Früher, als wir noch voll im beruflichen Saft standen, stellten wir uns das Rentner-Dasein wie das Paradies vor. Dann, endlich am lang ersehnten Ziel angekommen, genossen wir tatsächlich eine Zeit lang das süße Nichtstun. Wir schliefen morgens länger als wir müde waren, teilten uns den Tagesablauf nach Lust und Laune ein und fühlten uns endlich frei wie ein Vogel, auch wenn die Flügelschläge, ehrlich gesagt, inzwischen etwas mühsamer wurden. Nach dieser entspannten Phase holte uns jedoch die Vergangenheit ein: Hatten wir doch in unserem Rentner-Traum leichtfertigerweise vergessen, dass wir Kinder in die Welt gesetzt hatten.
Jetzt als Rentner, wo wir gerade festgestellt hatten, wie schön ein selbstbestimmter Lebensabend sein kann, mussten wir völlig unvorbereitet erfahren, dass auch unsere Kinder Nachwuchs kriegen können. Und dass Enkel wegen unverschuldeter Unreife keinerlei Rücksicht auf die Lebensplanung ihrer Großeltern zu nehmen bereit sind.
Trotzdem sind Enkel ein Geschenk. Und althergebrachte Reproduktionsmethoden sind – gepaart mit moderner Kommunikationstechnologie – ohne Zweifel auch eine echte Bereicherung für jedes gemütliche Beisammensein im Freundeskreis. Wo früher die Adressen bevorzugter Edelwinzer und Bioläden beherrschende Themen waren, stehen heute die Enkelkinder im Mittelpunkt jedes gelungenen Rentner-Abends. Beim gemeinsamen Betrachten von Handy-Fotos des jüngsten Familiennachwuchses gerät die Gesellschaft so ins Entzücken, dass man als Gastgeber die Qualität der Speisen und Getränke getrost ein wenig zurückfahren kann, ohne befürchten zu müssen, im Nachhinein Gesprächsthema streng vertraulicher Telefonate zu werden.
Was sind die bildlich vorgezeigten Enkel aber auch für putzige Gesellen. Das lohnt all die Mühen der stolzen, aber ja allenfalls mittelbar beteiligten Großeltern, sich mit Whatsapp vertraut gemacht zu haben. So können Oma und Opa dank ihrer stets eingeschalteten Mobilphones auch beim ausgeklügelten Menü quasi in Echtzeit miterleben, dass die überaus süße Enkelin Lena-Marie gerade ein entzückendes Häufchen in die Windeln abgesetzt hat. Das passt ja auch wirklich hundertmal besser zum Thema Ernährung als all die Kommentare der meist recht kritischen Gästeschar zum Garpunkt des Filetsteaks. Wenn dann am Tisch die Handys von Hand zu Hand gereicht werden, um am Enkelleben des jeweiligen Nachbarn teilzuhaben, werden schon mal Messer und Gabel beiseitegelegt und die Weingläser abgestellt, um sich den Hauptthema des abendlichen Zusammenseins zuzuwenden, den allerliebsten Kleinen. Wehe, wer da noch ohne eigene Enkel ist.
Und wenn die Enkel dann ein paar Jährchen älter sind und live zu Besuch kommen, setzen sie neue Akzente im Familienglück und bereichern zweifellos jede Rentner-Existenz: Welch unnützes Leben hatten Oma und Opa ohne Enkel? Welch kreatives Potenzial bleibt da unausgeschöpft? Heute gestalten wir auf dem Spielplatz die tollsten Sand-Kuchen, auch wenn die Enkel unser Tun meist gelangweilt ignorieren.
Während wir früher unsere Zeit mit ziellosen Waldspaziergängen verplempert haben und in Gefahr gerieten, von wilden Bestien angefallen zu werden, drängen heute die vernünftigen Enkelkinder schon nach wenigen hundert Metern besorgt zur Umkehr. Haben wir früher unseren Magen oft durch wechselnde Kost vor schier unlösbare Probleme gestellt, achten unsere Enkel heute auf ein überschaubares Ernährungsangebot aus Pommes frites und Tiefkühlpizzas, das unser Verdauungsapparat inzwischen mit links bewältigen kann.
Haben wir früher im Fernsehen oft aggressiv machende Krimis angeschaut, genießen wir heute mit den Enkeln die deutlich friedlichere Sesamstraße. Und waren wir früher in unserem steril gesäuberten Umfeld nicht anfällig für alles Mögliche? Heute haben wir uns dank der Kleinen durch ständigen Kontakt mit allen hierzulande anzutreffenden Schmutzvarianten zu robusten Senioren entwickelt, denen wohl noch das Glück beschert sein wird, sogar mal Ur-Großeltern zu werden.