Die SPD hat die erste Etappe zur neuen Doppelspitze durch die Mitgliederbefragung geschafft. Soviel innerparteiliche Basisdemokratie kommt bei manchem Genossen nur bedingt an. Gerade mal die Hälfte der Mitglieder beteiligte sich.
Das gab es so auch noch nicht: Ein CDU-geführtes Kanzleramt entscheidet beim zukünftigen SPD-Vorsitz mit. Nach dem ersten Durchgang zur Wahl der SPD-Doppelspitze stehen nun zwei Teams zur Stichwahl: Norbert Walter-Borjans – in der SPD kurz NoWaBo genannt – mit Saskia Esken (21 Prozent) und Olaf Scholz mit Klara Geywitz (22,7 Prozent). Die Letzteren stehen für eine Fortführung der großen Koalition, NoWaBo und Esken hingegen wollen eher raus aus der Regierungsverantwortung, so wie auch die linke Mehrheit der SPD-Mitglieder. Will Finanzminister Scholz tatsächlich noch eine realistische Chance mit Klara Geywitz bei der Stichwahl haben, braucht er auf Regierungsebene nicht nur einen Erfolg, sondern einen echten Kracher, mit denen er die Linken in der SPD überzeugen kann. Diesen Kracher könnte ihm wohl nur Kanzlerin Merkel kredenzen: Die bedingungslose Grundrente. In der Union gibt es dagegen erheblichen Widerstand, nur das Machtwort der Kanzlerin kann die Grundrente ohne Bedarfsprüfung noch rechtzeitig auf den Weg bringen. Das heißt bis zum 19. November. Da beginnt die Stichwahl in der SPD und bis dahin braucht das regierungsfreundliche Duo Scholz/Geywitz diesen Erfolg.
Die bei der Mitgliederbefragung Zweitplatzierten NoWaBo/Esken haben bereits kurz nach der Stichwahlentscheidung gegenüber FORUM klargemacht, dass ihnen nicht bange ist. „Auch wenn wir bei der Mitgliederbefragung jetzt nur auf dem zweiten Platz gelandet sind, liegen die Vorteile jetzt bei uns. Denn die Stimmen, die auf die anderen vier Teams gefallen sind, dürften nun bei der Stichwahl zum größeren Teil bei uns landen", ist sich Saskia Esken sicher. Und die 58-jährige Bundestagsabgeordnete könnte Recht behalten. Der Stimmunterschied zwischen Scholz/Geywitz (48.500) und NoWaBo/Esken (45.000) ist gering.
Langer Weg zum gemischten Doppel
Am 29. November steht fest, wer beim Bundesparteitag zur neuen Doppelspitze antritt. Doch die gut 600 Delegierten auf dem SPD-Bundesparteitag sind nicht an das Votum des Mitgliederentscheids der Partei gebunden. Damit behalten sie also weiterhin das letzte Wort und wählen schlussendlich dann die Doppelspitze. Dieses Verfahren folgt formal dem Parteistatut, was einigen SPD-Oberen in der Parteizentrale an der Berliner Stresemannstraße gar nicht unrecht sein dürfte, trauen sie ihren „einfachen" Parteimitgliedern doch nicht so recht über den Weg. Mutig und vor allem basisdemokratisch wäre es gewesen, hätte man das Mitgliedervotum allein bindend gemacht. Doch offenbar schreckte man nicht nur vor dem alleinigen Votum der Mitglieder, sondern auch vor dem noch größeren Organisationsaufwand zurück. Denn dann hätten sich die 600 Delegierten erst mal auf dem Parteitag für das Basis-Verfahren entscheiden und anschließend dann das formal bindende Votum auf einem weiteren Parteitag besiegeln müssen. Die Kosten wären endgültig durch die Decke gegangen. Bis jetzt werden die Kosten für das einfache Verfahren auf etwa 1,3 Millionen Euro taxiert. Abgesehen vom Zeitaufwand und der Zeitschiene. Spätestens im Herbst/Winter nächsten Jahres muss die SPD schon wieder einen Bundesparteitag veranstalten. Denn bei dem jetzt anstehenden im Dezember wird man inhaltlich nicht weit kommen. Man steht derzeit immer noch da, wo man nach Martin Schulz und vor Andrea Nahles auch schon war: bei personellen Fragen. Will die SPD tatsächlich einen Neubeginn, dann braucht sie auch ein neues Parteiprogramm. So etwas, wie das Godesberger Programm, also einen Aufbruch wie 1959, der in Willy Brandt als Bundeskanzler zehn Jahre später gipfelte.
Das aber ist beim derzeitigen Zustand und erst recht nach der Wahl in Thüringen nicht in Sicht.
Die einzige Parole, die in den vergangenen acht Wochen auch schon bei den 23 Regionalkonferenzen hoch und runter diskutiert wurde, hieß schlicht: „Raus aus der großen Koalition!", wobei Opposition ohne wirkliche Inhalte vermutlich noch schädlicher für die ramponierte Partei ist, als ohne wirklich neue Inhalte in der Regierung sitzen zu bleiben. Darum wird die SPD-Bundestagsfraktion in der ersten Novemberwoche mit einer großen Pro-Groko-Kampagne beginnen. Bereits im Koalitionsvertrag wurde für diesen Herbst eine Halbzeitbilanz vereinbart, um zu schauen, ob sich das Weiterregieren noch lohnt. Die SPD-Bundestagsfraktion sagt, entgegen der Partei, ganz klar: „Ja". Darum werden bis Mitte November nicht nur die SPD-Bundesminister darüber berichten, wie erfolgreich ihr Tun in den letzten 18 Monaten war. Das alles soll selbstverständlich dem Team Scholz/Geywitz helfen, die ja auch weiter regieren wollen. Und die Abgeordneten der Fraktion dürften ebenfalls kaum großes Interesse an vorgezogenen Neuwahlen verspüren. Selbst die Bertelsmann Stiftung kommt in einer Studie just Ende Oktober, passend zur Stichwahl, zu dem Ergebnis: „Die Sozialdemokraten haben sich in der Groko inhaltlich klar durchgesetzt." Was im Übrigen ebenso kaum bestritten wurde wie es der SPD bei Wahlen bislang geholfen hätte.
Programmpartei braucht Programm
Doch auch wenn das Team Scholz/Geywitz dem NoWaBo/Esken-Duo in der Stichwahl unterlegen sein sollte, ist noch nicht aller Tage Abend für die Groko-Befürworter. Denn nirgendwo in der SPD-Satzung steht genau drin, wie denn so ein Regierungsausstieg der SPD im Winter 2019 funktionieren sollte. Werden NoWaBo/Esken Parteivorsitzende, können sie die Regierungsbeteiligung nicht einfach so aufkündigen. Sie müssten der Bundesfraktion empfehlen, die Regierung zu verlassen. Doch die Fraktion wird dann darauf drängen, zu dieser Frage erneut eine Urwahl abzuhalten, wie im Januar 2018 beim Wiedereinstieg.
Doch bevor es dazu überhaupt kommt, sich solchen Szenarien zu widmen, könnte die ganze derzeitige Wahlprozedur zur ersten SPD-Doppelspitze vor Gericht landen. Der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Peter Danckert bezweifelt, dass das laufende Verfahren „rechtlich einwandfrei" ist. Sein Einwand: Wer online abstimmt, kann das kostenlos tun. Briefwähler müssen für ihre beiden Stimmen 1,60 Euro Porto ausgeben. „Das beeinträchtigt die Wahlbeteiligung und verzerrt damit das Wahlergebnis", so Danckert. Er sieht darin vor allem ältere Mitglieder im Nachteil. Und die gelten als weitaus Scholz-freundlicher als etwa die Jusos.
Rechtsanwalt Danckert hat schon einmal einen wichtigen Prozess gewonnen hat. Im Jahr 2011 hat er erfolgreich vor dem Bundesverfassungsgericht gegen eine wichtige Euro-Rettungsschirm-Bestimmung geklagt. Ähnliches könnte dem Verfahren drohen, das für die gebeutelten Sozialdemokraten eine Art Rettungsschirm hätte sein sollen.