.000 Biber, verteilt auf 6.000 Reviere, wie der Bund Naturschutz Bayern auf seiner Webseite schätzt. In Mecklenburg-Vorpommern gibt es sogar Überlegungen, den Schutzstatus des Nagers einzuschränken. Wenn ein Biber eine seiner charakteristischen Burgen in einem Hochwasserschutzdeich anlegt, kann es im schlimmsten Fall gar zum Dammbruch kommen.
Genau wie der Biber seine Population steigern konnte, gelang dies auch anderen Tierarten. Die Blauschwarze Holzbiene benennt Karl Rudi Reiter als Beispiel. Noch vor zehn Jahren habe es kaum einen nennenswerten Bestand gegeben. „Die gibt es jetzt im Nordsaarland üppig." Es wird aller Voraussicht nach sogar einige Gewinner des vom Menschen verursachten Klimawandels geben, erklärt Reiter. Gerade Vögel und Insekten betreffe dies.
Millionen Arten sind immer noch bedroht
So sei mittlerweile der Graureiher wieder heimisch, der Anfang der 80er-Jahre noch verfolgt und ausgerottet wurde. Schwarzstorch und Haubentaucher würden ebenso dazugehören wie auch der Eisvogel. Vor allem betreffe es Vogelarten beispielsweise aus Südeuropa, die es lieber warm mögen und so nach Deutschland kommen. Umgekehrt wandern Tiere, die es eher kühl mögen, noch weiter in den Norden ab. Gesteigerte Populationen seien auch durch den Bau von Kläranlagen und damit höhere Wasserqualität möglich gewesen. Neben besserem Wasser für die Menschen wurde so auch „umfangreicher Naturschutz" betrieben, betont Reiter.
Doch der stellvertretende Vorsitzende stellt deutlich klar: „Das macht aber nicht die Verluste wett." Immerhin schockierte im Frühjahr der Weltbiodiversitätsrat mit der Meldung, dass in den kommenden Jahren und Jahrzehnten etwa eine Million Arten vom Aussterben bedroht seien. Daran sei der vom Menschen verursachte Klimawandel mit rund fünf Prozent noch relativ gering beteiligt. Weit größeren Anteil habe die Landwirtschaft.
Karl Rudi Reiter benennt noch weitere vom Menschen verursachten Probleme: Wohnungsbau, Siedlungserweiterungen, Gewerbe- und Industriegebiete, Verkehr mit Verschmutzung von Luft und Wasser, Nahrungsaufnahme der Menschen. Gerade in letzterem Bereich sieht Reiter großen Handlungsbedarf: „Warum kauft man fünf Kilo minderwertiges Fleisch für 30 Euro, wenn man für den gleichen Preis auch weniger, aber dafür höherwertiges Fleisch haben kann?" Es fange bereits bei der Nahrung für die Schlachttiere an. Da könne man auf Lupine oder Saubohne umstellen und müsse nicht massenweise Soja importieren. „Die Landwirtschaft müsste komplett umgestellt werden", fordert er, der selbst kein Vegetarier ist. Er weiß aber auch: „Das umzukrempeln, wird schwierig."
Eines dieser „Tausenden an Arbeitsfeldern, in denen etwas passieren müsste", ist seiner Meinung nach die Schulbildung. Hier müssten bereits die Lehrer so geschult werden, dass sie nachhaltiges Umweltwissen an die Schüler weitergeben könnten. Er erinnert daran, dass frühere Generationen vermutlich einen einfacheren, ungezwungeneren Umgang mit der Natur hatten. „Man hatte Naturkontakt, ohne Naturschützer zu sein", sagt er. Er erinnert sich an ein prägendes Erlebnis für sein Engagement im Nabu. Bei einer Kur in der Schweiz habe er ein Vogelkunde-Buch entdeckt, durch dessen Lektüre er ganz organisch für den Naturschutz sensibilisiert wurde.
Überdüngung ist ein unterschätzter Faktor
Ein weiteres sehr einfaches Mittel, um der Natur etwas Gutes zu tun, sei es, den Grünschnitt im Garten zu belassen, falls dies möglich ist. Dort können Insekten angelockt werden, sich vermehren und als Nahrungsquelle für größere Tiere dienen. Zudem kann sich so neuer Boden entwickeln. Auch einen Rasen müsse man nicht alle zwei Wochen mähen. Und warum Blumen und Pflanzen nicht einfach mal blühen lassen? „Mit einer Blühfläche von fünf Quadratmetern, anstelle von Rasen, wäre bereits viel gewonnen", betont Karl Rudi Reiter.
Über lange Jahre gab es keine exakten Daten, inwieweit die Biomasse der Arten zurückgegangen sei. Erst durch eine Studie unbezahlter Forscher des Entomologischen Vereins Krefeld aus dem Jahr 2013 wurde ein Rückgang von bis zu 80 Prozent bei Insekten festgestellt. Dies bezog sich auf zwei Messstellen im Naturschutzgebiet Orbroich, durch die man die Jahre 1989 bis 2013 vergleichen konnte. Eine weitere Studie der Universität Göttingen kam zu einem ähnlichen Ergebnis. Ein bisher weit unterschätzter Faktor ist die flächendeckende Überdüngung der Böden durch Eintrag von Luftstickstoff (NOx) und Düngung, in dessen Folge üppig wachsende Pflanzen viele andere Arten verdrängen.
Auch der Autoverkehr mit anfallender Unfallgefahr für viele Arten sowie Luftverschmutzung macht so mancher Population zu schaffen. Dabei verweist Reiter auf einen Vergleich direkt aus dem Saarland, in dem etwa 720.000 Autos zugelassen seien. Gleichzeitig seien geschätzt 70.000 bis 90.000 Hausspatzenbrutpaare heimisch. „Auf ein Paar Spatzen kommen also acht Autos", rechnet er vor, um die Dimension klarzumachen: Umweltschutz ist auch ein psychologisches Problem. Immerhin wird ja immer betont, dass sowohl das Saarland als auch Deutschland Autoländer seien.