Endlich könnte es seit Jahren wieder einen Mehrkampf um die Deutsche Meisterschaft geben. Dabei stellt sich aber auch die Frage nach dem Niveau der Bundesliga im internationalen Vergleich.
Wolfsberg, wohlgemerkt! Nicht Wolfsburg. Die Gemeinde im österreichischen Bundesland Kärnten hat 24.993 Einwohner, ein schönes altes Schloss, und einen Fußball-Erstligisten, den Wolfsberger AC, er vertritt Österreich in der Europa League, und das gar nicht mal schlecht. Vor einigen Wochen siegte das Team mit 4:0 bei Borussia Mönchengladbach. Die Fohlen spielen seit Saisonbeginn in der Spitzengruppe mit und hatten im September mit einem 5:1 gegen den FC Augsburg erstmals Platz eins in der Bundesliga erobert, da twitterten die Wolfsberger auch schon ein Foto der Tabelle, versehen mit den Worten: „Deutschebundesligaspitzenreiterbesieger". Das Echo war groß, die Frage allerdings auch, ob diese Ironie ein Sinnbild für das Niveau der Bundesliga ist. Bayern und Dortmund hießen die üblichen Verdächtigen, wenn nach der Meisterschaft gefragt wurde. Vielleicht auch noch Leipzig.
Und nun? „Ich will die Dinge nicht überbewerten. Wir haben gut gepunktet und sind oben dabei in einer sehr engen Liga. Aber wir haben noch sehr viel Arbeit vor uns", sagt Gladbachs neuer Trainer Marco Rose. Im Gegensatz zu Mit-Konkurrenten wie Bayern, Dortmund oder Leipzig kann Borussia ohne Druck in die kommenden Spiele gehen – in Gladbach erwartet niemand ernsthaft den Meistertitel. Das Ziel ist wie in den letzten Jahren auch ein Platz im europäischen Wettbewerb. Die klare Ansage ist: Marco Rose (43) soll bei den Fohlen langfristig etwas aufbauen – und dafür bekommt er vom Verein viel Zeit.
Die „Bild"-Zeitung, die gern und schnell aus der Hüfte schießt, sieht in Gladbach sogar einen echten Favoriten und macht dafür den Trainer verantwortlich. „Rose ist zwar erst seit 2017 Profi-Trainer – doch seitdem hat er mit RB Salzburg bereits zwei nationale Titel (2018, 2019) geholt. Kein Trainer der Konkurrenz hat mehr: Niko Kovac (48), bis zum vergangenen Wochenende noch Trainer beim FC Bayern, holte bisher einen Meistertitel. Lucien Favre (61), jetzt BVB, mit dem FC Zürich zwei – den letzten aber vor zwölf Jahren. Julian Nagelsmann (32), Christian Streich (54), Peter Bosz (55), Oliver Glasner (45) und David Wagner (48) gewannen als Profi-Coach noch keine nationalen Meistertitel", schreibt das Boulevard-Blatt. Die Spitze ist nah beieinander. Eine solch enge Konstellation im oberen Tabellendrittel hat es zum gleichen Zeitpunkt seit Einführung der Drei-Punkte-Regel in der Saison 1995/96 erst einmal gegeben: Vor 13 Jahren, in der Saison 2006/07, lagen nach sieben Spieltagen zwischen dem Tabellenführer Werder Bremen (13) und dem Siebten Borussia Dortmund (elf) nur zwei Punkte. Meister wurde am Ende aber keines dieser Teams, sondern der VfB Stuttgart mit Trainer Armin Veh und jungen Spielern wie Mario Gomez und Sami Khedira. Wenn es nach Uli Hoeneß geht, ist die momentane Tabellenkonstellation allerdings nur eine Momentaufnahme. Der scheidende Präsident von Rekordmeister Bayern München, der mit dem Starensemble von der Isar zuletzt sieben Titel in Folge feiern konnte, siedelte sich jedenfalls einmal mehr in der Abteilung Attacke an.
Ärger bei Bayern wird weitergehen
„Noch", antwortete Hoeneß kürzlich auf die Frage, ob die Liga denn nicht zu ausgeglichen sei: „Ich sehe Möglichkeiten für den FC Bayern, die Bundesliga wieder langweiliger zu machen." Doch dafür muss sein Team endlich wieder in Schwung kommen. Laut Hoeneß wird der Bayern-Durchhänger in dem Moment vorbei sein, in dem die Einstellung der Profis wieder stimmt. „Gegen vermeintlich schwächere Gegner ist die Konzentration der Mannschaft unterentwickelt", kritisierte der 67-Jährige: „Es nützt nichts. Du brauchst die Punkte gegen kleinere Mannschaften, um Meister zu werden."
In der Kritik standen über Wochen Sportdirektor Hasan Salihamidzic und vor allem Niko Kovac. Nach dem 1:5 gegen Frankfurt am vergangenen Samstag zog der Club nun die Reißleine und entließ den Trainer.
Auch beim zweiten Favoriten hängt der Haussegen schief. Lucien Favre steht in Dortmund wegen seiner taktischen Generalausrichtung schon länger in der Kritik. Vorige Saison verspielte der BVB einen komfortablen Bundesliga-Vorsprung von bis zu neun Punkten und kam am Ende mit zwei Punkten Rückstand auf den FC Bayern ins Ziel. Schon dieser Knick wurde Favre angekreidet. „Wer sich im Fußball kleinmacht, der wird eben auch schnell klein", schreibt die „Süddeutsche Zeitung". In der laufenden Saison hat Dortmund noch gute Titelchancen, „aber diese fast noch komfortable Situation liegt eher daran, dass sich auch der Titelfavorit FC Bayern derzeit nur im gehobenen Mittelmaß bewegt, auf Schulterhöhe mit Vereinen wie dem VfL Wolfsburg oder dem SC Freiburg", stichelt das Blatt weiter.
Das ist für Dortmunder Verhältnisse einfach zu wenig. Einzig der Schwäche der Konkurrenz ist es zu verdanken, dass der BVB der Tabellenspitze nicht schon weit hinterherhechelt. Immerhin: Durch die zuletzt zwei Siege ist zumindest beim BVB wieder vordergründig Ruhe eingekehrt. Die Hektik ist in beiden Vereinen dennoch groß und wird auch von Außenstehenden aufmerksam registriert.
Stefan Effenberg hat den Umgang mit Kovac und Favre kritisiert. Die öffentliche Diskussion um die beiden Top-Trainer sei „respektlos", sagte Effenberg. „Ich wünsche mir, dass sich die Vereine nicht davon blenden lassen."
Der Manager des Fußball-Drittligisten KFC Uerdingen lag mit seiner Einschätzung aber zumindest bei Bayern daneben: „Solche Störungen kommen von außen. Vor einem Jahr wurde der Kopf von Kovac gefordert, und dann wurde er Doublesieger", sagte der ehemalige Bayern-Profi. In der Liga erwartet Effenberg dennoch den achten Meistertitel der Münchner in Serie: „Wenn die Bayern in die Spur kommen, dann werden sie jeden da oben wegholen. Normal werden sie wieder Meister. Du kannst die Bayern auf Strecke nicht stoppen", sagte der 51-Jährige.
Effenberg mahnt zur Ruhe bei Bayern
Der Trainermarkt gibt für Bayern und Dortmund allerdings kaum sinnvolle Alternative her. Kein Wunder, dass man bei der Suche schnell bei Ralf Rangnick landet, der angeblich zurück in die Kabinenluft will, anstatt in klimatisierten Räumen die globalen Fußballaktivitäten des Brausekonzerns Red Bull zu steuern. Oder bei José Mourinho, der im Moment arbeitslos in Londons teuerster Wohngegend sitzt, Deutsch lernt und mit Dortmunds Boss Hans-Joachim Watzke seit Jahren befreundet ist. Bei Bayern wird zudem der Italiener Massimo Allegri gehandelt.
Auch bei RB Leipzig war die Stimmung grenzwertig, der Saisonstart ist holprig verlaufen. Druck von oben bekommt der neue Trainer Julian Nagelsmann nicht. Bei RB hat man wegen der Umstellung auf den neuen Trainer Durststrecken einkalkuliert. „Die Stimmung ist nicht super rosig. Der Club hat einen gewissen Anspruch, ich habe einen gewissen Anspruch, wie die Mannschaft auftritt und was sie auszeichnet", erklärte Nagelsmann. Immerhin: Durch die hohen Siege gegen Wolfsburg und Mainz scheint die Richtung zu stimmen.
Zufriedenheit herrscht dagegen bei Schalke 04 und dem VfL Wolfsburg, die ebenfalls im Vorderfeld stehen. „Wir haben einen Umbruch, da sind auch mal Rückschläge einzukalkulieren", sagt Schalkes Sportvorstand Jochen Schneider. Wolfsburgs Boss Jörg Schmadtke fordert seine Mannen auf, „schön den Ball flachzuhalten. Die Meisterschaft werden andere unter sich ausmachen. Und für die Bundesliga ist es doch schön, wenn es spannend ist."
Viele Journalisten sehen dies anders. Das „Gebalge an der Spitze der Fußball-Bundesliga mag unterhaltsam wirken. Mit Klasse allerdings hat das Ganze wenig zu tun", analysierte die Tageszeitung „Die Rheinpfalz" und das Nachrichtenmagazin „Focus" ergänzte:
„Jedoch gibt’s eine Kehrseite der Medaille: den Fluch. Die extrem engen Abstände nach einem Viertel der Saison sprechen nicht für die Qualität. Zudem ist fraglich, ob die deutschen Vertreter international konkurrenzfähig sind, wenn sie es nicht einmal schaffen, kontinuierlich in der Bundesliga zu überzeugen."
Außer Frage steht: Eine erneute Enttäuschung in Europa wäre nur schwer zu verkraften, weil es die die Stellung der Bundesliga im internationalen Vergleich nachhaltig schwächt. Und international haben bislang nur die Bayern wirklich überzeugt.