Ein ganzes Jahr lang feiern die Niederlande 2019 ihren neben Vincent van Gogh größten Malerfürsten. Rembrandt van Rijn musste in seinem Leben den Sturz vom bewunderten Star zum verschmähten Bankrotteur verkraften und geriet nach seinem Tod 1669 fast zwei Jahrhunderte in Vergessenheit.
Was William Shakespeare für die Briten ist, ist Rembrandt van Rijn für die Niederländer: ein Nationalheld. Das war nicht immer so, denn schließlich war der Schöpfer der „Nachtwache", Hollands künstlerischem Nationalheiligtum, in der breiten Öffentlichkeit fast 200 Jahre lang in Vergessenheit geraten. Ein Schicksal, das er übrigens mit seinem heute genauso bekannten Landsmann Jan Vermeer, dem Goldenen Zeitalter der holländischen Malerei und der niederländischen Geschichte, teilen sollte. Viel scheint dafür zu sprechen, das neben dem wirtschaftlichen Ruin des vormals reichen und gefeierten Künstlers Rembrandt, der nach seinem Tod am 4. Oktober 1669 nur in einem Armengrab in der Amsterdamer Westerkerk beigesetzt werden konnte, vor allem das malerische Spätwerk ab 1651 dafür verantwortlich war.
Ähnlich wie beim revolutionären Spätwerk des 1851 verstorbenen britischen Magiers William Turner, der als Maler von „Licht und Farbe" durchaus künstlerisch mit Rembrandt verwandt war, konnten die Zeitgenossen mit van Rijns neuem, experimentierfreudigem, fast schon expressionistischem Malstil wenig anfangen. Zu weit war diese Technik vom allgemein gültigen ästhetischen Geschmack des 17. Jahrhunderts entfernt.
Rembrandt ersetzte dabei die feinen durch breite Pinselstriche, er scheute auch nicht davor zurück, die Farbe geradezu ruppig mit Spachtel oder Palettenmesser aufzutragen und das Ganze mithilfe des Pinselstiels ritzend zu überkratzen. In den Augen der meisten Zeitgenossen war das Schlamperei, die Bilder mit ihrer teilweisen Auflösung der Umrisse und des Zerfließens der dargestellten Objekte hatten für sie die Anmutung des Amateurhaften, Unfertigen und Hässlichen.
Das Verdikt über Rembrandts Spätwerk hielt sich jahrhundertelang, erst 2014 wurden die Schöpfungen aus seinen letzten Lebensjahren erstmals in einer großen Ausstellung der Londoner National Gallery in London ausführlich gewürdigt. Vincent van Gogh hatte das Fortschrittliche an Rembrandts Spätwerk viel früher entdeckt und sich geradezu enthusiastisch über das Gemälde „Die jüdische Braut" aus dem Jahr 1867 geäußert. Die häufig diskutierte Vermutung, die Entwicklung dieses besonderen Stils sei lediglich die Folge nachlassender körperlicher Fähigkeiten gewesen, wurde inzwischen aufgegeben. Der weltweit anerkannte niederländische Rembrandt-Spezialist und Kunsthistoriker Ernst van de Wetering glaubt stattdessen, dass Rembrandt die „Nachtwache" als Abschluss und Höhepunkt seines bis dahin verfolgten Schaffens angesehen und sich danach ganz bewusst auf die Suche nach einem neuen Stil begeben hatte. Einem Stil, mit dem er sich vor allem auch vom konkurrierenden Nachwuchs abheben konnte, der sich in zunehmendem Maße vom fließenden, oft idealisierenden Barockstil eines Peter Paul Rubens inspirieren ließ.
Sein Werk umfasst etwa 350 Gemälde
Apropos Rubens: Der flämische Malerfürst sollte maßgeblich für die Rembrandt-Renaissance in den Niederlanden verantwortlich zeichnen. Denn nach der Loslösung Belgiens, der Südlichen Niederlande, von Holland, den Nördlichen Niederlanden, im Jahr 1830, wurde Rubens zum belgischen Nationalheiligen aufgebaut – was die Niederlande durch Kürung Rembrandts zum eigenen Nationalhelden beantworteten. In der Kunstgeschichte wird daher offiziell mit den Protagonisten Rembrandt und Rubens zwischen holländischer und flämischer Malerei des 17. Jahrhunderts unterschieden. Der Rembrandt-Kult nahm durch die Aufstellung eines ersten Denkmals in Amsterdam im Jahr 1852 und durch die Etablierung der Rembrandt-Ehrengalerie 1885 nach den Plänen von Pierre Cuypers fertiggestelltem Amsterdamer Rijksmuseums seinen Anfang.
Die Zahl der Rembrandt zugeschriebenen Werke sollte nicht zuletzt dank weltweiter Sammlernachfrage bis auf 637 Gemälde in dem lange verbindlichen, vom niederländischen Kunsthistoriker Abraham Bredius 1937 erstellten Werkskatalog ansteigen. In einem aufwendigen, 46 Jahre dauernden Forschungsprogramm namens „Rembrandt Research Project" wurde bis 2014 die Zahl der Gemälde auf rund 350 reduziert, wobei prominente Werke wie „Der Mann mit dem Goldhelm" aus der Gemäldegalerie Berlin auf der Strecke blieben. Dazu gilt Rembrandt heute als Schöpfer von rund 1.000 Zeichnungen und etwa 300 Radierungen.
Am meisten wird Rembrandts Malerei, die er ganz selbstbewusst wie vor ihm nur die größten Renaissance-Künstler Tizian, Raffael oder Michelangelo allein mit seinem Vornamen signierte, heute wegen ihrer dramatischen Lichtregie bewundert – dem kontrastierenden Hell-Dunkel-Effekt. Den hatte eigentlich der 1610 verstorbene italienische Frühbarockmeister Caravaggio erfunden, dessen Spotlight-ähnliche Bildausleuchtung Rembrandt jedoch deutlich abwandelte, wodurch das Abgebildete weniger plastisch hervorsprang und die Szenerie eher durch ein glimmendes, waberndes Leuchten erhellt wurde.
Porträtmalerei sorgte zunächst für Wohlstand
Ein gutes Beispiel dafür ist fraglos „Die Anatomie des Dr. Tulp" aus dem Jahr 1632. Bei diesem Meisterwerk kann auch eine weitere Stärke des Meisters bewundert werden: sein messerscharf darstellender Realismus. Er malte getreu der Devise „naer het leven" (nach dem Leben). Das konnte so weit gehen, dass er beispielsweise bei seinem Opus „Die Blendung Simsons" aus dem Jahr 1636 wie auch später nochmals beim Gemälde „Die Verschwörung des Claudius Civilis" von 1661/1662 dem zeitgenössischen Betrachter tatsächlich eine schockierend leere Augenhöhle zumutete.
Im Unterschied zum Großteil seiner holländischen Kollegen, die sich auf bestimmte Motive wie Landschaft, Seestück oder Vanitas-Stilleben spezialisiert hatten, um im gerade entstehenden Kunstmarkt schneller und bei gleichbleibend hoher Qualität produzieren zu können, deckte Rembrandt fast alle Facetten des barocken Themenkatalogs mit der sowohl biblischen als auch antik-mythologischen Historienmalerei als ungekröntem Primus inter pares ab. Nicht unerwähnt soll die lukrative Porträtmalerei bleiben. In diesem Bereich konnte Rembrandt dank der gut drei Jahre dauernden Zusammenarbeit mit dem Amsterdamer Kunsthändler Hendrik van Uylenburgh Spitzenpreise von reichen Kaufleuten verlangen. Bis 1634 malte er fast die Hälfte seiner gesamten Porträts. Darunter waren auch viele der insgesamt 80 Selbstdarstellungen, die reißenden Absatz fanden und mit deren Hilfe Rembrandt so etwas wie Markenpflege oder eine Frühform des Branding betrieb.
Rembrandt Harmenszoon van Rijn wurde am 16. Juli 1606 in Leiden als zweitjüngstes von insgesamt neun Kindern einer wohlhabenden Müllers-Familie geboren. Nach dem Besuch der Lateinschule sollte er 1620 eigentlich ein Studium an der philosophischen Fakultät seiner Heimatstadt beginnen, entschied sich jedoch kurzfristig für das Erlernen des angesehenen Malerhandwerks. Nach Ausbildungsjahren bei Jacob Isaacsz van Swanenburgh und Pieter Lastmann eröffnete er 1625 in Leiden gemeinsam mit Jan Lievens eine Ateliergemeinschaft. Aus diesem Jahr stammte auch das erste erhaltene Frühwerk mit dem Titel „Die Steinigung des heiligen Stephanus".
Der große Meister starb 1669 völlig verarmt
Nach ersten Erfolgen wie dem Verkauf zweier Bilder an die englische Krone zog Rembrandt wohl Ende 1631 nach Amsterdam, wo er in die Dienste von Hendrick Uylenburgh trat, der ihm interessante Aufträge vermitteln konnte. Im Juli 1634 heiratete er Saskia van Uylenburgh, die Nichte seines Kunsthändlers und seine künftige Muse. Zudem machte er sich als Meister selbstständig, seine Werkstatt sollten 50 zahlende Schüler durchlaufen. Die Geschäfte liefen blendend. Um seinen sozialen Aufstieg zu dokumentieren, erwarb er 1639 ein repräsentatives Haus für stolze 13.000 Gulden auf Pump – ein finanzielles Unterfangen, das ihm später das Genick brechen sollte.
Zunächst wurden die van Rijns von den Reichen der Stadt hofiert, nur das Kinderglück sollte sich nicht dauerhaft einstellen. Erst das vierte Kind, Titus, überlebte, dafür musste Rembrandt ein Jahr später 1642 den Tod seiner Frau verkraften, nachdem er wenige Tage zuvor die „Nachtwache" fertiggestellt hatte. Saskias Tod stürzte Rembrandt in eine Schaffenskrise, die er zunächst auch nicht durch Affären mit seinen Hausangestellten Geertje Dircx und Hendrickje Stoffels überwinden konnte. 1656 folgte der Konkurs, Rembrandt wurde als geschäftsunfähig erklärt. Er konnte nach seinem Umzug in ein kleines Haus in der Roozengracht nur noch als Angestellter in der von seinem Sohn und Hendrickje Stoffels 1660 gegründeten Kunsthandlung Bilder verkaufen. Nachdem auch noch seine beiden letzten Stützen gestorben waren, musste Rembrandt seine letzten Tage auf Erden völlig mittellos verbringen.