Am 15. November wird Uli Hoeneß als Präsident des FC Bayern München zurücktreten. Es ist das Ende der vielleicht größten Ära im deutschen Fußball. Hoeneß war extrem erfolgreich, aber auch immer streitbar. Der Versuch einer ausgewogenen Würdigung.
iele der jüngeren Fußball-Fans werden gar nicht wissen, dass Uli Hoeneß selbst einmal Profi war. Dabei war er einst einer der besten Offensivspieler der Welt. Hoeneß wurde Welt- und Europameister und gehörte auch beim FC Bayern als Stamm- und Starspieler zur goldenen Ära in den 70ern mit Sepp Maier, Franz Beckenbauer und Gerd Müller, die dreimal in Folge den Europapokal der Landesmeister gewann, den Vorgänger der Champions League. Doch das Bild von Uli Hoeneß als Manager und später als Präsident, mal mit puterrotem Kopf polternd, dann wild um sich greifend alle umarmend, ist so prägend, dass es vieles andere verdrängte.
1979 wurde Hoeneß Manager des FC Bayern, mit 27 Jahren als der jüngste, den es je gab. Und er war nach eigener Aussage zunächst Mädchen für alles. „Ich habe mich um jeden Scheiß gekümmert", sagte er: „Abfahrtszeiten, Busunternehmen, Trikots. Zur Not habe ich den Spielern die Stollen reingeschraubt." Sein erstes Büro bestand aus einem Schreibtisch und einem Sideboard mit einem Telefon drauf. Am ersten Arbeitstag telefonierte Hoeneß zwei Stunden und ging wieder nach Hause. Heute fallen in seine Amtszeit als Manager und seit 2009 als Präsident 37 offizielle Titel, dazu noch zehnmal der Gewinn des Supercups und Ligapokals. Hoeneß formte einen Verein, der die klare Nummer eins in Deutschland ist, sportlich wie finanziell. Er eckte aber auch immer wieder an.
Als er vor 40 Jahren ins Management wechselte, waren die Münchner ein finanziell angeschlagener Verein, der sportlich Probleme hatte, das Erbe von Maier, Müller, Beckenbauer oder auch Hoeneß zu stemmen. Hoeneß begann mit zwei Meistertiteln, hatte aber auch viele Probleme übernommen. Dass der FC Bayern gesundete, lag an drei Dingen: An Hoeneß‘ Geschäftssinn – er entwickelte unter anderem nach US-Vorbild den Verkauf von Merchandising-Artikeln. An seinem Gespür für gute Transfers, wie in der ersten Hälfte der 80er zum Beispiel bei Lothar Matthäus, Sören Lerby oder Jean-Marie Pfaff. Und am Verkauf von Stürmerstar Karl-Heinz Rummenigge 1984 für rund elf Millionen Mark zu Inter Mailand. „Für dieses Geld hätte man ihn mit der Sänfte nach Italien tragen müssen", sagte Hoeneß einst, obwohl der Verkauf aus der Not heraus erfolgte. Doch mit dem zurückgeholten Udo Lattek und guten Hoeneß-Käufen legten die Bayern danach eine starke Zeit hin. Von 1985 bis 1987 wurden sie dreimal in Folge Deutscher Meister, ‘87 erreichten sie zudem wieder das Europacup-Finale, in dem sie Porto mit 1:2 unterlagen.
Start mit vielen Problemen
Hoeneß, der 1982 im Alter von 30 Jahren wie durch ein Wunder als einziger an Bord den Absturz mit einem Propellerflugzeug auf dem Weg nach Hannover überlebte, dachte immer in europäischen Großdimensionen. Der beste Bundesligist zu werden, war nie sein Anspruch. Die europäische Spitze sollte es sein. Ein deutsches Real Madrid. Dafür kämpfte er wie ein Löwe gegen alle, die sich ihm entgegenstellten. Jeder Rivale blieb immer nur einer für ein paar Jahre. Bremen schaffte es von Mitte der 80er für ein paar Jahre, Dortmund kam, übernahm sich im Wettbieten mit den Bayern und kehrte erst nach einigen Jahren wieder zurück, Lautern wurde zweimal Meister, stürzte dann ab. Alle anderen, die den Titel holten, wurden nie zu dauerhaften Gegnern auf Augenhöhe. Hoeneß kaufte aufstrebenden Vereinen stets die besten Spieler weg. Deren Schwächung sei aber allenfalls ein schöner Nebeneffekt gewesen, beteuerten sie in München stets. Ihnen sei es in erster Linie um die Spieler gegangen. Und Spieler, die dem FC Bayern weiterhelfen, spielten eben selten bei Vereinen, die um den Klassenerhalt kämpfen. Zuletzt zu spüren bekamen dies die Dortmunder, die 2012 das Double mit einem 5:2-Finalsieg im DFB-Pokal garnierten und dann nacheinander Mario Götze, Mats Hummels und Robert Lewandowski an den FC Bayern verloren. Seitdem wurde nur noch München Meister, siebenmal in Folge bisher.
Legendär sind auch die öffentlichen Streitereien des erfolgreichen Würstchen-Unternehmers mit seinen Lieblings-Gegnern. Zum Beispiel Willi Lemke, der Werder einst als sportlichen Rivalen, aber doch volkstümliches Gegengewicht etablierte und sich mehrfach mit Hoeneß fetzte. Inzwischen haben die beiden Alphatiere ihren Frieden geschlossen. Bestenfalls zweckmäßig ist Hoeneß‘ Verhältnis zu Christoph Daum, auch wenn dieser 2016 dem „Express" sagte: „Wir haben die Dinge, die zwischen uns standen, ausgeräumt. Uli weiß, dass nicht alles gut war, was er gemacht hat. Und ich weiß auch, dass nicht alles gut war, was ich gemacht habe."
Doch diese Fehde dauerte locker zwei Jahrzehnte und hatte gleich zwei denkwürdige Gipfel. 1989 forderte Daum mit Köln die Bayern im Meisterkampf raus und fiel dabei durch zahlreiche forsche Sprüche auf. Im ZDF-Sportstudio kam es schließlich zu einer legendären Runde mit Hoeneß, Bayern-Coach Jupp Heynckes, Daum und dem damaligen Kölner Sportdirektor Lattek. Hoeneß zählte Zitate von Daum auf, wonach Heynckes „Werbung für Schlaftabletten" machen könne und „eine Wetterkarte interessanter sei" als ein Gespräch mit ihm, und tönte: „Am nächsten Donnerstag ist dein Weg zu Ende." Daum entgegnete Hoeneß: „Um dein Maß an Selbstüberschätzung zu erreichen, muss ich 100 Jahre alt werden." Das folgende Duell und den Titel gewannen die Bayern.
Schlammschlacht mit Daum
Im Jahr 2000 sagte Hoeneß über den bereits für 2001 als neuen Bundestrainer auserkorenen Christoph Daum: „Wenn das alles Fakt ist, worüber geschrieben wurde, auch unwidersprochen über den verschnupften Daum, dann kann er nicht Bundestrainer werden." Daum gab später eine Haarprobe ab, um zu beweisen, dass er kein Kokain konsumiert habe. Ein Eigentor. Daum wurde kein Bundestrainer.
Hoeneß war eben die Abteilung Attacke. Ein Gerechtigkeitsfanatiker, der einstecken und noch besser austeilen konnte. Vor allem, wenn er sich, seinen Trainer oder seine Spieler schützen wollte. Manchmal aber auch, um abzulenken oder um sich einfach Luft zu machen. Damit bereitete er vielen Probleme, denn seine Aussagen waren oft wie ein Donnerhall. „Solange Karl-Heinz Rummenigge und ich etwas beim FC Bayern zu sagen haben, wird der bei diesem Verein nicht mal Greenkeeper im neuen Stadion", sagte er einst über Lothar Matthäus. Ein Spruch, der diesem lange nachhing, weshalb Matthäus nie in der Bundesliga als Trainer auftauchte.
Dass die meisten sich dennoch mit Hoeneß im Laufe der Jahre vertragen haben, zeigte sich im März 2014. Denn als das Landgericht München ihn wegen Hinterziehung von mindestens 28,5 Millionen Euro Steuern schuldig spricht und zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt, gab es quasi keine öffentliche Häme. Hoeneß akzeptierte die Haftstrafe, trat von allen Ämtern zurück, kündigte aber an: „Das war’s noch nicht." Und tatsächlich wurde er im November 2016, neun Monate nach seiner vorzeitigen Haftentlassung, mit über 97 Prozent wiedergewählt.
In den vergangenen Monaten schien Hoeneß aber das verloren zu haben, was eine seiner großen Stärken war: das Gespür für Situation und Menschen. So wie in der inzwischen schon berühmten Pressekonferenz mit Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge, bei der sie mit Verweis auf das Grundgesetz mehr Respekt verlangten, Hoeneß dann aber über Juan Bernat sagte, er habe „vergangene Saison einen Scheißdreck gespielt". Oder als er sich in die Diskussion um Bayern-Keeper Manuel Neuer oder Marc-André ter Stegen als Stammtorhüter der Nationalmannschaft einschaltete und nach deutlich zu heftiger Kritik am Barcelona-Keeper sogar mit einem Boykott von Bayern-Spielern in der Nationalelf drohte – was diesen sicher nicht gefallen hätte. Immerhin: In allen Fällen ruderte Hoeneß später öffentlich zurück.
Dennoch sind die meisten Beobachter sicher, dass es an der Zeit ist, dass Hoeneß sich zurückzieht und dass er dies auch konsequent tut. Sein Vermächtnis als Baumeister des FC Bayern und als Bundesliga-Ikone bleibt bestehen. Und nicht zuletzt auch die Erinnerung an einen Menschen Uli Hoeneß, der sowohl ehemalige Bayern-Profis als auch konkurrierende Vereine nicht vergaß und ihnen oftmals schnell, unkompliziert und tatkräftig half.