Der Syrien-Vorstoß von AKK scheitert am machtpolitischen Gewicht Russlands
Selten hat ein Politiker einen derartigen Stich ins Wespennest gewagt wie Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU). Ihr Vorstoß, in Nordsyrien eine international kontrollierte Schutzzone einzurichten, hat in der Innenpolitik heftige Reaktionen ausgelöst. Zu unausgegoren, zu unkonkret, zu wenig abgestimmt, echauffierte sich der düpierte Koalitionspartner SPD im Schulterschluss mit der Opposition. Selbst in der Union gab es Querschüsse. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, stellvertretender CDU-Chef und möglicher Konkurrent um die Kanzlerkandidatur, mäkelte an der mangelnden Koordinierung und der schwammigen Ausformulierung des AKK-Vorschlags herum.
In der Außenpolitik war das Echo bestenfalls lauwarm. Die Nato nahm den Vorschlag höflich zur Kenntnis, doch die Zustimmung ging über unverbindliche Floskeln nicht hinaus. Die Amerikaner zuckten freundlich mit den Schultern, machten aber klar, dass sie keine Truppen stellen würden. Auch in der EU hielt sich der Enthusiasmus in Grenzen. Die Antwort aus Russland war kurz und knapp: überflüssig.
Kramp-Karrenbauer wurde von zwei Kräften angetrieben. Zum einen brauchte die im Umfragetief verharrende CDU-Vorsitzende einen Befreiungsschlag. Die Vorneverteidigung entspricht ihrem politischen Naturell.
Zum anderen reflektierte die Idee einer Schutzzone den tief sitzenden Frust der Europäer, insbesondere der Deutschen. Bei allen außenpolitischen Konfliktherden der vergangenen Jahre – ob Syrien, die Terrormiliz IS oder der Tankerkrieg im Persischen Golf: Die EU war ohnmächtig. Sie mahnte, moralisierte, beschwor die westliche Wertegemeinschaft. Doch sie war kein maßgeblicher Akteur.
Aus dieser depressiven Befindlichkeit heraus appellierte EU-Kommissionchef Jean-Claude Juncker im Februar 2018: „Die EU muss weltpolitikfähig werden." Es klang wie ein Stoßgebet.
Vier Jahre zuvor hatte Bundespräsident Joachim Gauck bereits der Republik ins Gewissen geredet: „Deutschland muss bereit sein, sich außen- und sicherheitspolitisch früher, entschiedener und substanzieller einzubringen." Wenn Menschenrechte massiv verletzt werden, darf auch ein militärischer Einsatz kein Tabu sein, lautete die Botschaft. Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen haben das Thema immer wieder paraphrasiert. Aber es blieb ein Ausflug in wolkige Polit-Philosophie.
Zugegeben: Die Bundeswehr nimmt an Auslandseinsätzen wie in Mali oder Afghanistan teil, sie bildet kurdische Peschmerga-Kämpfer im Nordirak aus. Aber Deutschland ist – wie die EU – kein weltpolitischer Faktor. Das schmerzt, weil Europa von den internationalen Spannungsherden durch die Flüchtlingskrise besonders betroffen ist.
Der große machtpolitische Spieler dieser Zeit ist Russlands Präsident Wladimir Putin. Der Kremlchef begreift sich als Hüter des Status quo im Nahen Osten. Er stützt zusammen mit dem Iran Syriens Diktator Baschar al-Assad. Und er bringt es fertig, Assad-Feinde wie den türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan für seine Zwecke einzuspannen. Putin ködert Erdogan mit einer Teil-Kontrolle über Nordsyrien. Damit treibt er das Nato-Mitglied Türkei Richtung Moskau und spaltet so das westliche Bündnis.
Zudem verfügt Putin über das machiavellistische Geschick, hartgesottene Iran-Gegner wie Israel oder die Golfstaaten in sein geopolitisches Schachbrett-Denken einzubinden. Er hat blitzschnell erkannt, dass der Zauder-Kurs des früheren US-Präsidenten Barack Obama in Syrien seine Chance ist. Im September 2015 intervenierte Russland in dem vom Bürgerkrieg geschundenen Land.
Der Westen hat Syrien zu lange in Schwarzweiß-Kategorien eingeteilt. Auf der einen Seite der „Unterdrücker" Assad. Auf der anderen Seite die „demokratische" Opposition. Dass dahinter ein buntscheckiges Sammelsurium von verschiedenen Gruppen einschließlich islamistischer Milizen steckt, wurde verdrängt. Nach dem Rückzug der Amerikaner hat Putins Machtpolitik Fakten geschaffen. Russland ist permanentes Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und kann jede Resolution mit seinem Veto blockieren. Das von Kramp-Karrenbauer anvisierte UN-Mandat ist daher Illusion. Ihr Vorschlag einer Schutzzone gleicht einer Leuchtrakete: interessant anzuschauen, schnell verpufft.