Die noch immer weiter voranschreitende Bodenversiegelung mit gravierenden ökologischen Folgen ist ein großes Problem für die deutsche Nachhaltigkeitsstrategie. Aktuell sind schon 46 Prozent der Siedlungs- und Verkehrsflächen zubetoniert.
Obwohl die Siedlungsdichte in Deutschland trotz der vermehrten Zuwanderung seit Jahren rückläufig und nur in den größten Städten seit 2011 ein gegenläufiger Trend zu beobachten ist, ist eine stetige Zunahme der Siedlungs- und Verkehrsflächen (SuV) zu verzeichnen. Das bedeutet nichts anderes, als dass die Fläche der Bundesrepublik zunehmend versiegelt wird, sprich etwa 46 Prozent aller SuV sind hierzulande bereits bebaut, betoniert, asphaltiert, gepflastert oder anderweitig verschlossen. Zwischen 2014 und 2017 wurden täglich 58 Hektar zusätzlich neu für Siedlungs- und Verkehrszwecke in Anspruch genommen. Im Rahmen der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie hatte die Bundesregierung schon 2002 beschlossen, dieser aus ökologischer Sicht bedenklichen Entwicklung gegenzusteuern und daher das Ziel vorgegeben, den täglichen Zuwachs an SuV bis zum Jahr 2020 auf 30 Hektar zu reduzieren. 2016 wurde die Zielvorgabe zeitlich erweitert, demzufolge soll der SuV-Zuwachs bis zum Jahr 2030 „weniger als 30 Hektar" betragen. Das Umweltbundesamt hat in seinem Umweltprogramm für das Jahr 2030 sogar die ambitionierte Vorgabe 20 Hektar in den Raum gestellt.
Aber wie bei den meisten Klimazielen ist Deutschland auch in Sachen täglichem SuV-Zuwachs derzeit noch weit davon entfernt, die erhofften Werte erfüllen zu können. Das Umweltbundesamt musste Mitte 2018 einräumen, dass „die tägliche Umwidmung von unbebautem Boden in bebaute oder anderweitig genutzte Flächen in Deutschland bei circa 66 Hektar am Tag" liege. Obwohl im Vergleich zu früheren Jahren schon eine deutliche Verbesserung eingetreten ist, denn zwischen 1997 und 2000 lag der tägliche Anstieg im Schnitt noch bei 129 Hektar, was in etwa 180 Fußballfeldern entspricht. Aber inzwischen werden immer häufiger auch unbebaute Flächen mit Beton oder wassergebundenen Decken verschlossen und damit teilweise versiegelt.
Weit entfernt von Klimazielen
Das alles zusammengenommen hat besonders in den Ballungsräumen gravierende negative Folgen für Mensch und Umwelt. Flächen, die versiegelt sind, verlieren ihre Fähigkeit zur Regulierung des Mikroklimas und können daher speziell im Sommer keinen Beitrag mehr zur Milderung der Überhitzung oder des Temperaturanstiegs in den Städten leisten. Neu erschlossene SuV verursachen automatisch zusätzlichen Verkehr mit entsprechenden Lärm- und Schadstoffbelastungen. Das offensichtlichste Problem übermäßiger Bodenversiegelung sind die negativen Auswirkungen auf den Wasserhaushalt. Zum einen kann Regenwasser weniger gut versickern und die lokalen Grundwasservorräte auffüllen, zum anderen steigt das Hochwasserrisiko enorm an, weil bei starken Niederschlägen die Kanalisation oder die Vorfluter die oberflächlich abfließenden Wassermassen nicht mehr fassen können. Dass auch die Artenvielfalt durch Zerschneidung oder Zerstörung natürlicher Lebensräume beeinträchtigt wird, dürfte sich von selbst verstehen. Nennenswert ist auch die Zersiedelung landwirtschaftlicher Flächen oder der direkte Verlust der vormals landwirtschaftlich genutzten Böden, noch wird mehr als die Hälfte der deutschen Fläche agrarisch genutzt, doch der Anteil sinkt ständig zugunsten von SUV. Eine etwaige künftige landwirtschaftliche Wiedernutzung wird nach Zerstörung der Bodenfruchtbarkeit durch Versiegelungen nahezu unmöglich gemacht.
Treiber des Wachstums der Siedlungsflächen, zu denen neben Häusern und gewerblichen Gebäuden auch Parks und Grünanlagen, Kleingärten, Sport- und Freizeitanlagen, Campingplätze oder Friedhöfe gezählt werden, sind die privaten Haushalte mit ihren wachsenden Platzbedürfnissen und Wohnkomfortwünschen, die Wirtschaft mit ihrer Vorliebe für Standorte auf der grünen Wiese sowie Städte und Kommunen, die sich durch Erschließung immer neuer Wohn- und Gewerbegebiete das Anlocken zusätzlicher Einwohner oder Steuerzahler erhoffen. Die Ausweitung der Verkehrsflächen, die nicht nur aus Straßen bestehen, sondern zu denen auch Wege, Plätze, Eisenbahnlinien, Böschungen, Seiten- und Mittelstreifen oder sonstige Nebenflächen gehören, ist eine logische Folge der Erschließung neuer Wohn- und Gewerbegebiete. Zudem wird von der öffentlichen Hand ein stetiger Ausbau der überörtlichen Verkehrsinfrastrukturen erwartet, auch in ländlichen Gebieten zählt die Förderung des Wegenetzes zu den dringendsten kommunalen Angelegenheiten.
In Städten ist der Versiegelungsgrad logischerweise stets höher als in ländlichen Gebieten. Unter den 50 einwohnerstärksten Städten Deutschlands hat lediglich Potsdam einen Versiegelungsgrad von gerade mal 12,7 Prozent und ist damit die grünste Metropole der Republik. Das ging jedenfalls aus einer Untersuchung hervor, die im Auftrag des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) von dessen Tochterfirma VdS Schadensverhütung durchgeführt und im Herbst 2018 veröffentlicht wurde. Am anderen Ende der Rankingskala steht demnach München mit einem Versiegelungsgrad von 46,6 Prozent, die Isarmetropole ist daher die am stärksten zubetonierte Großstadt der Republik, dicht gefolgt von Oberhausen (44,2 Prozent), Hannover (42,6 Prozent) und Ludwigshafen (42,3 Prozent). Berlin ist mit 39 Prozent auf Platz acht gelandet. Neben Potsdam schnitten auch Städte wie Erfurt, Hagen, Heidelberg, Saarbrücken (18,5 Prozent), Münster, Hamm oder Freiburg mit Werten unter 20 Prozent vergleichsweise gut ab.
Natürlich nahm die Versicherungsbranche die Untersuchung zum Anlass, den Bürgern eine Erweiterung ihrer Policen Richtung „erweitertem Naturgefahrenschutz" zum Abdecken von Schäden durch Überflutungen nahezulegen, da angeblich erst 41 Prozent der Hausbesitzer über einen Komplettschutz verfügten. „Viele Stadtbewohner glauben, Überflutungen betreffen sie nicht. Das ist ein Irrglaube", so der GDV. Dieser forderte gleichzeitig aber auch die Stadt-Verantwortlichen dazu auf, Vorkehrungen gegen Extremregen zu treffen und ein effektives Regenwassermanagement aufzubauen. Das Umweltbundesamt rät zur Eindämmung der negativen Folgen der Versiegelung und zum Erreichen der Nachhaltigkeitsziele zu „zielführenden planerischen, rechtlichen und ökonomischen Instrumenten zum Flächensparen" und regt zudem einen Handel mit Flächenzertifikaten an, analog zum Emissionshandel mit Treibhausgasen. Mit einigen Kommunen habe ein Planspiel mit dem Flächenzertifikaten-Handel schon erfolgreich erprobt werden können.
Freie Flächen nur auf Truppenübungsplätzen
Der „Spiegel" hatte Ende August in einem Beitrag zum Thema Versiegelung auf einen weiteren Aspekt aufmerksam gemacht: Nämlich auf den hohen Grad der Bebauung in Deutschland. Unter Berufung auf eine im Fachmagazin „Landscape and Urban Planing" jüngst publizierte Studie eines Teams um Martin Behnisch vom in Dresden ansässigen Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung wurde vom „zubetonierten Deutschland" gesprochen. Weil man überall hierzulande mit einer Wahrscheinlichkeit von 99 Prozent innerhalb eines Radius von gerade mal 1,5 Kilometern auf ein Gebäude mit wenigstens zehn Quadratmetern Grundfläche treffen wird, egal ob es sich dabei um ein Wohnhaus, ein Fabrikanwesen, eine Gartenlaube oder einen Schafstall handelt.
Wer dennoch mal absolute Einsamkeit genießen möchte, der sollte sich gar nicht erst auf die Suche nach Naturschutzgebieten begeben: Laut der Studie besteht die größte Chance auf eine von Gebäuden weitestgehend freie Fläche zu treffen ausgerechnet bei diversen Truppenübungsplätzen. Der Zugang dürfte allerdings schwierig und gefährlich werden, einzig der ehemalige Truppenübungsplatz Kyritz-Ruppiner Heide in Brandenburg bietet sich als echte Besuchsmöglichkeit an. Aber auch dort ist das nächstgelegene Gebäude weniger als fünf Kilometer entfernt. Die Ergebnisse der Studie zeigten laut Behnisch auch, wie dringend notwendig es sei, „in Deutschland mehr für den Flächenschutz und auch für die Entsiegelung von Böden zu unternehmen."