Was macht ein französischer Bildhauer, wenn er ein Schloss in der Normandie erbt? Jean-Marc de Pas nahm sich den Garten vor und verwandelte ihn in einen kreativen Kosmos.
Tja, und da hatte ich plötzlich mit 21 ein Schloss geerbt", erzählt Jean-Marc de Pas. Wie in einem Traum erinnert sich der sanftmütige 56-Jährige mit den hellen Augen an einen der außergewöhnlichsten Momente seines Lebens. Was macht man da? „Ich habe sofort angefangen, einen Garten anzulegen."
Das war 1983. So trat der feinfühlige Bildhauer, der damals noch an der Kunsthochschule in Paris studierte, sein Erbe an, als Jüngster einer Familie mit neun Kindern. Das Anwesen von Château de Bois-Guilbert nahe von Rouen in der Normandie wurde bereits 1620 von seinen Vorfahren begründet. Berühmte Persönlichkeiten wie der Theaterautor Pierre Corneille verkehrten dort. Es wartete eine große Verantwortung auf den zurückhaltenden jungen Mann.
Das heutige Schloss aus roten Backsteinen im abgelegenen Dorf Bois-Guilbert stammt von 1780. „Bis ins 19. Jahrhundert gab es noch einen Schlossgarten", beschreibt de Pas die Geschichte. „Doch ab dem 20. Jahrhundert wurden die Flächen nur noch landwirtschaftlich genutzt. Der einstige Garten war verschwunden." Zu dem Zeitpunkt, als er das Anwesen erbte, umgab das Schloss eine Ponywiese. Sein Vater hatte dort einen der ersten Pony-Clubs Frankreichs gegründet. Sofort begann der Normanne zu planen. Denn er hatte einen Traum: Als Bildhauer sehnte er sich nach einem Garten für seine Skulpturen. Seine Berufung als Künstler sollte sich nun mit dem Schicksal und seiner Herkunft vereinigen. Schon wenig später legte er das Areal neu an. Gemeinsam mit seinen Geschwistern verwandelte er über die Jahre zerfurchte Äcker in einen großen, einmaligen Garten. Man könnte auch sagen, in sieben Hektar Traumland.
Er erfand den Garten um die historischen Gebäude herum völlig neu. Rund 7.000 Bäume und Sträucher pflanzte er mit der Unterstützung von Freunden selbst an. Da er früher auch eine Ausbildung als Holzrestaurator absolviert hatte, kannte er sich mit Holz und seinen unterschiedlichen Eigenschaften gut aus.
Rund 7.000 Bäume und Sträucher pflanzte er
Die Weitsicht des Bildhauers beeindruckt. „Ich pflanze für die Zukunft, vor allem Bäume für Jahrhunderte", erläutert der schlanke Mann in einer ruhigen Weise, „denn die müssen erst wachsen, bevor sie wirken." Nichts anderes haben die großen Landschaftsarchitekten wie der Franzose André Le Nôtre oder der Deutsche Peter Joseph Lenné auch getan: Die wachsende und Jahrzehnte später vollendete Gesamtkomposition des Gartens wohl vorhersehend zu planen und zu pflanzen. Eine nicht nur kreative, sondern auch planerische Leistung.
Sein „Kreis aus Sequoias" ist schon reichlich gewachsen. Wie mit einem Ring umschließen die Bäume dieser nordamerikanischen Art eine Wiese mit Kunstwerken. „Diese Bäume waren die ersten, die ich einsetzte", erinnert sich der leidenschaftliche Baumpflanzer. „Wir profitieren dafür heute vom 17. Jahrhundert, als etwa unsere uralte Kastanie gepflanzt wurde." Manchmal gesellt der Pflanz-Künstler bewusst junge Bäume zu den ganz alten.
„Ich bin ein ‚amoureux de la nature‘, ein Naturliebhaber", gesteht der Franzose, der auch einen Doktortitel in Philosophie hat. Der Gang durch seinen Garten belegt seine Naturliebe. Mit Hingabe sind die Pflanzen für die Kunst gesetzt oder vielleicht doch umgekehrt? „Es geht mir darum, der Materie eine Seele zu geben. Darum bin ich Künstler."
Da ist zum Beispiel diese an einen Menschen erinnernde Figur, kugelig hockend, eine Eigenkreation. De Pas hat um sie herum einen Ring aus Eiben gepflanzt, der mit den Jahren über der Skulptur langsam wie ein Dach zusammenwächst. Sonne kommt auf die Figur nur noch durch das runde Loch in der grünen Decke. Eine Art Lichtung entstand. Dort wartet der Mensch einsam – wie ein Samenkorn, auf dass sich alles entwickele. Ein Ort der Hoffnung.
„Ich habe eben eine poetische Vision von der Natur", sagt er in einer seelenvollen Weise. Nach dem Diplom an der Kunsthochschule in Paris eröffnete er 1989 sein Atelier auf dem Schlossgelände. Es ist allein schon einen Besuch wert. Dort stehen unzählige Figuren und Figürchen herum, Kunstwerke in verschiedenen Stadien. Ein Werkstatttheater mit Atmosphäre! De Pas gibt dort auch Kurse für Bildhauerei.
Er war sieben, als seine Mutter starb
Das Abstrakte ist nicht dieses Künstlers Welt. Der Bildhauer arbeitet lieber figürlich. Zu Beginn war das nicht so einfach, da in den 80er-Jahren das Figurative noch verpönt war. Das hat sich mittlerweile gewandelt. De Pas stellt Menschen dar. Vor allem Frauen. Glückliche Wesen, zumindest für den Augenblick. Manchmal scheinen sie der Realität leicht entrückt.
Und dann sind da diese Liebespaare im Park – alle aus Bronze. Eines liegt in einer endlosen Wiese, wie in einem Beet, als wolle es sich mit dem Gras vereinigen. Ein anderes hockt eng umschlungen am Boden und schaut glücklich und verträumt aus dem Garten in die offene Landschaft, in die Ferne. Geht der Blick auf die weiten Felder in die Vergangenheit oder in die Zukunft? De Pas hat die Zartheit des Augenblicks eingefangen.
Wohl durchdacht teilte er den Garten durch Hecken, Wege, Alleen und Zirkel in Räume auf, die poetische und symbolische Namen tragen. Sie klingen wie verschlüsselte Botschaften: „Kreuzgang der vier Jahreszeiten", „Labyrinth, Garten des Kosmos" oder „Insel im Meer". Dies erweist sich als Teich mit einer hohen Hügelinsel. Ganz oben steht eine Frauenfigur, strahlend, aufbruchfreudig, als wolle sie die Welt umarmen.
In einem geschlossenen Heckenkarree symbolisieren vier schlanke weibliche Figuren die vier Jahreszeiten, jede in einer Ecke für sich. Ein Stück weiter verbildlichen fünf Frauen aus Bronze in historischen Kleidern die Kontinente, die von Beeten, geformt wie Tortenstücke, repräsentiert werden.
Für Jean-Marc de Pas ist das Leben voller Symbolik. Sein „Jardin du temps" etwa, der „Garten der Zeit", erweist sich als Reflexion über Raum und Zeit. Für den belesenen und gebildeten Kunstschaffenden hat alles auch eine tiefere Ebene. Kunst und Natur bilden bei dem Garten-Bildhauer eine Sprache jenseits der Worte.
Doch die Besucher können den Park von Bois-Guilbert auch ohne Hintergrundwissen durchschreiten und einfach genießen. Mal sind die Gäste einfach nur Zuschauer, mal werden sie Teil eines inszenierten Bildes. Und falls dann noch der typische Nebel der Normandie aufzieht, ist das Setting perfekt.
Immer möchte der empfindsame Künstler Emotionen wecken und die Sinne bezirzen. Und sollte der Parkflaneur seine Antennen auf Empfang stellen, wird er einen Garten mit einer Aura von Unendlichkeit entdecken.
Auch andere Künstler nutzen Schlosspark für ihre Werke
Feminin wirkt der Landschaftspark an vielen Stellen. All die Frauenfiguren – eine weilt am Ufer des Teiches und träumt wohlig mit geschlossenen Augen vor sich hin, eine andere schläft in Embryohaltung zwischen den Grashalmen, und die nächste spaziert aufrecht und nackt über die Wiese.
Und die Frauen in seinem Leben? Seine Mutter hat er verloren, als er sieben Jahre alt war. Seine Ehefrau heißt Stéphanie und bewohnt mit ihm die erste Etage des Schlosses. Das kinderlose Paar hat eine klare Arbeitsaufteilung. Sie kümmert sich um das Personal, das Büro und die Verwaltung des Anwesens, das jährlich 16.000 Besucher zählt. Er entwickelt den Garten weiter und macht Kunst. Zumeist sind dies Aufträge für den öffentlichen Raum. Seine großen Skulpturen stehen in Rouen, Honfleur oder Paris. Im Jardin Bois-Guilbert haben mehr als 70 Skulpturen ihren festen Platz, 30 wechseln. Dieser normannische Garten wirkt wie ein lebendes Werk, in dem es sich herumspazieren lässt. Dem Schlossherrn gefällt es, wenn sich die Besucher im Park wohlfühlen. „Die Menschen werden Teil meines Gesamtkunstwerkes. Sie machen Fotos, erleben gute Emotionen", sagt er, „sie haben Frieden hier." Harmonie scheint für ihn essenziell zu sein. „Ich suche die Harmonie von Kunst, Natur und Kosmos."
Aber auch Ironie und Witz blitzen im Garten von Bois-Guilbert immer wieder durch. So wartet auf den mutigen Besucher, der sich in den Irrgarten aus Buchsbaum gewagt hat, am Ende des verschlungenen Weges Pinocchio. Frech sitzt er da aus Metall und meint vielleicht: „Geschafft!"
Auch andere Künstler nutzen den Schlosspark, um ihre Werke in eine grüne Szene zu setzen. Alle zwei Jahre findet zwischen den Pflanzen die „Biennale de Sculpture de Bois-Guilbert" statt. Eine Schau zeitgenössischer Werke von Künstlerkollegen.
Der Garten-Bildhauer pflanzt immer noch neue Bäume. Der Baum ist einfach seine bevorzugte Pflanze im Garten. Erst spät kamen Blumen dazu. „Doch inzwischen suche ich nach seltenen Bäumen. Ich will mehr Vielfalt!"
Und für jeden neuen Teilgarten wird lange geplant, ein eigenes Sujet auserkoren. „Ich lese mich dann lange in die Philosophie des Themas ein." Zuletzt ging es um den Garten der „Geschichte des Lebens". Er soll die Menschheitsgeschichte beschreiben, die Evolution mit Pflanzen aus der Urzeit, wie Moose, Farne, Ginko und Sequoia.
Zunächst wird der Garten gezeichnet, auf dem Papier komponiert. Da spannt der Garten-Enthusiast den großen Bogen. Es wird wohl ein visionärer, ein metaphysischer Garten werden.
„So entwickle ich meinen Skulpturengarten ständig weiter", erläutert de Pas, „und der Garten entwickelt sich selbst auch weiter. Ich hoffe, später, etwa im Jahr 2040, meinen Garten im Zustand der vollen Reife erleben zu dürfen." Der Wunschtraum eines Künstlers, dessen Lebensprojekt eine Hymne an die Natur ist.